: Zu einfaches Weltbild
■ Betr.: "Moralische Nachrüstung", taz vom 25.1.91/2's ist Krieg", taz vom 26.1.91/"My Wonderful War", taz vom 26.1.91
betr.: „Moralische Nachrüstung“ von Eike Geisel, taz vom 25.1.91, „'s ist Krieg“ von Reinhard Mohr, „My Wonderful War“ von Henryk M.Broder, taz vom 26.1.91
[...] Mohrs, Broders und Geisels aus poststrukturalistischen Theorieversatzstücken oder Elementen einer aus Mißtrauen geborenen Sicherheitsdoktrin zusammengesetztes Weltbild ist mir zu einfach: Freiheit, Menschen- und Völkerrecht sind also nur um den Preis des Massenmordes zu verteidigen? Ich weigere mich, diese Einschätzung zu akzeptieren, zumindest bevor nicht die Alternative, die Möglichkeit einer Konfliktlösung mit allen friedlichen Mitteln, falsifiziert wurde.
[...] „Diese Friedensbewegung ist dumm und blöd“ (Henryk M.Broder). Die Möglichkeit, ein politisches Programm oder eine politische Strategie auf ihren normativen und theoretischen Geltungsansprüche hin zu befragen, ohne sich der Diffamierung aussetzen zu müssen, gehört zu den Konstitutionselementen einer demokratisch verfaßten Gesellschaft. Und genau dies versucht die Friedensbewegung!
Die Analysen sind vielleicht nicht immer alle ganz stimmig, ich habe jedoch bei den Friedensdemonstrationen und -aktionen der letzten Tage festgestellt, daß das, was sowohl auf Transparenten, in Redebeiträgen als auch in vielen, vielen Gesprächen während der Demonstrationen zum Ausdruck gebracht wurde, auf die Bemühung rückschließen läßt, sich umfassend mit der komplexen Situation auseinanderzusetzen und eine moralische Position zu finden; dieses Bemühen konnte ich in den genannten Beiträgen der taz nicht entdecken. Felicitas Thiel, Berlin
„Wir waren uns einig, diese Friedensbewegung ist dumm und blöd, kann Ursache und Wirkung nicht auseinanderhalten“, stellt Henryk M.Broder fest und stellt für mich damit unter Beweis, daß er — und fast die ganze Journaille — ihre Unabhängigkeit gegenüber der plumpen Propaganda staaticher Obrigkeit verloren haben. Von einem Tag zum anderen werden das Massenmorden als Mittel der Auseinandersetzung legitimiert, jede Kritik als „antiamerikanisch“ und „antiisraelisch“ diskreditiert. [...[
Wer auf Gewalt und Verbrechen nur Gewalt als Antwort weiß, und damit Sterben und Leiden Millionen Unschuldiger und nicht abschätzbare Umweltkatastrophen billigend in Kauf nimmt, muß auch die Folgen einer solchen „Politik“ moralisch verantworten. So muß sich Henryk M.Broder fragen lassen, wie er auf einem Leichenberg, in einer unbewohnbaren Region und zwischen total verhärteten Fronten, das Existenzrecht Israels noch politisch absichern will.
Auch die Erklärungen der Regierenden führen mir deren Hilflosigkeit nur allzu deutlich vor Augen. Nur wünschte ich mir, daß eine Presse, die von sich behauptet, unabhängig zu sein, das auch erkennt und sich nicht gleichschalten läßt. Das hatten wir schließlich schon einmal zu viel. Gerald Leue, West-Berlin
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