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Erfolgreich verkauft Ägypten seine geopolitische Lage

Abkommen mit dem IWF soll Durchbruch bei den Umschuldungsverhandlungen mit dem Pariser Club erreichen/ „Einkommenschaffende Außenpolitik“  ■ Aus Kairo Ivesa Lübben

Als der ägyptische Außenminister Ismet Abdel Meguid letzte Woche nach Washington fuhr, ging es nicht nur um die neuesten Entwicklungen in der Golfkrise, sondern auch um handfeste Wirtschaftsinteressen: Meguid traf sich mit Michel Camdessus, dem Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF). Der Außenminister und der oberste Finanzmanager der Welt unterzeichneten ein Abkommen über mehrere vom Währungsfonds geforderte Wirtschaftsreformmaßnahmen. Dem Gang Ägyptens zum Pariser Club steht nun nichts mehr im Wege. Mit der Bankenvereinigung will das Land über die Umschuldung seiner Auslandsschulden verhandeln, die vor der Golfkrise 41,2 Milliarden Dollar betrugen.

Camdessus zeigte sich äußerst zufrieden über die Regierungserklärung des ägyptischen Premierministers Atif Sidqi, die dieser genau rechtzeitig ein paar Stunden vor den Verhandlungen seines Außenministers mit dem IWF vor dem Parlament verlesen hatte. In ihr hatte er die neue Marschrichtung in der Wirtschaftspolitik umrissen: Mit Ausnahme einiger Grundnahrungsmitteln wie Brot, Zucker, Reis und Tee sollen die staatlichen Subventionen gestrichen und Preisfestlegungen aufgehoben werden. Im staatlichen Sektor soll privatisiert werden, die Konsumsteuern sollen durch eine allgemeine Mehrwertsteuer ersetzt werden. Der Wechselkurs des ägyptischen Pfunds soll innerhalb Jahresfrist freigegeben und Zinsen sollen nicht mehr durch die Zentralbank, sondern von jeder Bank selbst festgelegt werden, um so den Wettbewerb unter den Finanzinstituten zu forcieren.

Ursprünglich hatte der IWF weit mehr gefordert. Die Subventionen aller Lebensmittel sollten aufgehoben und der Wechselkurs sofort freigegeben werden. Die Preise vor allem für Lebensmittel wären blitzartig in die Höhe geschnellt — eine Horrorvorstellung für die ägyptische Regierung, die Angst vor einer Wiederholung der Brotunruhen von 1977 hat, die damals das Sadat-Regime ernsthaft gefährdeten. Ägypten importiert 80 Prozent seines Weizens aus den USA, Kanada und Argentinien.

Doch durch die Golfkrise hat sich einiges geändert. Ägypten stellt mit 35.000 Soldaten das größte arabische Truppenkontingent am Golf; seitdem haben die USA ein vitales Interesse an der Stabilität ihres nahöstlichen Bündnispartners. US-Finanzminister Brady interventierte persönlich beim IWF, doch etwas flexibler im Umgang mit Ägypten zu sein.

Das Land hat durch die Golfkrise einige seiner wichtigsten Einkommensquellen verloren. Vor der Golfkrise lebten mehr als eine Million Ägypter in Kuwait und im Irak. Ihre Überweisungen nach Hause waren die wichtigste Devisenquelle des Landes. In den ersten drei Monaten der Krise kehrten zweihunderttausend Ägypter aus Kuwait und dem Irak zurück; eine weitere halbe Million wird noch erwartet. Statt wie früher das Devisenloch zu stopfen, vergrößern sie nun das Heer der Arbeitslosen. Auf mindestens fünf Milliarden Dollar veranschlagte Sidqi die für neue Arbeitsplätze benötigten Investitionen.

Der Tourismus, die zweitwichtigste Devisenquelle Ägyptens, ist völlig zum Erliegen gekommen, und die Suezkanalgesellschaft meldet ebenfalls Einkommensrückgänge von 30 Prozent. Auf insgesamt 3,5 Milliarden Dollar schätzt Sami el-Said, Professor an der Universität Kairo, die jährlichen Einkommensverluste des Landes. Hinzu kommen noch Sparguthaben der aus Kuwait geflohenen Ägypter von zehn bis 13 Milliarden Dollar, die wohl ein für allemal abgeschrieben werden können.

Aber den Verlusten stehen auch Gewinne gegenüber — oder Ausgleichszahlungen, wie el-Said es diskreter nennen möchte. Von den 7,1 Milliarden Dollar Militärschulden haben die USA inzwischen 90 Prozent abgeschrieben und wollen auch den Rest streichen, wenn die Europäer nachziehen. Die Golfmonarchien haben ihrer arabischen Schutzmacht ebenfalls alle Schulden erlassen, insgesamt 6,7 Milliarden Dollar, und Japan und die EG-Länder haben Wirtschaftshilfe versprochen. Ägypten hofft darauf, daß in Paris weitere acht Milliarden Dollar gestrichen und zehn Milliarden Dollar umgeschuldet werden.

Das würde erhebliche Haushaltserleichterungen nach sich ziehen, weil der Schuldendienst fast völlig wegfiele. „Schwierige Entscheidungen standen an, als Saddam Hussein alles über den Haufen warf und damit einige der Wirtschaftsprobleme Ägyptens aus dem Weg räumte. Ägyptens Zahlungsbilanzprobleme sind mittelfristig gelöst. „Das kam wie ein Geschenk vom Himmel“, so die renommierte Wirtschaftszeitung 'Ahram-Aqtisadi‘.

„Income generating foreign policy“, einkommenschaffende Außenpolitik, nennt das ein ägyptischer Politologe und kritisiert die chronische Finanzabhängigkeit Ägyptens. Den Exporten von 2,5 Milliarden Dollar stehen Importe von zehn Milliarden Dollar gegenüber, davon die Hälfte Lebensmittel. Das Land ist auf der ständigen Suche nach ausländischen Financiers und findet sie aufgrund seiner strategischen Lage auch. Es verkauft seine geopolitische Lage.

Einige politische Kreise in Kairo träumen schon heute von einer Allianz zwischen Golfscheichtümern und Ägypten im Nachkriegsarabien. Ägyptische Truppen könnten das Sicherheitsvakuum am Golf füllen. Die Golfländer würden statt der politisch unzuverlässigen Jemeniten und Palästinenser vorwiegend Ägypter beschäftigen — und ihre Petrodollars am Nil investieren.

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