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Und über uns nur noch die Siegesgöttin

■ Schöne neue Stadt: Wenn Männer Metropole machen, kommt bald ein Berlin wie im neuen 'Geo Special‘ heraus

Sinnfälliger Aufbau eines 216seitigen Druckwerks: Begehrlich hängt der Kamerablick am Rocksaum der goldstrahlenden Siegesgöttin Viktoria auf dem Titelblatt. Metropole Berlin, der Titel des neuen 'Geo Special‘ klebt ihr gleich neben dem Siegeskranz. Und dann steigen wir mit Kameras und Textcomputern (geführt von 45 Männern und 5 Frauen) hinab — aber nur eine halbe Stufe etwa —, denn da wartet schon der Bundespräsident und mit ihm der 'Geo‘-Chefredakteur Hermann Schreiber. Der Bürgerkönig verspätet sich: »Unser Aufbruch verzögert sich«, beginnt der erste Report, was dem Schreiber die Gelegenheit gab, noch schnell im Editorial vor »Relikten rot-grüner Realitätsferne« zu warnen und einige unverlangte »Bekenntnisse« herunterzubeten. Auf daß Viktoria dem Bekenntnisschreiber wohl wolle! Und dann tun die alten Herren, was alte Herren tun müssen: sie flanieren. Suchend. Jovial. Ja, die Jugend. Das Königskind im Manne staatsbesucht »seine« frühen Stätten. Und Schreiber schreibt auf. Und schließlich, vier Seiten später, das Ziel, die erlösende Erkenntnis am Ende eines langen Fußweges und Brottextes: »Hier ist der Platz für die politisch verantwortliche Führung Deutschlands.« Der erste Spaziergang im Heft — gleich ein Volltreffer.

Dann Zwischenspiel auf Erden und solider wirtschaftlicher Basis: doppelseite Anzeige mit Parfüm von Wolfgang Joop. Das heißt: »Berlin«. Das ist: eine »Hommage an eine Stadt«. Viktooooriaaa...!

Dann wieder einen Stock tiefer unter Viktoria und von Weizsäcker: Die nächsten zwanzig Seiten schweben wir in der Totalen über den totalen Orten zwischen Brandenburger Tor und Unter den Linden. Luftbilder, menschenleer. Nächste Stufe: Übertext über West-Berlin von Mathias Greffrath. Weiter: Plötzlich ein wahres Gewimmel von Menschen in Nahaufnahme. Wo kommen die denn her, wie kommen die in diesen menschenleeren Überblick, so plötzlich unerwartet auf Seite 49? »Die Köpfe der Stadt — 20 Berliner, die das Leben der Metropole geprägt haben.« Der Überblick sieht freilich nur den Kopf — der Körper, die vitale Basis, das Leben verschwindet darunter. Aber es geht ja auch hier um Höheres: um Identitätsstiftung, um »20 Berliner, die eines verbindet: ihre Kraft, dieser Stadt eine Identität zu geben«. Die Identität dieser Stadt: das sind 16 Männer, 3 Frauen und ein Kollektiv (nämlich die Elefanten Press), das sind 4 Ostler und 16 Westler. Die Identität dieser Stadt ist rein deutsch.

Auf 216 Seiten (plus 'Extra Info-Heft — Auf 68 Seiten durch die grenzenlose Stadt‘ mit dem obligaten Adressenteil) tauchen keine Türken auf, keine Polen, keine Rumänen. Keine Frauen, keine Jugendlichen, keine besetzten Häuser, keine Alten, keine Arbeitslosen — und vor allem keine Ostler. Eigentlich gar keine Menschen. Nicht eines der vielen, vielen bunten Hochglanzfotos — abgesehen von den 20 »Köpfen« — zeigt ein Gesicht. Wenn Menschen auf den Bildern vorkommen, dann verschwommen, von hinten — störend wirken sie in jedem Fall.

Statt dessen immer wieder Orte, Ideen und Ideale: »8 Architekten und Künstler entwerfen eine andere Stadt« oder »20 Autoren erklären der Stadt ihre heftige Sympathie« — die Stadt, das sind auch hier die idealen Orte wie Flughafen Tempelhof, Schloßpark Glienicke, Sakrower Kirche etc. Diese Stadt hat keine Wohnungen, keine Trabantenstädte, keine Industrie — keinen Osten. Gearbeitet wird nicht, gelebt auch nicht.

»Berlin, menschenleer« heißt der Feld-Wald- und-Wiesen-Schlußreport. Die Kamera ist bei ihrem Schwenk unten angekommen und findet endlich: Blumen und Käfer. Und schließlich die Reprise: letzter Text ist das Bekennerschreiben des unvermeidlichen Joschka Fischer zu Berlin als Hauptstadt. Fischer und Weizsäcker am Anfang und Ende als Wiederkehr des gleichen — Machtzentrum als Klammer. Und sogar das Titelblatt wiederholt sich auf der letzten Umschlagseite: noch einmal Viktoria mit Siegerkranz, diesmal als Anzeigenseite der »Berliner Absatz-Organisation«. Über dem behelmten Haupt steht diesmal nicht Metropole Berlin wie auf der Titelseite, sondern: »Im Dienste der Berliner Wirtschaft«.

Das 'Geo Special‘ zeigt Berlin, wie es nun wirklich werden will. Dieses Berlin: das ist der Sieg der Männer über die Frauen, des Westens über den Osten, der Deutschen über die Immigranten, der Metropole über die Multikultur, der Orte über die Menschen, der Ideen über das reale Leben, des Oben über das Unten. So soll es sein! Viktoria, hurra! Gabriele Riedle

Das 'Geo Special‘ Metropole Berlin kostet 13,50 DM und ist an jedem Kiosk erhältlich.

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