Für manische Penisophile

»Zu viele Schwänze!!« lautet ein rüder Kommentar, den ein anonymer Besucher in das Ausstellungsbuch gekritzelt hat. »Ganz herrlich!!« meint dagegen ein anderer. Das muß kein Widerspruch sein. Indessen macht es die Ausstellung nicht interessanter. Das Projekt: »Black-Box«, eine Rauminskulptur mit 222 Zeichnungscollagen von H.N. Semjons, der in der Abgußsammlung antiker Plastik Berlin eine schwarze Holzkiste in der Größe 3m x 2m x 1,4m aufgebaut hat, leidet unter Wiederholungszwang. Denn der Monolith, den der Berliner Künstler zwischen griechischen Göttern, Tyrannenmördern und Gelehrtenköpfen aus Gips als massigen Kubus im Raum inszeniert und der durch die kleinen Fensteröffnungen an eine Peep-Show erinnert, zeigt in seinem Innern nur herrenklomäßige Graffities, die weder geil noch gut gemacht sind und zusehends, da nur mit sich selbst multipliziert, abschlaffen. »Black-Box« wird vielleicht manisch Penisophilen gefallen.

Ein Schwanz steift neben dem anderen, mal in rot oder blau gefärbt und wenig fintenreich. So verwandelt ihn Semjon manchmal zur Palme oder in einen Turm. Ab und zu kommt er wieder als Fisch verzaubert und raketenartig daher. Hin und wieder wird das Schwanzmotiv abgelöst von kindlichen Haus-Garten-Sonne-Darstellung und Vaginabildchen, um schleunigst zum Thema zurückzukehren. Das Überraschende, das den voyeuristischen Blick das Betrachters mit sich selbst konfrontieren könnte, opfert Semjon so der Langeweile. Die kleine autonome Welt in der Kiste erzählt keine Geschichten, sondern spult gleich 222 mal beinahe ein und dieselbe ab. Eine assoziative Verknüpfung der vielen Zeichnungscollagen, die in der »Black-Box« hängen, entsteht nicht.

Statt dessen schafft es die Box eher, daß man versucht, durch eine Fensteröffnung auf der gegenüberliegenden Wand wieder aus ihr herauszublicken, um eine Gipskopie zu sehen. Da entdeckt man dann in Genitalhöhe und ebenfalls in einer Wiederholung (Kopie) H.N. Semjons Thema, doch mit dem entscheidenden Unterschied, daß sich die alten Griechen und Römer differenzierter damit auseinandergesetzt haben. Da gibt es kleine und große, spitze und schlappe Kopien von Männerschwänzen. Überhaupt ist die Abgußsammlung antiker Plastik Berlin ein Ort, den jeder einmal aufsuchen sollte, weil man so viele Statuen auf einmal kaum sonst zu sehen bekommt. Von der Kampfgruppe »Farnesischer Stier« bis zu der armlos lächelnden »Venus von Milo« (alle so ungfähr 200 v.u.Z.) und anderen archaischen Frauengestalten ist alles vorhanden. Nur dem Jüngling »Pothos« fehlt der Schwanz. rola

Die Ausstellung ist bis zum 31.3.91 in der Abgußsammlung antiker Plastik Berlin, Schloßstr. 69b, 1-19, Fr, Sa, So von 14-18 Uhr zu sehen. Eintritt ist frei.