piwik no script img

Das Zivilisationskalkül der Bush-Krieger (1)

Die USA, sekundiert insbesondere von der einstigen Kolonialmacht Großbritannien, gehen im Nahen Osten daran, die „neue Weltordnung“ unter Waffeneinsatz herzustellen/ Wie kein anderes UN-Mitglied nutzten die USA ihr Veto-Recht im Sicherheitsrat, um das Votum der Mehrheit zu kippen  ■ Von Noam Chomsky

Iraks Invasion in Kuwait hat bei den Industriemächten eine starke Reaktion hervorgerufen, genaugenommen zwei recht verschiedene Reaktionen: ökonomische Sanktionen von bisher nicht gekannter Härte, und die Drohung mit Krieg. Die erste genießt breite Unterstützung. Die zweite beschränkt sich im wesentlichen auf die USA und Großbritannien und wird von ihren Alliierten trotz starkem Druck der USA nur lauwarm unterstützt. Unmittelbar stellen sich zwei Fragen: Warum diese bisher nie dagewesenen Maßnahmen? Woher stammt — angesichts gemeinsamer Ziele — diese Uneinigkeit im taktischen Vorgehen?

An Antworten herrscht kein Mangel; darunter finden sich eindrucksvolle Phrasen von der Unantastbarkeit des internationalen Rechts und von den herrlichen Aussichten, wenn der neue Hitler nur rechtzeitig gestoppt werden könne. Präsident Bush erklärte: „Amerika steht, wo es immer stand, gegen Aggression, gegen jene, die die Herrschaft des Rechts durch Gewalt ersetzen wollen.“ Staatssekretär James Baker fügte hinzu, „wir leben in einem jener seltenen Übergangsmomente in der Geschichte“, mit der Aussicht auf „eine Epoche voller Verheißungen“, falls wir den Aggressor bestrafen, der es wagte, zur Gewalt zu greifen. Viele Kommentatoren priesen die „wundersame Gezeitenwende“ in den Vereinten Nationen, die nun „praktisch zum ersten Mal in ihrer Geschichte... so funktioniert, wie sie funktionieren sollte“ und damit „ein kühnes Modell der Friedenserhaltung für die Periode nach dem Kalten Krieg“ bietet ('New York Times‘). Die Standarderklärung lautet, mit dem Sieg der Vereinigten Staaten im Kalten Krieg könnten die Obstruktion der Sowjetunion und die „schrille antiwestliche Rhetorik“ der Dritten Welt die Vereinten Nationen nicht mehr zur Unwirksamkeit verurteilen.

„Diplomatischer Kurs“ durch Truppenentsendung frühzeitig blockiert

Unter Berufung auf hehre Grundsätze verweigerte sich Washington jedweden diplomatischen Bemühungen, begrenzte die Kontakte auf die Ablieferung eines Ultimatums und wies jede „Verbindung“ mit regionalen Themen zurück. Der diplomatische Chefkorrespondent der 'New York Times‘, Thomas Friedman, führte die Weigerung der Regierung, „einen diplomatischen Kurs“ einzuschlagen, auf ihre Besorgnis zurück, daß Verhandlungen „die Krise entschärfen“ könnten — auf Kosten „einiger Scheinerfolge in Kuwait“ für den irakischen Diktator (vielleicht „einer kuwaitischen Insel oder geringer Grenzberichtigungen“). Akzeptabel ist nur die Kapitulation gegenüber der US-Macht, ungeachtet der Konsequenzen.

Die Entsendung einer riesigen Expeditionsstreitmacht, die in der Wüste nicht für lange Zeit aufrechterhalten werden kann, denunziert das Vertrauen auf Sanktionen. Indem „der diplomatische Kurs“ blockiert wurde, bleibt angesichts der rhetorischen Haltung der Krieg als wahrscheinliches Ergebnis. Diese Lösung bedarf daher sorgfältiger Untersuchung. Tatsächlich hält sie noch nicht einmal einer kurzen Überprüfung stand.

Nach den Gesetzen der Logik können Prinzipien nicht selektiv verteidigt werden. Tatsächlich haben die USA des öfteren eben jene Prinzipien verletzt, die jetzt mit großen Worten hochgehalten werden. Saddam Hussein ist für uns noch kein prinzipienfester Mann, nur weil er Israels Annexion der syrischen Golanhöhen verurteilt, noch nähren seine Klagen über die Verletzungen der Menschenrechte in den besetzten Gebieten unsere Hoffnung auf eine bessere, menschlichere Welt. Die gleiche Argumentation trifft jedoch zu, wenn George Bush davor warnt, Aggressoren zu besänftigen und wenn er seine Empörung über den Irak-Bericht von amnesty international (ai) zum Ausdruck bringt (nach dem 2. August), nicht aber über den zu El Salvador, um nur eines aus einer langen Liste von Beispielen auszuwählen. Was die „wundersame Gezeitenwende“ in den Vereinten Nationen angeht, hat sie nur wenig mit dem Ende des Kalten Krieges zu tun oder mit dem besseren Benehmen der Russen oder der degenerierten Nationen der Dritten Welt.

Die Vereinten Nationen konnten auf die Aggression des Irak reagieren, weil die USA sich ausnahmsweise gegen kriminelle Akte aussprachen, im Unterschied zu den Invasionen in Panama, Zypern, Libanon, der Westsahara und vielen anderen. Jahrzehntelang hat Südafrika in Namibia den Vereinten Nationen und dem Internationalen Gerichtshof getrotzt, das besetzte Land ausgeplündert und terrorisiert und es gegenüber Nachbarstaaten zu einer Basis von Terror- und Aggressionsakten gemacht, die schreckliche Opfer forderten. Niemand hat vorgeschlagen, Südafrika zu bombardieren oder seine Lebensmittelzufuhr zu blockieren. Die USA vertraten eine „ruhige Diplomatie“ und ein „konstruktives Engagement“ mit dem Ziel einer „Verbindung“, ganz genauso wie bei George Shultzs Versuch, Israels teilweisen Rückzug aus dem Libanon auszuhandeln — übrigens mit happigen Belohnungen für den Aggressor, der zuvor umfangreiche materielle Hilfe aus den USA ebenso in Empfang genommen hatte wie Vetos des Sicherheitsrates, als er das verteidigungsunfähige Land zerschlug.

Die Antwort auf die erste Frage ist einfach: Es gibt keinen Präzedenzfall für die Reaktion auf Saddam Husseins Aggression, weil er auf die falschen Zehen getreten ist. Die USA verteidigen am Golf keine hehren Prinzipien, ebenso wenig wie irgend ein anderer Staat.

Saddam Hussein ist ein mörderischer Gangster — aber das war er auch schon vor dem 2. August, als er noch ein liebenswerter Freund und hochgeschätzter Handelspartner war. Seine Invasion in Kuwait ist ein Verbrechen, das sich mit anderen vergleichen läßt, und nicht so schrecklich wie einige; zum Beispiel die indonesische Invasion von Ost-Timor, die aufgrund der diplomatischen und materiellen Unterstützung der beiden selbstgerechten Rächer vom Golf nahe an einen Völkermord herankam. Die Wahrheit enthüllte UN-Botschafter Daniel Patrick Moynihan in seinen Memoiren, als er beschrieb, wie es ihm gelang, die Direktiven des Außenministers umzusetzen, um die UN „handlungsunfähig zu machen hinsichtlich aller Maßnahmen“ gegen die indonesische Invasion, weil „die Vereinigten Staaten das Ergebnis wollten, das dann auch zustande kam, und sich bemühten, dieses Ergebnis durchzusetzen“. Mit gleicher Offenheit drückte dies der australische Außenminister Gareth Evans aus, als er die tolerante Haltung seines Landes gegenüber der gewaltsamen Annexion von Ost-Timor erklärte: „Die Welt ist ein ziemlich ungerechter Ort, voller Beispiele für gewaltsame Annexionen...“ Saddam Husseins Aggression dagegen veranlaßte Premierminister Hawke zu der volltönenden Erklärung, „große Länder dürfen nicht kleine Nachbarn überfallen, ohne bestraft zu werden“. Wenn Libyen sich dem Schlächter von Bagdad anschlösse, um Kuwaits Ölreichtum auszubeuten, sähe die Reaktion des Westens anders aus, als zu der Zeit, als sich Australien dem Schlächter von Djakarta in der Timor-See anschloß.

Die Bemühungen der UN um den Frieden wurden von den Vereinigten Staaten regelmäßig blockiert. Die erste Sitzungsperiode der UN nach dem Kalten Krieg (1989 bis 1990) war in dieser Hinsicht typisch. Gegen drei Resolutionen des Sicherheitsrates wurde ein Veto eingelegt, immer von den USA. Zwei verurteilten ihre mörderische Invasion von Panama (in einem Falle enthielt sich Großbritannien, im zweiten schloß es sich gemeinsam mit Frankreich den USA an). Die dritte verurteilte die israelischen Menschenrechtsverletzungen; im folgenden Mai legten die USA ihr Veto gegen eine ähnliche Resolution ein. Nur von Israel unterstützt stimmten die USA gegen zwei Resolutionen der Vollversammlung, die die Beachtung des internationalen Rechts forderten, eine, die die Unterstützung der USA für die Contras verurteilte, die andere gegen ihre ökonomische Kriegführung gegen Nicaragua, die beide bereits vom Internationalen Gerichtshof für unrechtmäßig erklärt worden waren — nach den Normen der USA und ihrer Verbündeten irrelevant. Eine Resolution, die die gewaltsame Annexion von Gebieten verurteilte, ging mit 151 zu drei Stimmen durch (USA, Israel, Dominikanische Republik); es war ein weiterer Aufruf zu einer politischen Lösung des arabisch-israelischen Konflikts, gegen die sich die USA seit zwanzig Jahren stellen, auch indem sie ihr Veto gegen Resolutionen des Sicherheitsrates einlegten.

Was die Vetos im Sicherheitsrat angeht, halten in den letzten zwanzig Jahren die USA mit weitem Abstand die Spitze. An zweiter Stelle liegt Großbritannien, an dritter mit einigem Abstand Frankreich; und die Sowjetunion steht an vierter Stelle. Die USA legen regelmäßig ihr Veto auch gegen Resolutionen der Vollversammlung ein (häufig allein oder mit Unterstützung einiger Klientenstaaten) — Resolutionen zu Aggression, internationalem Recht, Menschenrechtsverletzungen, Abrüstung und anderen wichtigen Fragen. Das ist üblich, seit die Vereinten Nationen nicht mehr als faktisches Instrument der US-Außenpolitik funktionieren. Es gibt keinen Grund zu erwarten, der Zusammenbruch der Sowjetunion werde sich auf die feindselige Haltung der USA und Großbritanniens gegenüber dem internationalen Recht und der kollektiven Sicherheit auswirken; diese Haltung hatte wenig mit dem Kalten Krieg zu tun, wie ein Überblick über die einzelnen Fälle zeigt. Man hat versucht, die Tatsachen und ihre Bedeutung zu verschleiern, indem man sich auf die Gesamtzahl der Vetos über die Jahre beruft, wobei jedoch die entscheidende Frage des Zeitpunkts und der Begleitumstände außer acht gelassen wird.

Die Haltung der USA wurde deutlich während der Debatte über ihre Invasion in Panama, als UN-Botschafter Thomas Pickering dem Sicherheitsrat vortrug, Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen, der den Einsatz von Gewalt bis zum Eingreifen des Rates auf die Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe beschränkt, erlaube den USA den Einsatz der „Streitkräfte... zur Verteidigung unserer Interessen“. Der gleiche Artikel gestattet den USA die Invasion Panamas, um zu verhindern, daß „sein Gebiet als Basis für den Drogenschmuggel in die Vereinigten Staaten genutzt wird“, fügte das Justizministerium hinzu. Washington hat sogar das „Recht zur Selbstverteidigung gegen zukünftige Angriffe“ aus dem Artikel 51 abgeleitet (um die Terrorangriffe auf Libyen zu rechtfertigen). Kurz: Ebenso wie andere Staaten werden die USA tun, was ihnen gefällt, und Recht und Prinzipien als ideologische Waffen einsetzen, die man benutzt, wenn es dienlich erscheint, und fallen läßt, wenn sie lästig werden. Wir tun niemandem einen Gefallen, wenn wir diese Banalitäten verschweigen.

Washingtons Ablehnung der „Verbindung“ in diesem besonderen Falle ist leicht zu verstehen. Die USA sind gegen die diplomatische Lösung aller wichtigen Fragen in diesem Zusammenhang; deshalb sind sie dagegen, sie zu verbinden. Die USA und Israel sind im arabisch-israelischen Konflikt seit langem isoliert. Die USA unterstützen offiziell den Schamir-Plan, der einen „zusätzlichen palästinensischen Staat“ ablehnt (der bereits bestehende ist Jordanien); blockieren jede „Veränderung im Status von Judäa, Samaria und Gaza außer in Übereinstimmung mit der grundsätzlichen Politik der (israelischen) Regierung“, die jede wesentliche palästinensische Selbstbestimmung ausschließt; lehnt Verhandlungen mit der PLO ab und verweigert somit den Palästinensern das Recht, ihre eigene politische Vertretung zu wählen; und ruft nach „freien Wahlen“ unter israelischer Militärherrschaft, während ein großer Teil der palästinensischen Führung im Gefängnis sitzt. Es ist keine Überraschung, daß eine internationale Konferenz und Diplomatie überhaupt nicht zu den politischen Optionen gehören. Gleiches gilt hinsichtlich der Massenvernichtungswaffen, sicherlich ein Thema, das wie in allen ähnlichen Fällen unter Berücksichtigung der Region behandelt werden muß.

Im April 1990 bot Saddam Hussein, damals noch George Bushs Freund und Verbündeter, die Vernichtung seiner nichtkonventionellen Waffen an, wenn Israel sich dazu ebenfalls bereit fände — ein Angebot, das seitdem mehrfach wiederholt wurde. Das Außenministerium begrüßte Saddam Husseins Angebot, sein eigenes Arsenal zu zerstören, lehnte aber die Verbindung „mit anderen Themen oder anderen Waffensystemen“ ab. Man beachte, daß diese nicht näher bezeichnet wurden. Die Anerkennung der Existenz israelischer Atomwaffen würde die Frage aufwerfen, ob denn nicht alle US-Hilfe an Israel illegal ist — gemäß einer Gesetzgebung, welche die Hilfe für jedes Land untersagt, das sich an der heimlichen Entwicklung von Atomwaffen beteiligt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen