: Das tolle Treiben und der Krieg
■ Schweigende Konfettikanonen: Eigentlich sprechen die Zeiten für Karneval
Karneval verkehrt: Vor dem Arbeitsgericht klagt der Betriebsrat einer Hanauer Chemiefabrik den freien Faschingsdienstag ein. „Tief“, sagt der Betriebsrat, „ist das diesbezügliche Brauchtum im Arbeitsleben verwurzelt“. Der DGB geht auf Distanz; wenn es kein buntes Treiben gibt, braucht eigentlich nicht arbeitsfrei zu sein; wenn die „tollen Tage“ entfallen, kann man vernünftig bleiben und im Betrieb. Und wenn es keinen Golfkrieg gäbe, könnten die Konfettikanonen losdonnern. In den Zentralen der Karnevalindustrie, in Köln, Mainz, Düsseldorf oder Frankfurt haben irgendwelche Festverantwortlichen entschieden, den Aschermittwoch diesmal vorzuziehen und Umzüge und große Bälle seinzulassen.
Im ganzen Land hat sich rasch eine Ausfallbewegung entwickelt; wegen der allgemeinen Betroffenheit soll vom faschingsmäßigen Herumalbern abgesehen werden, höchstens auf Vereinsebene im geschlossenen Raum mögen Luftschlangen schlängeln und Pappnasen aufgesetzt werden.
Was ist das für ein Karneval, der jetzt ausfällt? Was sind das für Narren, die ihre Masken in der Schublade lassen? Wieso scheinen sich alle Faschingsverantwortlichen einig zu sein, angesichts des Golfkrieges auf die tollen Tage zu verzichten? Weil sie mittlerweile selbst daran glauben, Karneval sei, wenn Bonbons aus Festwagen geworfen würden, Mainz singt („humba humba täterä“) und lacht (über doofe Pappmaché-Kohls) und zahnlose Büttenredner müde Witzchen reißen.
Leider hat es immer etwas täppisch Trauriges, wenn Kritiker des Volksvergnügens dem Volk sagen, wie es feiern sollte. In diesem Fall aber braucht man sich gar nicht selbst zur Faschingsschelte aufzuwerfen. Etliche Fastnachter protestieren gegen die Absetzung mit der Parole „Karneval statt Krieg“. In der Schweiz haben sich am „schmutzigen Donnerstag“ Narren versammelt und erst recht ein Konfettigeschütz in Gang gesetzt. In Spanien steigt der Umsatz mit Saddam-Hussein-Masken.
Mit dem Protest gegen den Karnevalverzicht wird daran erinnert, daß im Karneval einmal eine Verkehrte Welt auf Zeit zelebriert wurde. Daß, um die herrschende Ordnung vorübergehend auf den Kopf zu stellen, nicht nur gesoffen und gefressen (das auch) und sexuell herumgetollt (auch das) wurde, sondern auch die sonst erlittenen Miß- und Übelstände kräftig angeprangert wurden. Oft genug stand ein Karneval auf der Kippe zur Revolte, manchmal kam es dann dazu. Immer aber wurde der Ordnung ein karnevaleskes Chaos entgegengehalten, das zumindest zeitweilig die Absurditäten und Gemeinheiten der gewöhnlichen Verhältnisse ans Licht brachte.
Es wären jetzt also gute Zeiten für Karneval. Hätten wir nur die rechten Narren. Heiner Boehncke
Der Autor war viele Jahre Hochschullehrer für Deutsch an der Bremer Uni und arbeitet inzwischen als Abteilungsleiter beim Hessischen Rundfunk.
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