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WINTERBOMBEN

■ Vor allem im Winter wird auf Korsika für die Unabhängigkeit von Frankreich und gegen einen Abstieg zum europäischen Massensolarium gebombt. Im Sommer, mit dem Touristengeschäft, kehrt relative Ruhe ein

Vor allem im Winter wird auf Korsika für die Unabhängigkeit von Frankreich und gegen einen Abstieg zum europäischen Massensolarium gebombt.

Im Sommer, mit dem Tourismusgeschäft, kehrt relative Ruhe ein.

VONKARLW.BIEHUSEN

Eine Bar irgendwo im Süden Korsikas. Voller Inbrunst schmettert Giovanni Battista Schnulzen im Stil von Tino Rossi, dessen Popularität auch sieben Jahre nach seinem Tod auf Korsika ungebrochen ist. Alle Thekengäste singen mit. Eben noch hatte er voller Zorn einige der Protestsongs zum besten gegeben, die in den vergangenen Jahren neuen Schwung in die korsische Folklore gebracht haben. „Paß auf“, murmelt er, „der Kleine da hinten ist ein Polizist.“

Dessen Erscheinen war schon statistisch zu erwarten, kommt doch auf hundert Einwohner Korsikas ein Ordnungshüter. Um so erstaunter war man auf der Insel über die Nachricht von einer unentdeckten Versammlung von vierhundert militanten Nationalisten in der Macchia bei Borgo im November. Pressekonferenzen mit zweihundert oder dreihundert Bewaffneten gelten schon fast als normal.

Der Treffpunkt südlich Bastias hat symbolischen Charakter, hatten die KorsInnen unter ihrem Führer Pasquale Paoli doch hier vor 202 Jahren ihren letzten Sieg gegen die Franzosen errungen. Auf die Tradition des vierzigjährigen Krieges um die korsische Unabhängigkeit berufen sich die Nationalisten gerne, die seit etwa zwanzig Jahren in einer verwirrenden Vielzahl von Gruppen und Organisationen mehr oder weniger legal und radikal den „französischen Kolonialismus“ bekämpfen.

„Historisch“ nennt sich denn auch ein neuer militanter Flügel der verbotenen „Befreiungsfront“ FLNC (Fronte di Liberazione Naziunale Corsu). Mit einem „R“ für „Resistenza“ (Widerstand) bekennen sich dessen Mitglieder für Bombenanschläge. Deren gab es 1990 so viele wie selten. Gerade hatte der Polizeipräfekt in Ajaccio am 20. Dezember die Jahresbilanz der Attentate mit „Quellennachweis“ auf 25 beziffert, da stimmte diese Zahl schon nicht mehr: bei Porto-Vecchio explodierten Plastikbomben in sechs Luxusbungalows.

Das alte Jahr endete mit einem Mord an einem Bürgermeister, das neue begann mit einem Wiederaufleben der „blauen Nächte“, mit denen die FLNC vor allem in den siebziger Jahren Aufsehen erregt hatte: an fünf Ferienorten gleichzeitig gingen Plastikbomben hoch.

Die Geschäftsführung des Touristikunternehmens „France Reisen“ ist gleichwohl unbesorgt: „Alljährlich das gleiche Theater, und im Frühjahr beruhigt sich das wieder.“ Im Winter Bomben und im Sommer Urlauber, diesen Rhythmus scheinen die Kunden, meist Mieter von Ferienwohnungen, zu kennen: „Das Geschäft läuft wesentlich besser als vorher.“

Diese Botschaft wird Charles Colonna in Ajaccio freuen. Er ist Präsident des „Comité Régional du Tourisme de Corse“ (CRTC) und kommentierte bereits die Attentatswelle des letzten Winters mit den Worten: „Das ist schädlich für den Tourismus und für die ausländischen Investoren. Aber auf Korsika riskiert man persönlich nichts.“ Jedenfalls nicht als TouristIn. Die Regel galt zumindest in der Vergangenheit, als coole KorsInnen frotzelten: „Im Winter wird gebombt, im Sommer verdient.“ Oder wie eine Geschäftsfrau in Bastia meinte: „Von den Anschlägen erfahren Touristen höchstens aus der Zeitung.“ Tatsächlich haben sich die Nationalisten bis heute an die Regel gehalten, vor jeder „Plasticage“ (es werden durchweg Plastikbomben mit begrenzter Wirkung verwendet) die Bewohner der entsprechenden Ferienanlagen in „Schutzhaft“ zu nehmen. Das sind außerhalb der Saison zumeist ohnehin nur die Hausmeister.

Drastische Selbsthilfe

Geht es den politisch motivierten Attentätern doch durchweg um die Zerstörung von Bankfilialen und touristischen Spekulationsobjekten, die vor allem in Küstengebieten ohne Genehmigung, aber oft mit stillschweigender Duldung von Politikern, Behörden, Gerichten gebaut wurden. Man läßt die Zeit für sich arbeiten: etwaige Klagen werden so lange bearbeitet, bis der Fall verjährt ist oder die geschaffenen Fakten mit einem Verwaltungsakt nachträglich legalisiert werden können.

Bomben als Mittel der drastischen Selbsthilfe treffen in derartigen Fällen durchaus auf Sympathien einer zunehmend für Fragen des Umweltschutzes sensibilisierten Bevölkerung. Die nationalistische Organisation „A Cuncolta Nazionalista“ (ACN) erklärte kürzlich sogar die Verteidigung der Umwelt zu einem ihrer Hauptziele. Insbesondere der Kampf gegen Brandstiftungen, mit denen nur zu oft Bauland vorbereitet wird, gilt ihr als Teil des Kampfes für die korsische Unabhängigkeit.

Die Ansicht ist weit verbreitet, Korsika wolle sich, Mallorca vor Augen, das Schicksal ersparen, zum europäischen Massensolarium (Bronzodrome) zu verkommen. Andererseits gilt der Tourismus als Mittel, die wirtschaftliche Rückständigkeit der Insel zu beenden.

Die ökonomische Unterentwicklung wird durchweg als eigentliche Ursache für die Spannungen gesehen, die sich in Streiks, Attentaten und Kriminalität entladen. Derzeit wirbt denn auch die einflußreichste autonomistische Partei, „Unione di u Populu Corsu“ (UPC), nach baskischem Vorbild heftig für ihr Projekt der Kapitalsammlung, „Femu Qui“ (Machen wir es hier), zur Förderung heimischer Kleinunternehmen, das einen Beitrag gegen Unterentwicklung und Arbeitslosigkeit leisten soll. Der gemäßigte Flügel der FLNC hat mit wissenschaftlicher Akribie einen Plan zur sozialistischen Gesellschaftsreform entworfen, um das Übel gewaltlos an der Wurzel zu fassen. Und zu Beginn des Jahres 1991 hat er sogar eine ältere, oft gebrochene Waffenruhe offiziell verlängert.

Spaltpilz im Untergrund

Unklar ist aber, wie groß der Einfluß der „Moderaten“ im Untergrund derzeit noch ist. Spaltungstendenzen sind in der Szene unübersehbar. „A Cuncolta Nationalistá“, „Accolta Naziunale Corsa“, „U Muvimento pà l'Autodeterminazione“, das sind, Stand Ende 1990, die Namen der drei größten politischen Organisationen radikaler Nationalisten. Was sie verbindet, ist der Kampf um die korsische Unabhängigkeit von Frankreich. Was sie trennt und welche Untergrundgruppen (wenn überhaupt) sie inspirieren, bleibt selbst KorsInnen oft unerfindlich.

„Der Zement, der die Solidarität gegen die Repression bildete, brökkelt“, meinte Fran¿ois Alfonsin, Generalsekretär der UPC. Ausgerechnet die Liberalisierung der zuvor restriktiveren Korsika-Politik der Pariser Zentralregierung hat die Szene in Bewegung gebracht und das schon zuvor nicht gerade übersichtliche Spektrum der Nationalisten, Autonomisten und Separatisten noch breiter gefächert.

Kaum war der sozialistische Innenminister Pierre Joxe mit seinem Plan an die Öffentlichkeit getreten, die Selbstverwaltungsrechte Korsikas noch über das bereits 1982 erreichte Maß hinaus in einem Sonderstatut zu erweitern, verkündete etwa eine neue „Armee zur Nationalen Befreiung Korsikas“ (ALNC): „Das Projekt soll lediglich das korsische Volk einlullen.“ Zumindest die Studierenden der Universität in Corte wachten auf: Wochenlang legten sie im Herbst den Lehrbetrieb lahm und motivierten in Massendemonstrationen auch Schülerinnen und Schüler auf der ganzen Insel dazu, in ihre Forderung nach größerer kultureller Autonomie Korsikas einzustimmen. Sie forderten die Gleichberechtigung der korsischen Sprache neben der französischen.

Immerhin hat die Nationalversammlung in Paris im Januar 1991 mit ihrer Zustimmung zum Joxe- Entwurf die Existenz des korsischen Volkes als kulturelle Gemeinschaft erstmals anerkannt, doch nur als Teil des französischen Volkes.

Schon dieser Schritt hat die korsischen Anhänger des Zentralismus auf die Palme getrieben. Dazu gehören die meisten etablierten Politiker der Insel. Sie äußern ihre Sorge um die Einheit der Nation und den Verdacht, Restfrankreich wolle sich aus der kostspieligen Verantworung für das Wohl Korsikas schleichen. In der Tat erweitert der Sonderstatus für Korsika die Kompetenzen der Verwaltungsorgane, ohne die Finanzierung neuer Aufgaben und Projekte sicherzustellen.

Dennoch fürchten die einflußreichen Clans vermutlich vor allem um ihren Einfluß auf einer stärker selbstverwalteten Insel. Paris ist rechten wie linken „Patrons“ als Sündenbock genauso nützlich wie als externe Quelle der internen Macht und der Mittel, sie mit Geld und Pfründen zu erhalten. Aber selbst ein Kommentator, der sich im zerstrittenen Korsika um Sachlichkeit bemüht, sieht die Finanzfrage als zentrales Problem: „Mangel bleibt Mangel, auch wenn er gut verwaltet wird.“

Kampf auch gegen Drogen

Zu neuen (Atten-)Taten fühlen sich angesichts der wachsenden Distanz Korsikas zu Paris auch profranzösische Untergrundgruppen aufgerufen. Und um das Maß der Verwirrung weiter zu füllen, hat neuerdings eine militante Organisation namens „A Droga Basta“ von sich reden gemacht, die den privaten Kampf gegen die Drogenkriminalität aufgenommen hat.

Die Polizei, so lautet die weitverbreitete Meinung, hat bislang auf diesem Feld versagt; lange war Korsika von der Drogenmafia weitgehend verschont geblieben. Doch in den 80er Jahren begann sie auch hier neue Märkte mit Gewehren und Pistolen abzustecken — und alte Rechnungen zu begleichen. Nicht wenige Mitglieder der Mafia aus Marseille, so wird gemunkelt, haben sich in den vergangenen Jahren in Korsika, im Land ihrer Väter, zur Ruhe gesetzt.

Insider haben schon lange bestritten, daß die Morde — 15 waren es 1991 — durchweg politisch motiviert waren. Bei etlichen dürfte es sich um ganz „normale“ Racheakte im Stile der längst noch nicht verschwundenen „Vendetta“ gehandelt haben. Die meisten aber dürften infolge von Bandenkriegen verübt worden sein, wobei sich freilich Politik und Kriminalität zu mischen beginnen: „Schutzgelder“ kassieren nicht nur die Banditen; „Mafia no“ sprüht die erwähnte ALNC, um saubere Trennung im Untergrund bemüht, auf die Wände.

Trotz der hohen Polizeipräsenz sind die Morde genausowenig aufgeklärt worden wie die „Plasticages“ gegen Ferienwohnungen, Behörden und Banken. Bombenwerfer schützt noch immer weitgehend die Solidarität der KorsInnen, von denen sich gerade bei einer Umfrage nur 45 Prozent von den Nationalisten distanziert haben. Die Quote entspricht etwa dem Anteil von NichtkorsInnen unter den 250.000 EinwohnerInnen (die hohe Präsenz von Maghrebinern hat auch schon zu rassistisch motivierten Attentaten geführt).

Bei der Beerdigung von Lucien Tirroloni — der Präsident der Landwirtschaftskammer wurde von Unbekannten am 10. Dezember erschossen — verriet ein anonymer Polizeioffizier dem Magazin 'Kyrn‘ einen Grund für die geringe Effizienz der Ordnungsmacht im Kampf gegen die Kriminalität: „Zu lange wurde die Hexenjagd auf Nationalisten priorisiert, während die großen Banden jeden Tag an Boden gewannen.“

Der korsische Alltag und schon gar der touristische ist freilich in keiner anderen Weise von Kriminalität geprägt als in allen Ferienregionen, wo der Reichtum von Gästen auf die Armut von Gastgebern trifft. Eher in geringerem Maße. Und man muß sich als DeutscheR schon große Mühe geben, in die innerkorsischen und innerfranzösischen Streitigkeiten einbezogen zu werden.

Isolation vom Rest der Welt wünschen sich die KorsInnen ohnehin nicht. Im Gegenteil: Wenn sie sich in einem Punkt einig sind, dann ist es in der Hoffnung, auch für Korsika möge ein Zimmer im europäischen Haus reserviert bleiben.

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