: „Für den Frieden werden sie uns brauchen“
■ Interview mit Takashi Ishihara, Nissan-Präsident und Vorsitzender des japanischen Arbeitgeberverbandes Keizaidoyukai
Tokio (taz) — Takashi Ishihara, Präsident von Japans zweitgrößtem Autohersteller Nissan, ist der erste japanische Wirtschaftsführer, der sich zum Golfkrieg öffentlich äußert. Im taz-Interview übt er implizit Kritik am Krieg, wenn er sagt, daß Japans Unternehmen sich Sorgen über eine lange andauerende mitlitärische Auseinandersetzung und das sehr hohe Haushaltsdefizit in den USA machen. Zum zweitenmal ließ sich Ishihara von der taz befragen. Vor einem Jahr (s. taz vom 28.3.1990) standen der japanisch-amerikanische Handelskrieg und die Ereignisse in Osteuropa im Zentrum des Gespräches; inzwischen überschattet der Nahost-Krieg das Zeitgeschehen. Aus der erwarteten „Friedensdividende“ nach Ende des Kalten Krieges sei nun eine „Obligation zum Frieden“ geworden, schreibt Ishihara in seinem gerade veröffentlichten Konzeptpapier „Umgang mit revolutionären Veränderungen“. Ishihara, der im Frühjahr den Vorsitz des japanischen Arbeitgeberverbandes Keizaidoyukai abgibt, will kurz vor seinem 79. Geburtstag nichts vom Rückzug ins Private wissen.
taz: Wie stellt sich ein japanischer Arbeitgeberpräsident den Gefahren von Krieg und Weltrezession?
Takashi Ishihara: Heute gehe ich eher pessimitisch als optimistisch an die Dinge heran. Japan wird nicht verschont bleiben. Schon heute müssen wir auf die Exporte an wichtige Abnehmer in den Golfstaaten verzichten. Unsere Sorgen gelten der Erwartung eines langen Krieges. Dann wird es auch für uns sehr schwer werden.
Trotzdem entsteht in den USA und Europa der Eindruck, Japan lasse sich von der Golfkrise nicht beeindrucken.
Ich glaube, daß viele Leute, auch unter den Unternehmern, ziemlich unruhig sind. Nur der Alltag ist noch nicht direkt bedroht. Deswegen entsteht wahrscheinlich der Eindruck der Gelassenheit.
Ihre Konkurrenzfirma Toyota hat sich bereits eine allgemeine Kürzung der Büroausgaben um zehn Prozent verordnet. Wie reagiert Nissan?
Bisher sehen wir uns zu solch durchgreifenden Maßnahmen nicht gezwungen. Allerdings ist die Produktion tausender Autos für Saudi- Arabien, den Iran und den Irak eingestellt worden. Wir glauben, daß weitere Produktionsdrosselungen folgen werden.
Befürchten Sie, daß das Öl im Laufe der Krise knapp werden könnte?
Solange die amerikanischen Lufteinheiten so stark sind wie jetzt, kann der Irak nichts unternehmen. Dennoch könnte ein längerer Krieg die Tankerschiffahrt im Persischen Golf gefährden.
Sucht Japan bereits nach neuen Energiequellen, zum Beispiel in der Sowjetunion?
Noch nicht so konkret. Aber es ist wahr, daß die Menge der Öleinfuhren bereits weniger geworden ist. Deshalb hat die japanische Regierung alle Bürger zum Energiesparen aufgerufen. Es wird überlegt, die Lichter der großen Brücke von Yokohama und vom Tokio Tower nachts zu löschen. Das sind natürlich nur symbolische Akte. Aber dadurch nehmen die Menschen wahr, daß Energiesparen wichtig ist. Ich unterstütze diese Politik.
Was effiziente Energienutzung betrifft, können die Europäer und US-Amerikaner von Japan sicher einiges lernen. Was halten Sie von der energiepolitischen Unvernunft des Westens?
Auch die Japaner leben noch verschwenderisch. Sie fressen zuviel bis spät in die Nacht hinein. Da müssen wir uns vielleicht Deutschland zum Vorbild nehmen.
Japanern und Deutschen bereitet es Sorge, daß die Vereingten Staaten derzeit wirtschaftlich zu wenig stabil sind, um in der Krise ausreichend Führungsstärke zu zeigen. Teilen Sie dieses Befürchtungen?
Es muß uns natürlich Sorgen bereiten, wenn die USA nun wieder ein Defizit von 320 Milliarden Dollar schreiben. Wenn das Land jedes Jahr ein solch großes Defizit hat, führt das eines Tages unweigerlich zur Inflation und zum Wertverlust des Dollars. Der ganze Berg der bereits angesammelten Staatschulden gibt schon Anlaß genug zur Sorge.
Der Krieg läßt die wirtschaftlichen Aussichten noch unsicherer erscheinen. Bleiben Japan und Deutschland als letzte Felsen in der Brandung zurück?
Die Deutsche Bundesbank hat kürzlich die Zinsen erhöht. Danach gab es von überall viel Kritik. Ich halte aber dieses Signal für richtig, um die drohende Inflation abzuwehren.
Die Vereinigten Staaten aber erwarten von Japan das genaue Gegenteil, nämlich Zinssenkungen, damit sich das Washingtoner Defizit leichter finanzieren läßt. Sind Sie dagegen?
Herr Mieno, der Präsident der „Bank of Japan“ (die japanische Notenbank/ d. Red.), teilt mit mir die Sorge über die Möglichkeit heftiger Preissteigerungen. Dagegen gibt es Stimmen in der japanischen Industrie, die schon heute die relativ hohen Zinsen von sechs Prozent senken wollen. Für mich ist die Inflationsgefahr dennoch entscheidend. Ich halte es für nötig, daß die Vereingten Staaten ihre Zinsen senken, Japan das aber nicht tut. Dann aber müssen die Amerikaner bescheidener leben. Aufgabe amerikanischer Politik sollte es heute sein, die Menschen dazu zu führen, daß sie weniger konsumieren, zum Beispiel durch Steuererhöhungen.
Japan und Deutschland stehen gleichermaßen im Kreuzfeuer US- amerikanischer Kritik, weil beide Länder sich angeblich nicht ausreichend im Golfkrieg engagieren.
Ich kann mir vorstellen, daß die USA nach dem Krieg noch viel mehr als jetzt von Japan und Deutschland verlangen werden. Sie werden von uns Unterstützung haben wollen, wenn sie in Saudi-Arabien wieder Frieden schaffen müssen. Sie werden uns brauchen, wenn sie Israel finanzielle Hilfe leisten wollen.
Japan hat seinen wirtschaftlichen Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg einer langen Friedenszeit zu verdanken. Steht im Golfkrieg nicht auch die Zukunft einer friedlichen Entwicklung der Weltwirtschaft auf dem Spiel?
Auch nach dem Krieg wird die amerikanische Armee im Nahen Osten bleiben müssen. Wo aber eine fremde Armee herrscht, wird es keinen richtigen Frieden geben.
Die Beziehungen der USA zu Lateinamerika ebenso wie die Beziehungen Europas zu Afrika und Vorderasien sind noch heute durch militärische Interventionen gekennzeichnet. Werden Japans friedliche Beziehungen zu den südostasiatischen Staaten in Zukunft als beispielhaft gelten?
Wenn Japan eine hochgerüstete Armee in den Golfkrieg entsenden würde, dann würden die Länder Südostasiens Angst bekommen, daß Japan schon wieder so mächtig sei und nach Eroberungen trachte. Wenn Japan das also nicht tut, mag das vielleicht den Amerikanern und einigen Europäern mißfallen. Aber die Menschen in Südostasien sind beruhigt.
Wie soll dann die Kriegspolitik Japans oder auch Deutschlands aussehen?
Die beiden Länder sollen sich Mühe geben, den armen Ländern im Kriegsgebiet, wie etwa Jordanien, anständige Hilfe zu leisten.
Sie meinen also, daß Japan seiner Verfassung treu bleiben soll, die jede Beteiligung an militärischen Konflikten prinzipiell ausschließt?
Das muß das Volk entscheiden. Im Augenblick scheint die Mehrheit für unsere heutige Verfassung zu sein. Jede Verfassungsänderung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung einer Mehrheit im Volk.
Viele Amerikaner sehen Japan in der historischen Pflicht, den USA im Golfkrieg auch militärisch beizustehen.
Das Geld hilft uns, solche Schwachstellen zu kompensieren. Sogar die japanischen Öltanker müssen derzeit von amerikanischen Kriegsschiffen begleitet werden, weil die Verfassung uns so etwas eben nicht erlaubt.
Herr Ishihara, seit 1985 sitzen Sie dem einflußreichen japanischen Arbeitgeberverband Keizaidoyukai vor und werden diese Aufgabe nun im Frühjahr abgeben. Üben Sie im Rückblick auch Selbstkritik?
In der Zeit, von der Sie sprechen, hat Japan große Fehlschläge erlitten, die auch der Keizaidoyukai nicht verhindern konnte. So sind die Land- und Aktienpreise in diesen Jahren enorm angestiegen und haben eine Finanzblase erzeugt, die sich wirtschaftlich nur schwer kontrollieren läßt. Das andere Problem ist, daß die Preise hier nicht gesunken sind, nachdem wir 1985 den Yen gegenüber allen westlichen Währungen aufgewertet hatten. Dadurch sind die Importe in Japan nicht billiger geworden. Es gibt also viel zu tun.
Ihr Rücktritt leitet auch einen Generationswechsel ein. Haben Sie Angst, daß die Nachkriegsgeneration nicht die gleiche Weltoffenheit bewahren wird, für die Sie bislang eingetreten sind?
Ein bißchen schon. Zwar haben wir versucht, unsere jungen Angestellten so zu erziehen, daß sie unsere Ideen übernehmen. Und doch haben die jungen Menschen heute eine andere, etwas amerikanisierte Lebenseinstellung. Sie wollen ihr Leben mehr genießen, weil Japan bereits eine Wirtschaftsmacht ist. Die junge Generation braucht nicht mehr für den ersten Rang zu arbeiten.
Wie lautet Ihre politische Empfehlung an die Regierung?
Ich hoffe, daß sie eine Politik macht, die Japan in der Welt nicht isolieren wird — nicht gegenüber den USA, aber auch nicht gegenüber Asien.
Interview: Chikako Yamamoto
und Georg Blume
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