Zehn Fingerkuppen für den Hummer

Der 100 Prozent pathosfreie Novemberbeweger und Mikrobiologe Jens Reich verspeiste mit Frau am Samstag in der Schöneberger Gutbürgerlichküche Wohlbold einen Zwiebelröstbraten. Beim Bier sprach er sich für Diplomatie statt Krieg im Golf aus.

Nobelfutter gab's hingegen zu gleicher Zeit im ehemals besetzten (und nun von den Besetzern besessenen) Haus Potsdamer Straße 130. Dort wurde mit rund 250 Gästen 10jähriges Besetzungsjubiläum gefeiert. Die als Schicki-Besetzer verschrienen BewohnerInnen hatten das Schalentier im KaDeWe erstanden, es Fridolin getauft und dann bei lebendigem Leib in kochendem Wasser zu Tode gebracht. Auch wenn dies die übliche Art der Zubereitung ist, darf man doch hoffen, daß der nächste Hummer-Kollege irgendwann einmal mindestens zehn alternative Fingerkuppen mit ins Jenseits nimmt. Apres Tierquälerei nahmen die jungen erfolgreichen Leute statt Bier wie üblich Sekt zu sich und zeigten nebenbei Häuserkämpferdias und Heimatfilme. Ein Lagerfeuer wurde nicht entzündet. Dennoch fand Altreporter Lutz Ehrlich: »Das war ja wie im Feldlager bei den Falken. Nur Teppichratten [=Kinder, d. Red.] im bürgerlichen Wüstenrot- Charme — todlangweilig.« Kollege CC Malzahn, ebenfalls anwesend, konnte darauf nur erwidern: »Midlife-Crisis hat der Mann, war eine geile Party.«

Zwei Tüten Vollkornkekse hingegen ließ der australische Gesundheitsminister Peter Staples schnöde stehen, als er sich am Samstag mit dem Sozialexperten der Alternativen Liste Michael Haberkorn zum Kaffeetrinken auf dessen Hausboot traf. Er nahm nur Flüssigkeit zu sich. Staples ist in Berlin, um sich unter anderem über die Drogensituation in Berlin zu informieren.

Nach 45 Jahren wird auch der Rias umweltbewußt. Auf der Jubiläumsparty gab es statt der üblichen Plastiktüten riesige Jute- oder Leinenbeutel mit kleinen Geschenken respektive Info-Material. Zwei, die wir demnächst mit diesem Täschchen bei Bolle oder Kaiser's sehen werden, sind AL-FraktionschefinRenate Künast und die Königin des Abgeordnetenhauses Hanna-Renate Laurien.

Volker Härtig (Holker Värtig), immer noch auf dem Weg zum Burger- King des neuen Zentralbezirkes Kreuzberg, mußte wegen Überarbeitung seinen Sitz im Geschäftsführenden Ausschuß der AL niederlegen. (Verständlich, verständlich. Soll er doch bei den spannenden Sitzungen dieses Gremiums stets als Letzter gekommen und als Erster gegangen sein.) [Krank trotz effektiver Arbeitspraxis? — d.S.]

Die vier Gebrauchsgraphiker von der PGH Glühende Zukunft haben am Wochenende ihre erste Feuerstelle, das heißt gemeinsame Werkstatt, auf der Kultur- und Renommiermeile Oderberger Straße (17) eröffnet. Mitglieder des Kunsthandwerkskollektivs sind bislang: Theater- und Kinderbuchmaler Henning Wagenbreth, 'Zitty‘-Covergestalter Detlef Beck, Femo-Wahlplakatgestalterin Anke Feuchtenberger und Softsex-CartoonistHolger Fickelscherer ('Magazin‘). Der ganze 20 Quadratmeter große Arbeitssaal wurde bei der Feier von ganzen 100 Gästen bevölkert. Wie Augenzeugen berichteten, sollen die Fensterrahmen mit goldenem Lack überzogen sein, außerdem war voll geflaggt: eine Piratenfahne mit Kohl- Birne und darunter gekreuzten Knochen, ein schwar-rot-gold-geblümter Lappen usw., usf. Zur Rettung des darbenden Radio 100 wurden Graphiken versteigert.

'Vogue‘-Redakteur Arno Widmann weilt für kurze Zeit wieder in der Hauptstadt. Grund: Widmann- Freundin Gudrun Körner hat Hammer und Meißel beiseite gelegt und ihre Dissertation zur Theorie der Bildhauerkunst an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert erfolgreich abgeschlossen. Herzlichen Glückwunsch von Marianne