: Behandschuhte Exzesse
■ Das »Ensemble Modern« in der Akademie der Künste
Viele, die sich am Sonnabend in der Akademie der Künste einfanden, hatten offensichtlich mehr erwartet. Im Rahmen der »Inventionen« sollten neue Kompositionen von Luigi Nono, Heiner Goebbels, Michael Obst und Tamas Ungvary vorgestellt werden. Durch das Murmeln und Räuspern kurz vor der Aufführung drangen Stimmen, die im Schnelldurchlauf das Programm noch einmal charakterisierten. Eine sprach davon, daß Luigi Nono nicht chaotisch, nein, eher still sei; daß man bei Goebbels mit Tonband und Texten rechnen müsse. Eine andere entgegnete, der Komponist Obst suche noch seinen persönlichen Stil, was in den Zeiten des Krieges unglaublich belaste. Der Kunstkopf, der in der zweiten Reihe zur Aufzeichnung aufgestellt worden war, wird das Gemurmel noch besser ausspioniert haben; auch das ehrwürdige Schweigen, das bei der Erscheinung der Tonkünstler einsetzt.
Sechs Musiker arbeiteten sich eifrig, konzentriert und diszipliniert durch das erste Stück Luigi Nonos, einer Komposition für sechs Schlagzeuger. In einem endlosen Durcheinander aus Triangeln, Rasseln, Glöckchen, Pauken und Trommeln, bewegten sich die Musiker traumhaft sicher, nur dem Labyrinth der Töne folgend. Der überwachende Dirigent hatte dabei wenig Einfluß auf das Geschehen, ein Teil der Klangkörper war zusätzlich mit Ringmodulatoren, Frequenzgeneratoren, eben der in der Klassik gebräuchlichen Elektronik verkabelt. Und so erklang ein hingebungsvolles Sixties-Getrommel, das sich zwischen Meditation und Kurzwellenesoterik bewegte, sanft angehauchten Paukenschlägen und dumpf erzitternden Tönen aus dem Waldteufel, dem wannenartigen Instrument, für dessen Betrieb ein Musiker sogar zum Handschuh griff.
Soviel Klangwerk will beim Abbau Weile haben. Lange konnte man einer Vielzahl von Technikern in den Pausen beim Transport der kostbaren Instrumente zusehen. Vielleicht hätten einige der tätowierten Bären, die als Hardrockroadies touren, die Bauten schneller erledigt. So wurde etwas ratlos heraumgeräumt und verkabelt, was sich später fast schon als Salat ausnahm. Wartend blickte ein Flötist in die Ferne auf das Mischpult und wurde vom lauten Feedback, das aus den Boxen ertönt, erst wieder geweckt.
Die Nachtstücke von Michael Obst folgten, behutsam temperierte Miniaturen, die in der Art früherer Programm-Musiken ein poetisches Abbild des nächtlichen Lebens bis zum Morgengrauen wiedergaben. Da war bereits der Wurm im Schaltkreis der Baßanlage, selbst bei gefühlvollem Zupfen überlagerte die Töne des Kontrabassisten ein Zerren und Krächzen. Dennoch ließ sich äußerst bündig den Klängen der Nacht folgen, bis eine balinesisch anmutende Flötenmelodie langsam den Sonnenaufgang einleitete und damit die Pause mit längeren Gesprächen im Foyer, während die Techniker auf der Bühne verzweifelt versuchten, die Fehlerquellen im Kabelwirrwarr auszumerzen.
Stand der erste Teil des Abends im Zeichen der Interpretation, so folgte für den Rest des Konzertes Intensität. Jugendlich, das heißt ungestüm und ungeduldig, sollten die folgenden Stücke auf Eigenrechte pochen und nicht in der Apathie der sonst so nüchternen E-Musik ausharren. Tamas Ungvary wirbelte mit wilden Klängen vom Computer durch die Hörgewohnten, blies lärmend die Ohren frei, für Chaostheorie und Datenexpressionismus werbend. Was vom Band verstärkt auf das Publikum einbrach, wurde von den Instrumentalisten auf der Bühne lautstark und impulsiv geigend und blasend unterstützt und am Ende frenetisch bejubelt. Wie eine Rache an der abstrakten Sinnlichkeit des bisher Gehörten waren minutenlang digitale Urlaute erklungen.
Doch viele hatten insbesondere auf die Komposition Heiner Goebbels gewartet, die als Abschluß dem Titel nach »Befreiung« versprach. Goebbels hat mit einem anarchischen Klanggebilde Auszüge aus dem Theaterstück Krieg von Reinald Goetz unterlegt. Im Stück schleudert die Figur Stammheimer Haßtiraden auf die Welt heraus, die schlecht ist, dumpf, ein einziger Dreck. Stammheimers Rede ist eine Entladung, nach der es keine Ruhe gibt, die nur um so schonungsloser in den folgenden Szenen vorangetrieben wird, bis zum Gedanken vom Totalumsturz, der mit Minimalbewegung im Zentrum ausgelöst werden soll.
Goebbels verfährt in der musikalischen Darstellung jedoch anders. Zwar liegt im Gesamtklang der Komposition ein vielfach undifferenziertes Schwelen, Lärmagitprop. Aber auf Dauer wurde der handwerkliche Exzess der Musiker, die versuchte Destruktivität am Instrument bei gleichzeitig fortlaufender Kontinuität der Form, zum Widerspruch. Zerstörung löscht aus, hinterläßt Löcher, die bleiben müssen. Im Gewühl der Musik wurden Schnitte und Risse jedoch unkenntlich gegenüber der Sprache entstellt. Die Wortgewalt verschmolz indes mit der Stimme des Sprechers zum Redebeitrag und übertönte die Musik nie. Die Stimme wankte am Ende an der Grenze zum Überschlag, und war doch nur unbeabsichtigtes Werkzeug der Worte. In einer sich verausgabenden Sprachform wie dem Rap oder Hip Hop hätte die Aufgabe des Textes erfüllt werden können: reine Agitation, Public Enemy. So endete der Abend, wie er begonnen wurde: aus kulturkritischer Distanz. Harald Fricke
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