Standbild: Mit gehobenem Störfaktor

■ "Elf 99" Die Störung hat System, Freitag, 15.20 Uhr, ARD

Nun hat also auch das System der ARD seine Störung — womit gewiß nicht der Senderausfall zu Beginn gemeint war. Aus dem Kanal der DFF-Länderkette schwappte, avisiert von Tagesthemen-Grandseigneur Friedrichs persönlich, für einen Nachmittag das vielgelobte Jugendprogramm herüber, das schon zu Honecker-Zeiten durch gewagte Beiträge von sich reden machte. Da Mangel an Verdruckstheit und die Abwesenheit von kleinmütiger Obrigkeitshörigkeit hierzulande bereits mit Frechheit gleichgesetzt wird, ist Elf 99, relativ unbeachtet, tatsächlich eine frische und vergleichsweise unbotmäßige Sendung. Dreist schickte die Redaktion nach „Vorsicht-Kamera“-Manier eine Gruppe Ostler los, auf Westgebiet angebliche Besitzansprüche auf Grund und Boden geltend zu machen. Hoppla, da werden die Eigenheimeigner aber kiebig! Entlarvend auch, wenn die Journalisten unter Rüstungsgüterproduzenten in der Ex-DDR rechertieren und eine gestandener, PR- erprobter Westmann zum Abbügeln der Vorwürfe an die Interviewfront geschickt wird. Weitere Berichte beschäftigten sich mit den Goldgräbern der Aufbruchphase, den Videothekaren, Gebrauchtwarenhändlern und Imbißbetreibern, und mit den finsteren Zukunftsaussichten der Berufsschüler im Tagebaugebiet um Leipzig, wo man die Lehrlinge „auf Halde“ ausbildet — ein bitteres, aber treffendes Wortspiel. Auferstehung feierte dagegen das Schützen(un)wesen in Ostdeutschland; anscheinend kann der Deutsche nie genug bekommen von Uniformen, Schießgewehren und Geselligkeit im rustikalen Rahmen.

Zum Konzept des Magazins mit gehobenem Störfaktor gehören eigene und vorgefertigte Musikclips, Interviews mit ungewöhnlichen Bands wie Deka-Dance, Leipzigs Antwort auf die Leningrad Cowboys, und auch Madonnas sagenumwobenes, aber absolut jugendfreies Video zu Justify my love findet ein Sendeplätzchen. Die eingeschobenen Nachrichten werden auf das jugendliche Publikum zugeschnitten, wobei auch weltpolitische Ereignisse nicht außen vor bleiben.

Themenwahl und -präsentation sind, soweit man das anhand dieser einen, noch dazu gekürzt übernommenenen Sendung ermessen kann, auf erträgliche Weise unkonventionell, der Zielgruppe angemessen und ein Wiedersehen wert. Gestört haben eigentlich nur die jungen ModeratorInnen — die Knaben, die sämtlich wie Günther-Jauch-Clones agieren, und Victoria Herrmann, die auf Teufel komm raus gute Laune verbreitet, als hoffe sie auf eine Festanstellung als Ansagerin bei RTL plus. Hier darf man etwas mehr Persönlichkeit und eigene Linie einklagen — damit die Störung auch künftig System hat.Herr Dittmeyer