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Von der Steinlawine zur Geldlawine

Mit den ersten Nordischen Ski-Weltmeisterschaften südlich der Alpen möchte Val di Fiemme in den Kreis berühmter Skizentren aufsteigen, mit skandinavischen Jubelrennen aber hält es nicht mit  ■ Von Gerhard Claar

Val di Fiemme (taz) — Zum ersten Mal finden nordische Ski-Weltmeisterschaften auf der Südseite der Alpen statt. Im italienischen Trentino, speziell in Val di Fiemme — dem Fleimstal — bieten sich unter den fröhlichen Blicken des Maskottchen „Skiri“, einem Eichhörnchen, den Athleten aus 29 Ländern beste Bedingungen in den Loipen um das Stadion del Fondo und beim Springen von den Dolomiti-Bakken im Stadio del Salto in Predazzo.

Knapp 29 Milliarden Lire hat allein die autonome Provinz Trient per Gesetz für den Bau dieser hochmodernen Anlagen vorgestreckt. Dazu kommen noch 8 Milliarden für die Organisation, die fast vollständig durch Sponsoren abgedeckt wurden, was Italiens Ski-Generalsekretär Tito Giovani immer wieder stolz den über 1.500 akkreditierten Journalisten in die Notizblöcke diktiert.

Weitere Pluspunkte bringt der Verkauf des munteren Maskottchens „Skiri“ (made in Hongkong) für stolze 15 bis 20 Mark. Absatz findet es allemal, denn nach inoffiziellen Schätzungen haben allein an den ersten drei Tagen rund 40.000 Fans die Kassentore passiert, womit die erhofften 200.000 Zuschauer keine Utopie bleiben. Das Fleimstal mit seiner antiken Alpenkultur und seinen Naturschönheiten bietet viel, die Gastfreundlichkeit der Einheimischen ist kaum zu überbieten.

Nachdenklichkeit kommt nur auf, wenn die Rede vom „Schwarzen Freitag“, dem 19. Juli 1985, ist. Damals brach das Becken der Mineralschutthalde von Prestavel und eine ungeheure Steinlawine wälzte sich durch das Flußbett des Stava. Sie riß Straßen und Häuser mit und richtete in kürzester Zeit unglaubliche Verwüstungen an. Deren Reste kann man noch heute auf der Fahrt zum Sprungstadion in Predazzo besichtigen. 286 Tote und Milliarden Lire Schäden waren die tragische Bilanz der zweitgrößten Industriekatastrophe Italiens in den Nachkriegsjahren. Um so engagierter bemüht sich das Touristengebiet um steigende Bekanntheit, wofür Super-Weltmeisterschaften im nordischen Skisport das beste Aushängeschild wären.

Mehr auf das eigene denn auf das Wohl der Südtiroler Bevölkerung sind dagegen die 26 zugelassenen internationalen und offiziellen Sponsoren bedacht. Ihren Konkurrenzkampf um allgegenwärtige Präsentation führt momentan die Automarke mit dem Stern an, die über 1.000 Organisatoren, Funktionäre und Journalisten zur großen Massenbeköstigung einlud. Im Riesenzelt nahe des Langlaufstadions wurde dann schnell mal ein Geländewagen verschenkt, flotte Volksmusik gedudelt und auf der großen Videoleinwand immer wieder an die Geschichte des ruhmreichen Unternehmens erinnert. Draußen schneite es indessen noch einmal vollkommen überflüssige 15 Zentimeter, wo doch Organisationschef Tononi zusätzliche 2.500 Kubikmeter Kunstschnee in stiller Reserve hält.

Die deutsche Mannschaft hat Quartier im gediegenen Parkhotel Regina delle Dolomiti in Panchia bezogen. Bei den regelmäßigen Pressekonferenzen wie weiland bei Kaiser Franz zur Fußball-WM kann man sich von der guten Stimmung überzeugen. Die deutschen Schreiberlingen haben freien Zugang, nachdem sie erfolgreich einen Versuch vom Skiverbandssportwart Braun abwehrten, der den vielen Interviewwünschen ein Haltesignal setzen wollte. Grund dazu gibt es eigentlich keinen, denn die sportlichen Ergebnisse bewegen sich in erwartetem Rahmen: Allgemeine Anerkennung fanden die Plazierungen im 10-km- Langlauf von Simone Opitz (5.), von Jochen Behle über 30 Kilometer (11.), sowie vom Kombinierer Hans- Peter Pohl (5.). Es darf also noch weiter gelächelt werden.

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