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Pure Heuchelei

■ Primakows Irak-Mission ist Ausdruck alter sowjetischer Weltmachtrhetorik KOMMENTARE

Zweimal schon sind die Irak-Missionen Iwgenji Primakows in die Binsen des Tigris gegangen — die jetzt angekündigte dritte Mission wird ähnlich enden. Primakow, ein Irak-Experte aus der guten alten Zeit der Stagnation, war nach der Besetzung des Kuwait von Gorbatschow beauftragt worden, seinem ehemaligen Klienten gut zuzureden. Aber leider, leider konnte das nicht klappen. Zum Zeitpunkt von Primakows ersten Reisen hatte die Sowjetunion bereits das Projekt aufgegeben, ihre Zustimmung zu einer Militäraktion gegen den Irak an den Aufbau einer authentischen UNO-Truppe zu binden, die denn der Weltorganisation verantwortlich gewesen wäre. Gorbatschow zog es vor, die USA gewähren zu lassen. Er stahl sich von der Bühne, ausgestattet mit dem amerikanischen Placet, sein eigenes kleines Schurkenstück in den baltischen Staaten inszenieren zu dürfen. Wenn er jetzt darüber Klage führt, die Intervention der „Koalition“ drohe, die Grenzen des UNO-Mandats zu überschreiten, ist das schlichte Heuchelei. Es war absehbar, daß Ausmaß und Ziele des Krieges unter dem Einfluß der USA verändert werden würden.

Auch jetzt wird Gorbatschows Diplomatie keineswegs von dem Bemühen geprägt, die UNO und ihren Generalsekretär bei der Suche nach einem allseits tragbaren Kompromiß zu unterstützen. Seine Beschwörungsformel gegenüber der eigenen Bevölkerung, die Sowjetunion müsse Supermacht bleiben, um international intervenieren zu können, folgt der alten Logik „Je stärker die Kontrolle durch die Großen, desto sicherer der Friede“. Letztlich ist die Außenpolitik immer abhängig von den Herrschaftsverhältnissen im Innern einer Nation. Als Gorbatschow — freiwillig oder gezwungen — den Erhalt der bürokratisch-militärischen Zwangsgewalt zur obersten innenpolitischen Regierungsmaxime erhob, war auch das „Neue Denken“ in den internationalen Beziehungen in Frage gestellt. Aber Gorbatschows neu formuliertem Anspruch, in der Weltpolitik eine „Schlüsselfunktion“ spielen zu wollen, steht eine einfache Tatsache entgegen: Die Sowjetunion ist keine Supermacht mehr. Sie hätte die Chance gehabt, ihren Zerfallsprozeß in neue Stärke zu verwandeln — durch eine weltweite Politik demokratischer Integration auf der Basis der UNO. Diese Chance ist zunächst einmal versäumt, aber noch nicht endgültig vertan. Noch kann die Sowjetunion statt in einer Weltmachtsrhetorik zu verharren zu einer wirksamen Friedenspolitik zurückkehren. Dazu bedürfte es keiner neuen Spezialmissionen sondern einer veränderten Politik im Sicherheitsrat, die die Anstrengungen des Generalsekretärs vorbehaltlos unterstützt. Christian Semler

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