: Tote bei Demonstrationen in Albanien
In der Hafenstadt Durres wollten über zehntausend Menschen eine Fähre nach Italien stürmen, weil sich das Gerücht verbreitete, es sei erlaubt, ohne Visum auszureisen/ Gerüchte um einen Militärputsch verschärfen die Auseinandersetzungen ■ Von Roland Hofwiler
Berlin (taz) — In der albanischen Hafenstadt Durres wurden am Samstag bei blutigen Auseinandersetzungen nach inoffiziellen Angaben mindestens zehn Menschen von den Sicherheitskräften getötet. Noch am Sonntag habe die Hafengegend einem „Trümmerfeld“ geglichen, berichten albanische Informanten. Geschäfte seien geplündert, das Denkmal des kommunistischen Staatsgründers Enver Hoxha sei gestürzt und die örtliche Polizei- und Parteizentrale in Flammen gesetzt worden, berichten Vertreter der „Demokratischen Studentenliga“ aus Tirana. In einer Resolution, die der taz vorliegt, protestieren die Studenten gegen den Einsatz von Militär, Schlägertrupps der berüchtigten Geheimpolizei Sigurini sowie paramilitärischen Polizeikräften. In der Erklärung wird die Regierung darauf hingewiesen, daß die Studenten, falls die blutigen Vorfälle nicht vollkommen aufgeklärt würden, nicht zögerten, mittels neuer Massendemonstrationen den Sturz der Regierung und des Staatspräsidenten Ramiz Alia zu betreiben.
Die Auseinandersetzungen sind nur der Höhepunkt einer seit Tagen hochexplosiven Lage in dem Balkanstaat. Bereits seit Donnerstag befinden sich die Studenten aller Universitäten im Streik, mehr und mehr Fachhochschulen schließen sich dem Studentenprotest an. Dies meldete gestern erstmals Radio Tirana. In einer kurzen Stellungnahme ließ der Sender — der wie in alten Tagen brauchbare Informationen zurückhält — immerhin den Studentenführer Arian Manahasa zu Wort kommen: „Wir protestieren gegen die Verschleppung der angekündigten Reformen, fordern eine Entpolitisierung der Schulen, freie Bildung und den Bruch mit der stalinistischen Vergangenheit, der Name Enver Hoxha muß aus dem öffentlichen Leben verschwinden, seine Verbrechen müssen aufgedeckt werden.“
Während die Studenten, die allesamt aus „gutem Hause“ sind — denn nur Kinder aktiver Parteikommunisten haben eine Chance auf einen Hochschulplatz —, auf eine rasche Demokratisierung drängen, geht es den Arbeitern mittlerweile ums nackte Überleben. Sie drohen mit Streiks am 15. Februar, wenn bis dahin nicht die zugesagten Lohnerhöhungen ausgezahlt und die Lebensmittelversorgung verbessert würde. Der Unmut steigt auch, weil Fälle von Korruption und Sabotage zugenommen haben. Allein im Februar kam es zu mehreren Bombenexplosionen, verschwanden große Mengen an Waren in unbekannten Kanälen und wurden mysteriöse Brandstiftungen in Kolchosen gemeldet.
Selbst die KP-Presse berichtete in den letzten Tagen von Gerüchten, nach denen dem Balkanstaat ein Armeeputsch drohe. Wenige Stunden vor Ausbruch der Revolte in Durres meldete sich Verteidigungsminister Mustaci im Fernsehen zu Wort und dementierte diesbezügliche Meldungen. Diese Gerüchte zettelten feindliche Kräfte im westlichen Ausland an, um Albanien zu demobilisieren, Kräfte hinter denen finstere Finanzkreise steckten, die in Lateinamerika und Asien schon aktiv gewesen seien. „Unsere Armee ist eine Armee des Volkes, und ihre Mission ist die Verteidigung des Vaterlandes.“
Diese Worte haben anscheinend immer mehr Menschen Angst eingejagt. Mißtrauische Albaner versuchten auch deshalb am Wochenende, die Transportfähre in Durres, die Albanien mit dem italienischen Bari verbindet, zu stürmen, wobei es dann zu den blutigen Auseinandersetzungen kam. Bis gestern noch waren alle Zufahrtsstraßen nach Durres blockiert und die Telefonverbindungen abgesperrt.
Ein Ende der Auseinandersetzungen ist nicht abzusehen. Regimetreue Albaner forderten, gegen die „überzogenen Forderungen“ der Opposition und der Studenten scharf vorzugehen. Die einzige Oppositionszeitung, die 'Rilindija demokratike‘, warnt deshalb in einem Leitartikel ihrer Wochenendausgabe unter dem Titel „Das Gespenst Stalins ist unter uns“, die Armee mißbrauche in den letzten Tagen ihre Kompetenzen, provoziere Prügeleien und sei für militante Provokationen verantwortlich zu machen: „Sie verschließt sich der Demokratisierung, im Namen der Diktatur des Proletariats sagt sie der Demokratie den erbitterten Kampf an.“
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