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Selektiver Moralismus-betr.: Vorwurf des Antiamerikanismus gegenüber der Friedensbewegung

betr.: Vorwurf des Antiamerikanismus gegenüber der Friedensbewegung

[...] Bürgerinitiativen sind im politischen System der „Stellvertreterdemokratie“ fast immer einseitig und haben es auch zu sein. Die Regierung bekommt nach der Logik dieses Systems (ob es so läuft, müßte genauer untersucht werden) den Politikauftrag von allen im Namen aller, das heißt sie dürfte sich Einseitigkeit nicht leisten. Wo Bürger mit der Regierungspolitik nicht zufrieden sind und ihre Zufriedenheit in politische Aktion umsetzen wollen, organisieren sie sich in Bürgerinitiativen. [...]

Wo die Bundesregierung in der Frage des Golfkrieges die Friedensbewegung mit dem Vorwurf des Antiamerikanismus überzieht, kehrt sie sozusagen die Beweislast um. Sie hat ihren einseitigen proamerikanischen (um es milde auszudrücken) Zug der Friedensbewegung gegenüber zu legitimieren und nicht umgekehrt. Von der taz hätte ich mehr Beiträge erwartet, die diese Dinge offenlegen, statt sich in so vielen Artikeln dem Kesseltreiben gegen vermeintlichen Antiamerikanismus anzuschließen.

Aus der Struktur der „Stellvertreterdemokratie“ ergibt sich auch, daß es Betroffenheit ist, aus der heraus sich eine Bürgerinitiative formiert; oder — wie man anders formulieren könnte — am Anfang steht die Emotionalität. Diese Emotionalität verstehe ich erstmal als eine positive Kraft, die zu kultivieren ist und nicht zu diffamieren, wie dies Detlev Claussen in seinem Kommentar vom 4.Februar tut. Daß sich die Ini dann, nachdem sie sich konstituiert hat, auch um Analyse zu bemühen hat, ist ebenso selbstverständlich. [...]

Daß Hussein und der Irak Völkerrecht und Menschenrechte auf gröbste Weise verletzt haben, ist vollkommen klar. Daß es den Amerikanern und ihren Verbündeten in ihrem Kampf gegen den Irak darum geht, ist damit noch lange nicht gesagt und bedarf genauerer Untersuchung. Warum ich von Amerikanern und ihren Verbündeten spreche, ist wohl allzu offensichtich: Die Amerikaner geben die Politik vor und haben es geschafft, sehr viele für diese Politik zu gewinnen. Letztlich handelt es sich dabei um amerikanische Politik beziehungsweise um Politik der Bush- Administration.

Ein Argument bezüglich der vermeintlichen amerikanischen Kampagne für Menschen- und Völkerrechte ist dabei wiederholt vorgebracht worden: der sonstige Umgang der US-Politik mit Menschenrechten. Mein Fazit: Selektiver Moralismus ist Heuchelei.

Ferner haben wir zur Kenntnis zu nehmen, daß die amerikanische Botschafterin im Irak, Glaspie — offensichtlich mit dem amerikanischen Außenminister abgestimmt — am 27.Juli 1990 (sechs Tage vor der Annexion) dem Irak signalisiert hat, daß ihr Land keine Einwände gegen einen Angriff des Irak auf Kuwait hätte. Wie ist dies im Kontext der seitherigen Entwicklung zu bewerten? Wie ist es vor allem vor dem Hintergrund einer weiteren Information zu bewerten, wonach amerikanische Regierungen schon Mitte der siebziger Jahre einen Plan auflegten für ihre Absicht, Truppen in der Golfregion stationieren zu können, ohne die Weltöffentlichkeit gegen sich aufzubringen? Setzt man beide Informationen in Zusammenhang, so ergibt sich das Bild, daß die USA Hussein ermutigten, einen Schritt zu tun, den sie als Vorwand nutzen konnten, ihren alten Plan zu verfolgen.

Die USA hatten als dominierende Weltmacht vielerlei Möglichkeiten, auf langwierige Lösungen für die Konfliktherde in der Golfregion hinzuarbeiten. Solche Versuche sind in der amerikanischen Politik (mit Ausnahme Carters Camp-David-Initiative) nur spärlich vorzufinden. Vielmehr scheinen die USA in dieser Region in einer Weise zu jonglieren, daß sie stests irgendeinen eigenen Nutzen daraus ziehen konnten. Dabei wurden zahllose Menschenrechtsverletzungen ignoriert.

Ich sehe zahllose Hinweise für eine äußerst zynische Politik der USA in der Golfregion, die sie mir als Adoptiveltern der Menschenrechte sehr verdächtig machen. Wer mir meinen Antiamerikanismus nehmen will (den ich gerne gegen eine humanere Politik der USA eintauschen würde), muß gute Argumente vorbringen. Gebetsmühlenartig vorgebrachte Vorwürfe der Bundesregierung und ihrer Multiplikatoren in den Medien genügen dafür nicht. Icks Starz, Falkendorf

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