: Greifswalder Hängepartie um Betriebsgenehmigung
Töpfer sperrt sich gegen endgültiges Aus für AKW-Standort Greifswald/ Kein Versicherer will „Haftungsvorsorge“ für Block V übernehmen ■ Von Gerd Rosenkranz
Berlin (taz) — Freundlich, aber bestimmt trug Rosemarie Poldrack ihre Frage vor: ob der Herr Umweltminister dem fünften Block des Atomkraftwerks Greifswald die Betriebsgenehmigung entziehen werde, falls die im Atomgesetz zwingend vorgeschriebene „Haftungsvorsorge“ nicht bis zum Jahresende gewährleistet sei. Klaus Töpfer (CDU) beschied die Ärztin mit einem donnernden „Ja!“. Das war am Abend des 22. November vergangenen Jahres, zehn Tage vor der Bundestagswahl. Millionen Zeugen saßen vor dem Bildschirm. Das Weitere ist bekannt: Am 2. Dezember bestätigte das Wahlvolk die Bonner Regierung und damit auch den Reaktorminister im Amt, das Jahresende kam, und die Betriebsgenehmigung (genauer: Inbetriebnahmegenehmigung) für den derzeit abgeschalteten Block V in Greifswald blieb — bis heute.
Die Haftungsvorsorge für die von der Treuhand verwaltete Reaktorlandschaft an der Ostsee allerdings läßt weiter auf sich warten. Bei der ominösen Regelung geht es um die im Atomgesetz festgeschriebene Verpflichtung der AKW-Betreiber, im Falle eines Unfalls für die auftretenden Schäden (zum Beispiel eine großflächige radioaktive Verseuchung der Umgebung) geradezustehen. Normalerweise übernimmt das bei Atomkraftwerken West eine private Haftpflichtversicherung, und zwar bis zu einer Schadensobergrenze von 500 Millionen Mark. Für eine weitere Milliarde — und im Ernstfall wohl auch für alles, was darüber hinausgeht — steht nach dem gültigen Atomrecht der Staat ein, sprich der Steuerzahler.
Töpfer mauert gegen eigenes Atomgesetz
Seit dem 30. Juni 1990 gilt das Atomgesetz auch für die neuen Bundesländer. Eigentlich. Denn die finanzielle Absicherung gegen AKW-Unfälle gab es in der alten DDR nicht. Und bisher hat sich kein westdeutscher Versicherer bereit gefunden, das Risiko für die derzeit sämtlich abgeschalteten Schrottmühlen an der Ostsee zu übernehmen. In einem solchen Fall müßte die atomrechtliche Genehmigungsbehörde die Betriebsgenehmigung für ein Atomkraftwerk eigentlich „widerrufen“. So jedenfalls will es der Paragraph 17 des Atomgesetzes.
Dennoch wehrt sich Minister Töpfer standhaft gegen den naheliegenden und vermutlich unausweichlichen Schritt, den insgesamt acht Greifswalder Reaktorblöcken endgültig den Garaus zu machen. Die Hängepartie hat gute Chancen, noch monatelang anzudauern. Denn obwohl unter den westdeutschen Atomikern niemand ernsthaft glaubt, daß der neue Block V und die drei weiteren, im Bau befindlichen Reaktoren sowjetischer Bauart jemals die vier im vergangenen Jahr stillgelegten Altreaktoren ersetzen werden, will die Bundesregierung offenbar den Standort an der Ostsee retten — bis die Zeit reif ist für neue Atomkraftwerke westlicher Bauart.
Juristisch kitzlig ist die Angelegenheit für den Zauderer vom Rhein vor allem, seit 18 Greifswalder AKW-GegnerInnen, mit Rosemarie Poldrack an der Spitze, im Dezember bei der formal zuständigen Umweltministerin des Landes Mecklenburg- Vorpommern, Petra Uhlmann (CDU), den Entzug der Betriebsgenehmigung für den Reaktorblock V beantragten. In ihrer Antwort vom 23. Januar lehnte die Ministerin das Ansinnen der Greifswalder Anti- AKW-AktivistInnen rundweg ab. Ihre Argumentation ist erkennbar aus dem Bonner Umweltministerium inspiriert. „Die Prüfung von konkreten Lösungsmöglichkeiten zum Nachweis der Deckungsvorsorge [...] steht vor dem Abschluß“, schrieb die Ministerin. Bis dahin könne der Staat für die privaten Haftpflichtversicherer einspringen, wie er es bei Schäden über 500 Millionen Mark nach dem Atomgesetz ohnehin tun müßte. Diese Argumentation stehe im eklatanten Widerspruch zum Atomgesetz, kontern die AKW- GegnerInnen an der Ostsee und verlangen von Töpfer, seine Schweriner Parteifreundin Uhlmann umgehend zum Entzug der Genehmigung „anzuweisen“ — so wie er es derzeit beim Endlager „Schacht Konrad“ mit seiner Weisung der rot-grünen Regierung in Hannover praktiziere. Doch daraus wird wohl nichts.
Ministerium schwimmt
Im Hause des Bonner Oberaufsehers liegt man nämlich ganz auf der Linie der Schweriner Landesregierung. Mit merkwürdig schwammigen Formulierungen erklärten Töpfers Referenten (Referat RS I 1) Mitte Januar, die neuen Länder erforderten „eine andere Beurteilung und Behandlung der deckungsvorsorgemäßigen Voraussetzungen bei den Kernanlagen“. Und: „Für die Verweigerung bzw. den Entzug einer Genehmigung war — jedenfalls bisher — noch kein Raum.“ Unter den „erschwerten Bedingungen“ in Greifswald könne jedenfalls die bei der Suche nach privaten Versicherern verstrichene Zeit „noch nicht als unangemessen bezeichnet werden“. Als Zumutung empfindet Töpfers Sprecher Berthold Goeke die provokante Frage, ob künftig auch westdeutsche AKW- Betreiber ohne private Haftpflichtversicherung auskommen: Die Situation sei „nicht vergleichbar“.
Und der Minister selbst, der im vergangenen Sommer stets mit der Parole „Kein atomrechtlicher Rabatt für Atomanlagen im Osten“ durchs Land gezogen war, reagiert auf die unhaltbare Situation und seinen offensichtlichen Wortbruch im Wahlkampf zunehmend gereizt. Als der Bündnis-90-/Grüne-Abgeordnete Klaus-Dieter Feige Ende Januar im Bundestag den Widerruf der Betriebsgenehmigung für Block V in Greifswald verlangte, quakte der Bonner Atomaufseher gleich dreimal dazwischen: Der könne „doch gar nicht mehr eingeschaltet werden“. Aber auch das ist falsch: Die Genehmigung ist gegenwärtig wegen technischer Defizite nur ausgesetzt, nicht endgültig entzogen.
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