Bürgerkomitees gegen Zentralismus

■ BürgerrechtlerInnen wollen einen Gesetzentwurf vorlegen, der die Verwaltung des Stasi-Nachlasses dezentralisiert/ Bonner Juristen: Struktur steht durch die Sonderbehörde in Berlin bereits fest

Berlin (taz) — Geht es nach dem Willen der früheren Stasi-Auflöser, werden sich Verfassungsschützer und Christdemokraten schwarz ärgern. Die MitarbeiterInnen der Bürgerkomitees in den fünf neuen Bundesländern wollen in den nächsten Tagen einen Gesetzentwurf „über die Sicherung und Nutzung der Daten und Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit“ vorlegen, der den Vorstellungen der regierenden Unionsparteien gründlich zuwiderläuft. Der Entwurf soll dann die Grundlage der weiteren Diskussion um eine gesetzliche Regelung des Umgangs mit den Stasi-Akten bilden.

Während die Bundesregierung für die weitere Stasi-Aufarbeitung eine zentrale Bundesbehörde favorisiert, wollen die KomiteemitarbeiterInnen, die sich am Wochenende bei einem Arbeitstreffen in Berlin auf die Eckpunkte ihres Gesetzentwurfes einigten, eine dezentrale Struktur der Stasi-Behörde festschreiben. Nach ihren Vorstellungen sollen die Daten und Unterlagen der Staatssicherheit ausschließlich in Sonderarchiven gelagert und aufgearbeitet werden, die auf dem Gebiet der ehemaligen DDR angesiedelt wären.

Die Verwaltung dieser Archive soll nach ihren Vorstellungen Landesbeauftragten übertragen werden, die von den Landesparlamenten in Berlin, Brandenburg, Mecklenburg- Vorpommern, Sachsen, Sachsen- Anhalt und Thüringen mit einfacher Mehrheit gewählt werden. Die Posten sollen von Leuten besetzt werden, die vor dem 1.10.1989 Bürger der DDR waren. Das zentrale Archiv in der Berliner Normannenstraße soll dem 19 Paragraphen umfassenden Gesetzentwurf zufolge auch weiterhin einem Bundesbeauftragten unterstellt sein.

Landes- und Bundesbeauftragte werden in dem Entwurf verpflichtet, eine Kommission zu bilden, die gemeinsam eine endgültige Benutzerordnung für alle Archive erlassen soll. Die Parlamentsbeauftragten sollen weiter die gegenseitige Amtshilfe sicherstellen und außerdem „die notwendigen Voraussetzungen für eine enge und reibungslose Zusammenarbeit untereinander“ schaffen. Bislang gilt für die Behörde des Sonderbeauftragten der Bundesregierung, Jochen Gauck, eine vorläufige Benutzerordnung, die auf den Vereinbarungen im Einigungsvertrag basiert. Unter den Politikern ist unumstritten, daß diese Benutzerordnung durch eine gesetzliche Regelung über den weiteren Umgang mit der Stasi-Hinterlassenschaft abgelöst werden muß.

Während führende Bonner Juristen eine zentrale Struktur für die Stasi-Behörde bereits durch die Einrichtung des Sonderbeauftragten und seiner Behörde festgelegt sehen, berufen sich die BürgerrechtlerInnen auf das von der Volkskammer verabschiedete Gesetz vom 24.8.1990. Darin ist eine dezentrale Struktur bei der Verwaltung des Stasi-Nachlasses vorgesehen. Eine zentrale Verwaltung der Akten- und Datenbestände durch den Sonderbeauftragten sei im Einigungsvertrag nur als Übergangsregelung festgeschrieben worden. Dies sei zunächst auch notwendig gewesen, da in den Ländern erst arbeitsfähige Verwaltungen aufgebaut werden mußten. In den ergänzenden Vereinbarungen zum Einigungsvertrag sei zudem die Erwartung festgeschrieben worden, „daß der gesamtdeutsche Gesetzgeber die Grundsätze, wie sie im Volkskammergesetz vom 24.8.1990 zum Ausdruck kommen, umfassend berücksichtigt“.

Der Gesetzentwurf der Bürgerkomitees sieht ein weitreichendes Auskunftsrecht für die Opfer der Staatssicherheit vor. Eine Nutzung der Stasi-Akten durch den Verfassungsschutz oder andere Nachrichtendienste wird darin verboten. Unter Androhung einer Freiheitsstrafe werden dem Entwurf zufolge auch alle Personen und Dienststellen verpflichtet, die in ihrem Besitz befindlichen Daten und Unterlagen des früheren Ministeriums für Staatssicherheit den Sonderarchiven im Orginal zu übergeben.

Sollten diese Bestimmungen zum Zuge kommen, müßten beispielsweise die Verfassungsschutzämter ihre Listen mit den Namen und Daten von 103.000 ehemaligen Stasi-Bediensteten den Sonderarchiven aushändigen. Wolfgang Gast