: Das Hoffen an den europäischen Anschluß
Landtagsabgeordnete und VertreterInnen von Verbänden aus den neuen Bundesländern nahmen in Potsdam Nachhilfeunterricht in Sachen EG/ Der Hoffnungsträger für die angeschlagene Ost-Wirtschaft liegt vielleicht in Brüssel ■ Von Sabine Ehrhardt
Potsdam (taz) — Was hat der Betonmischer aus Brandenburg mit der Europäischen Gemeinschaft zu tun? Auf den ersten Blick nicht viel. Das mußte auch sein Besitzer, ein Bauunternehmer aus dem Raum Potsdam, erfahren. Da scheitert er an der Trägheit des Amtsschimmels: Seit der Währungsunion wartet er auf eine Eintragung seines Unternehmens ins Grundbuch, die nicht erfolgen kann, weil noch keine Eröffnungsbilanz vorliegt.
Der Antrag ist seit Monaten gestellt, doch die Mühlen der Ämter mahlen langsam. Was tun, fragt der Mann den Generaldirektor der EG- Kommission für den Bereich Unternehmenspolitik, Handel, Tourismus und Gemeinwirtschaft. Heinrich von Moltke müßte es eigentlich wissen. Doch von Moltke kann nur auf die Regelungen der Bundesrepublik verweisen. „Da ist der nationale Gesetzgeber zuständig, nicht die Kommission.“
Auch andere Sorgen plagen den Bauunternehmer, die er auf einem von der Vertretung der EG-Kommission in Berlin und der Deutschen Gesellschaft organisierten Wochenendseminar loswerden wollte. Rund 50 Landtagsabgeordnete und VertreterInnen von Verbänden aus den neuen Bundesländern nahmen in Potsdam Nachhilfeunterricht in Sachen EG. Im Touristen- und Congreßhotel, einer ehemaligen Parteischule der SED, drückten sie in verschiedenen Seminaren die Schulbank. Als „Lehrer“ für Landwirtschaftspolitik, Strukturpolitik und Umweltschutz fungierten hochkarätige Beamte der EG in der brandenburgischen Landeshauptstadt.
Ähnlich wie die Abgeordneten erwartete der Bauunternehmer Ratschläge und Hilfe. Obwohl in Potsdam im Baugewerbe viel getan werden müßte, bekommt er keine Aufträge, denn der Kommune fehlt das Geld. Ob es denn keine Finanzquelle der EG gebe, die die Stadt direkt anzapfen könnte? Die Herren aus Brüssel wiegen sorgenvoll die Köpfe. „Sie haben ja im Grunde genommen Recht. Aber man kann nicht so einfach einen Bettelbrief an den Kommissionspräsidenten Jacques Delors schreiben. Alle Anträge müssen über Bonn laufen.“ Und daß die Kommunen pleite sind, das sei eine rein deutsche Angelegenheit. Brüssel, die große Hoffnung, weil aus Bonn nicht viel kommt?
Jean Jacques Nus von der Kommissionsvertretung in Berlin muß einiges klarstellen. Die Seminare sollen die TeilnehmerInnen lediglich über die Arbeitsweise der Gemeinschaft informieren und insbesondere darüber, welche Fonds für die FNL in Frage kommen. „Praktische Tips, wie die konkreten Probleme gelöst werden können, kann diese Veranstaltung nicht liefern“, schränkt Nus Sinn und Zweck der Übung ein. Die EG könne nur flankierend eingreifen. Die PolitikerInnen der neuen Länder müßten selbst die Initiative ergreifen. Doch genau da liegt der Hase im Pfeffer. „Wir kommen uns doch vor wie die Stallkaninchen, die man plötzlich in die freie Wildbahn entlassen hat“, bringt es eine SPD- Abgeordnete aus Sachsen-Anhalt auf den Punkt. „Und es gibt viele, die sich zurück nach dem Stall sehnen.“
Gebannt auf den europäischen Binnenmarkt zu starren und dabei tatenlos zu verharren, das hält Cord Schwartau vom Vorstand der Deutschen Gesellschaft allerdings für gefährlich. „Wir dürfen nicht hoffnungsvoll nach Brüssel schielen und von dort die Lösung unserer Probleme erwarten. Wir müssen gemeinsam mit der EG nach Osten blicken“, so sein leidenschaftliches Plädoyer.
Mit der EG auf zu osteuropäischen Märkten? Was nützen die ehemals guten Beziehungen zu den osteuropäischen Ländern. Damit lassen sich die erdrückenden wirtschaftlichen Probleme und sozialen Härten im „Beitrittsgebiet“ nicht mehr bewältigen.
Zwar gelten seit dem Beitritt zur Bundesrepublik 80 Prozent aller Rechtsakte der Gemeinschaft in den neuen Bundesländern. Doch was das im einzelnen bedeutet, welche EG- Töpfe man ausschöpfen kann, um die marode Wirtschaft der FNL wieder in Schwung zu bringen, das ist bei den ostdeutschen Abgeordneten weitgehend unbekannt. Schon die Deutsche Einheit ist für viele Abgeordnete und UnternehmerInnen ein schwer verdaulicher Brocken. Die EG aber steht als ein unüberschaubarer Koloß aus Institutionen, Verordnungen und Paragraphen vor ihnen. Mit Informationsveranstaltungen, Seminaren und der Errichtung von Beratungsstellen wollen die Deutsche Gesellschaft und die EG-Vertretung in Berlin dem abhelfen. „Hilfe zur Selbsthilfe“ will die EG leisten. Für die kommenden drei Jahre stellt die Kommission rund sechs Milliarden D-Mark als additive Mittel für die FNL bereit. Diese Gelder müssen von der Bundesregierung um den gleichen Betrag ergänzt werden. Mit dieser Unterstützung will Brüssel alle strukturpolitischen Ziele der Fonds abdecken: Mit dem Europäischen Sozialfonds (ESF) sollen jugendliche Arbeitslose und Langzeitarbeitslose in den Erwerbssektor eingegliedert werden. Aus dem Regionalfonds (EFRE) fließen die Mittel vorwiegend in die Verbesserung der Infrastruktur. In Berlin wurde zum Beispiel das ICC mit Mitteln aus dem EFRE finanziert.
Viele Einzelheiten wurden den SeminarteilnehmerInnen präsentiert, ein Grundkurs über die EG im Schnelldurchlauf. „Da raucht der Kopf“, stellt ein Abgeordneter fest. „Aber das muß schon sein. Wir wollen unsere Leute schließlich informieren.“
Information und Kontaktaufnahme sind auch die Erwartungen, die ein FDP-Abgeordneter aus Sachsen-Anhalt mit nach Potsdam gebracht hat. Direkte Hilfe bei Schwierigkeiten, wie sie in der Landwirtschaft oder bei der Elbesanierung auftreten, erhofft sich der Abgeordnete nicht von der EG. Die Richtung will er sich weisen lassen, Hinweise auf Finanzierungsmöglichkeiten durch die EG erwartet er. Ideen zur Umstrukturierung der Landwirtschaft hat er selbst. „Die großen LPGen sind doch hoffnungslos unrentabel.“ Kleinere Höfe bis zu 1.500 Hektar scheinen ihm da sinnvoller — trotz Milchsee und Butterberg. Die Politik der Gemeinschaft, die die Preise durch Subventionen stabil hält, erscheint dem FDP-Mann unsinnig.
Hier liegt er mit der Komission auf einer Wellenlänge, denn die plant, die Stützungen der Agrarpreise drastisch zu reduzieren. Statt dessen müsse man Flächen stillegen und landschaftspflegerisch umgestalten. 95 Prozent der ostdeutschen Landwirtschaft bestehen aus Großraumwirtschaften, Betriebe mit 4.000 bis 5.000 Hektar Land sind nicht selten. Aufteilen und Flächen stillegen, lautet da die Devise. Für die dann arbeitslosen Beschäftigten der LPGen hat der Abgeordnete allerdings keine Lösung parat.
Auch der EG schweben kleinere landwirtschaftliche Betriebe vor. Der bäuerliche Familienbetrieb soll verstärkt gefördert werden, erläutert Joachim Heine von der EG-Generaldirektion Landwirtschaft. Eine genauere Erklärung kann er allerdings nicht geben, darüber sei sich die Kommission selbst noch nicht im klaren. Wie das funktionieren solle, fragt da ein Abgeordneter aus Brandenburg zurecht. „Das sind doch alles spezialisierte Arbeiter. Uns fehlt eine ganze Generation von richtigen Bauern.“ Auch darauf hat Brüssel keine Antwort.
Man dürfe von der Gemeinschaft nicht zuviel verlangen, gefordert sei die Bundesregierung. Immerhin hat Heine einen heißen Tip. Brüssel fördert Junglandwirte, die sich mit einem kleineren Hof niederlassen wollen. Sie dürfen allerdings nicht älter als 40 Jahre sein. Für die neuen Bundesländer besteht eine Ausnahmeregelung, hier liegt die Altersgrenze für Junglandwirte bei 55 Jahren. Das sei doch mal eine Perspektive, meint ein weißhaariger Herr aus dem Seminar. „Da lasse ich mich umschulen. Zwei Jahre Zeit habe ich ja noch.“
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