Aschermittwoch in Dresden

Eine Stadt als Brennpunkt für die deutschesten aller Probleme/ Jene der „inneren deutschen Einheit“ sind größer, als offensichtlich nach Bonn durchdringt oder dort verstanden wird  ■ Von Peter Rösler

Dresden. Unter allen „historischen“ deutschen Daten dürfte der 13. Februar eines jeden Jahres das „dresdnerischste“ sein. Auch 46 Jahre nach der Schicksalsnacht, in der die Flammen des Zweiten Weltkrieges auf ihren Herd zurückschlugen und ein kulturelles Zentrum Europas im Bombenhagel versank, hat dieser Tag trotz jahrelang stattgefundener demonstrativer Kundgebungen nichts von seinem Charakter als Tag des Friedens und der Mahnung eingebüßt. Er wird vielleicht sogar ehrlicher als in den Jahrzehnten vorher begangen. Vorausgesetzt, es gibt keine kurzfristigen gravierenden Änderungen im politischen Kalender des Februars 1991, erhält die 46. Auflage des Dresden-Tages Mittwoch ein besonderes Gepräge: Die sächsische Landeshauptstadt Dresden wird zum Brennpunkt der deutschesten aller derzeitigen Probleme.

Wenn am Abend die Glocken der Kathedrale zum ökumenischen Gottesdienst läuten, klingen sie auch für den Präsidenten der Bundesrepublik Richard von Weizsäcker. Der wiederum hat dann den anstrengenden ersten Tag seines offiziellen Besuches im sechstgrößten Bundesland hinter sich. Nach reichlichen fünf Monaten der Zugehörigkeit Dresdens zu seinem „Verantwortungsbereich“ — sein diesbezüglicher „Vorgänger“ Honecker hatte bis zu seinem ersten offiziellen Aufenthalt in der „aufmüpfigen“ Ecke der ehemaligen DDR immerhin mehr als ein Jahrzehnt gebraucht und diesen Tag dann vor der Semperoper auch gleich als „historisch“ bezeichnet — wird der Präsident dann vermutlich schon die Erfahrung gewonnen haben, daß die sächsischen Probleme mit der „inneren deutschen Einheit“ größer sind, als offensichtlich nach Bonn durchdringt oder dort verstanden wird (oder werden kann).

Dazu dürften ihm zu diesem Zeitpunkt auch die Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer verholfen haben, für die an diesem Abend die erste Runde ihrer zweitägigen Regionalkonferenz beendet ist. Es bedarf keiner hellseherischen Fähigkeiten, wenn man davon ausgeht, daß Biedenkopf, Gomolka, Stolpe, Duchac und Gies in erster Linie ihre Sorgen mit den nichtvorhandenen Finanzen erörtern und eine ostdeutsche Einheitsfront gegen Ignoranz, Unterschätzung und politisches Profilieren auf Kosten der (noch!) 16 Millionen Bürger ihrer Regierungsgebiete schmieden wollen.

Daß die Forderungen der Premiers zudem mit Bonner Politik kollidieren, werden zumindest einige der abendlichen Schweigemarschierer an der Ruine der Frauenkirche unterstreichen. Die wenden sich nämlich — immer eingedenk des Schicksals ihrer Stadt — gegen jedwede Gewalt bei der Lösung politischer Probleme und damit auch gegen den Krieg am Golf. Gegen jenen Krieg also, der nach Meinung des Kanzlers nunmehr für Steuererhöhungen herhalten soll, die für die Finanzierung der deutschen Einheit angeblich nicht notwendig und denkbar waren...„Wir bekräftigen unsere Erwartung und unsere Hoffnung, daß Veränderung nicht nur nötig, sondern auch möglich ist“, heißt es — wenn auch bezogen auf den „Wüstensturm“ — in einer dem Gedenken an die Stadtzerstörung geltenden Einladung zum Fasten. Das dürfte auszudehnen sein. Der 13. Februar 1991, der Aschermittwoch in Dresden, wird sicherlich erneut Anlaß geben, Politik zu überprüfen — und dies deutschlandweit.