: Tabakpäckchen und Versicherungsakten
■ Das neue TUSMA-Büro der Humboldt-Uni kann sich vor arbeitswütigen Studenten kaum retten/ Jobsuche jedoch oft erfolglos/ Arbeitsvermittlung erfolgt für Ost und West getrennt/ Weniger Lohn und geringe Chancen für Ost-Studenten
Mitte. Das Jobben zum Studium gehört wie Klausuren, haben inzwischen auch Ost-StudentInnen begriffen. Das Bafög reicht vorn und hinten nicht, das liegt aber nicht am Bafög sondern an den weitaus höheren Ausgaben, die man als Student heutzutage hat. Inzwischen sollen sogar Philosophiestudenten, für die früher eher ein spartanisches Dasein zu ihrer Lebensphilosophie gehörte, Tabakprobierpäckchen in den einschlägigen Szenekneipen verteilen oder GermanistInnen in den langen Abendstunden Versicherungsakten ordnen.
Wer nicht das Glück hatte, einem ausdehnungswilligen West-Unternehmer als billige Arbeitskraft in die Hände zu fallen, der kann sich bei TUSMA vermitteln lassen. Seit November gibt es den gemeinnützigen studentischen Selbsthilfeverein auch für die Humboldt-Universität. Und zwar nur für diese, was viele StudentInnen, die ihre Semesterferien zu Hause in Berlin verbringen, aber in Dresden oder Rostock studieren, ziemlich nervt.
Seit ein paar Wochen sucht die Pädagogikstudentin Anke B. Arbeit. Vor kurzem erst flatterte ihr die erhöhte Gas- und Stromrechnung für ihre Ostberliner Wohnung ins Haus, aber einen Job vermittelt ihr TUSMA nicht, weil sie in Magdeburg studiert. Jeder, der es wie sie dann im Westberliner TUSMA-Büro der TU versucht, kann sich den Weg sparen. Denn es gibt eine klare Teilung des Einsatzgebietes zwischen Ost und West. »Wenn schon Einheit, dann auch richtig«, lautete ihr enttäuschter Kommentar.
Auch StudentInnen anderer Hochschulen müssen immer wieder abgewiesen werden. Inzwischen haben die Hochschule für Ökonomie, die Kunsthochschule Weißensee und die Schauspielschule darum gebeten, in die Vermittlung mitaufgenommen zu werden. Doch das müßte von der Bundesanstalt für Arbeit abgesegnet werden.
Die künstliche Teilung des Arbeitsmarktes ist für WestberlinerInnen, die an der Humboldt-Uni studieren besonders tragisch. Denn nur im Osten können sie ihre Arbeitskraft anbieten und verkaufen. Das bedeutet nicht nur bis zu zwei Mark geringeren Stundenlohn, sondern auch keine Berlinzulage. Um zu verhindern, daß sich West-Arbeitgeber die StudentInnen zu Dumpingpreisen heranholen, hatte die Bundesanstalt für Arbeit einen Riegel vor die grenzüberschreitende Jobvermittlung geschoben, zum Nachteil der inzwischen grenzüberschreitend lebenden StudentInnen.
Denn das Angebot im Osten ist weitaus schlechter als bei den Kollegen im Westen. Ganze drei bis vier Angebote kommen am Tag rein — bei TUSMA-West sind es zwischen 100 und 150 —, die nicht einmal ausgehängt werden müssen, weil sie gleich wieder weg sind. »Die Studenten rennen uns die Bude ein«, erzählt eine der fünf MitarbeiterInnen, »und zuviele Ost-Arbeitgeber wüßten noch nicht, das es diese Vermittlungsstelle überhaupt gibt«. Die laue Auftragslage sei aber auch »jahreszeitbedingt«. Im Dezember würden alle möglichen Firmen ihre Endabrechnungen und Restarbeiten erledigen, Anfang des Jahres jedoch wüßten viele nicht, wie hoch ihr Budget ist.
Ganze sechs Arbeitswillige sitzen vor dem TUSMA-Ost-Büro und harren der Dinge, die da kommen. Knappe zwei Stunden haben zwei Lebensmitteltechnologiestudentinnen schon hinter sich und überlegen gerade, ob sie aufgeben sollen. Sie wollen ihr Glück jetzt mit Annoncen versuchen. Andere warten sogar drei oder vier Stunden.
Das Interesse habe seit Eröffnung des Büros unheimlich zugenommen, erzählt eine TUSMA-Angestellte, der Frust allerdings auch, weil der Bedarf nicht gedeckt werden kann. Früher sind die StudentInnen zwar auch arbeiten gegangen — ganze Studienjahre wurden sogar obligatorisch ins Erntelager geschickt — aber heute müssen die meisten nebenbei Geldverdienen. Während des Studiums wurde bislang kaum gejobbt, dafür heute um so mehr.
Extrem problematisch ist die Situation der ausländischen StudentInnen. Sie erhalten nur noch bis März das bisherige Stipendium, also 280 Mark. Danach entscheidet der Akademische Austauschdienst (DAAD) darüber, wer weiterhin finanziert wird. Maßstab dafür sind westliche Studienprogramme, wo wahrscheinlich Bulgaren oder Tschechen rausfallen würden, wie das Studentenwerk mitteilte. Die ausländischen StudentInnen machen zwei Drittel bis die Hälfte der Jobsuchenden bei TUSMA-Ost aus. Für sie ist der Nebenverdienst fast eine Existenzgrundlage geworden. anbau
TUSMA-Büro der Humboldt-Universität: Clara-Zetkin-Straße 26
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