: Möllemann auf großer Ost-Mission
Der drohende Zusammenbruch der neuen Länder treibt die Bonner Koalition um/ Wirtschaftsminister Möllemann legt „Strategie Aufschwung Ost“ vor/ Kurs klar auf Steuererhöhungen ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski
„Wir haben uns da verschätzt“, bekennt Wirtschaftsminister Möllemann (FDP) treuherzig. Was er mit „Dimension des Problems“ umschreibt, meint den drohenden Kollaps der ostdeutschen Wirtschaft, die galoppierende Zunahme der Arbeitslosigkeit und den finanziellen Konkurs der Ost-Kommunen. Die sich seit Monaten abzeichnende Entwicklung, bislang von der Bundesregierung schöngeredet, zwingt nun zum Handeln. Vor der Koalitionsrunde am morgigen Donnerstag und der Beratung des Bundeshaushalts in der kommenden Woche häufen sich die Vorschläge.
Möllemann, bereits dabei, Umweltminister Töpfer den Rang als Ankündigungsminister abzulaufen, wirft eine „Strategie Aufschwung Ost“ ins Feld. Er möchte zehn Milliarden Mark zusätzlicher Finanzmittel lockermachen. Zusätzliche Investitionsanreize, vermehrte öffentliche Investitionen in kommunale Einrichtungen und Wohnungsbau sowie ABM-Maßnahmen sind in seinem 10-Punkte-Programm enthalten — ohne zu sagen, woher das Geld kommen soll. Beigelagert ist ein nicht öffentlich tagender „Strategiedialog Aufschwung Ost“ mit Industrie-, Regierungs- und Gewerkschaftsvertretern als braintrust und konzertierter Aktion en miniature.
Immer deutlicher wird in der Koalition der Weg zu Steuererhöhungen eingeschlagen. Die Bundesregierung hat sich bereits für massive ABM-Maßnahmen ausgesprochen und erörtert außerdem eine Arbeitsmarktabgabe, ohne sich in deren Ausgestaltung festzulegen. Auch die FDP schließt solches nicht mehr aus. Möllemann spricht davon, daß „begrenzte Steuererhöhungen kein Tabu“ sein könnten. Konkreter will er nicht werden. Weitere Finanzmittel will Möllemann durch eine lineare Kürzung aller Subventionen um zehn Prozent freimachen — eine Forderung ohne Realisierungschance.
Auch in die Frage, wie den neuen Ländern geholfen werden kann, deren Gemeinden vor dem Konkurs stehen und deren Länderhaushalte zur Hälfte ungedeckt sind, kommt Bewegung. Die FDP-Spitze hat sich dafür ausgesprochen, die Finanzausstattung der Länder „sofort“ zu verbessern. Leistungen aus dem Einheits-Fonds müßten vorgezogen werden, die neuen Ländern müßten „umgehend“ (Möllemann) und vollständig an den Erlösen der Umsatzsteuer beteiligt werden. Der Anteil der Ost-Länder beträgt derzeit nur 55 Prozent und soll erst 1994 auf 100 Prozent steigen. Auch der im Einigungsvertrag festgelegte Ausschluß der Ossis vom Länderfinanzausgleich solle „zügig“ (Möllemann) abgebaut werden. Gegen die diskriminierende Umsatzsteuerverteilung drohen die Ossis bereits mit Verfassungsklage.
Bis zum Treffen des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsidenten Ende Februar soll klar sein, wie die Ost-Finanzen auf solidere Füße gestellt werden können. Um die aktuellen Liquiditätsprobleme — etliche Kommunen wie Leipzig haben keine Mark mehr flüssig — zu beseitigen, hat das Bundesfinanzministerium gestern vorzeitig fünf Milliarden Mark aus dem Einheits-Topf ausgezahlt. Den Fonds aufzustocken, wird von der Bundesregierung abgelehnt, um sich auf dem Kapitalmarkt nicht noch weiter zinstreibend zu verschulden. Zusätzliche Finanzhilfen müßten von den westlichen Bundesländern aufgebracht werden. Der Vorschlag der SPD-geführten West- Länder, 15 Milliarden an zusätzlicher Finanzhilfe zu gewähren, wird von den neuen Verwandten als völlig unzureichend empfunden, zumal die Summe auf fünf Jahre aufgeteilt werden soll. In den CDU-geführten Ländern neigt man nun ebenfalls dazu, die Umsatzsteuer neu zu verteilen.
Bei der SPD, wo befriedigt auf die früheren Prognosen Lafontaines verwiesen wird, spricht man davon, die Bundesregierung versuche nun, ihr wirtschaftspolitisches Scheitern mit konzeptionslosen Vorschlägen zu „übertünchen“. Der dramatischen Entwicklung sei nur mit drastischen Investitionsanreizen beizukommen; sämtliche Investitionsmittel des Bundes seien auf die ostdeutschen Verkehrswege zu konzentrieren und die Treuhandgesellschaft auf den Erhalt von Arbeitsplätzen zu verpflichten.
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