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Gezeter um weiße Tücher und Plakate

 ■ Von Bettina Markmeyer

Krefeld (taz) — Wir wären nicht in Deutschland, wenn in diesen Tagen nicht auch Briefe solchen Inhalts aus den Briefkästen gefischt würden: „Ihr Spruchband ist nunmehr 14 Tage sichtbar gewesen, und wir möchten nunmehr darum bitten, auf eine weitere Meinungsäußerung dieser Art zu verzichten. Eine entsprechende Genehmigung der Eigentümergesellschaft liegt für Aushänge leider nicht vor, sodaß wir Sie bitten möchten, das Plakat nunmehr zu entfernen.“ Man beachte das dreimalige „nunmehr“! Nunmehr ist Schluß! Genug protestiert!

Adressiert war der Brief an den zweiundfünfzigjährigen Kaufmann Jürgen W., der mit seiner Familie in einem Block aus drei- bis fünfgeschossigen Häusern mit Eigentumswohnungen am Rande von Krefelds Innenstadt wohnt. Daß der Balkon der W.s zum stark befahrenen „Breitendiek“ hinausgeht, mag sonst vielleicht lästig sein, seit Mitte Januar ist es von Nutzen: Mit dem Ablauf des UN-Ultimatums für den irakischen Abzug aus Kuwait befestigte die Familie ein weißes Tuch am Balkon, auf das sie mit blauer Farbe gesprüht hatte: „Kein Krieg am Golf“. „Und seitdem hängt das da“, sagt Jürgen W. Keine der NachbarInnen, zu denen man sonst „guten Kontakt“ habe, habe ihn auf seine „Meinungsäußerung“ angesprochen.

Statt dessen erhielt Familie W. Ende letzter Woche Post von der Krefelder Gesellschaft für Haus- und Wohnungsverwaltung mbH. Denn die NachbarInnen, die drei Wochen Zeit gehabt hätten, mit den W.s über Giftgas, Ölpest und zerbombte Städte ins Gespräch zu kommen, hatten es vorgezogen, den kaufmännischen Angestellten Günter Meyer, bei der Haus- und Wohnungsverwaltung zuständig für den Häuserblock am Breitendiek, vom Protest am nachbarlichen Balkon in Kenntnis zu setzen.

Meyer obliegt es „leider“, wie er betont, „die Gemeinschaftsordnung in der Wohnanlage zu überwachen“. Und da gibt es natürlich Gesetze, die die Rechte und Pflichten in Eigentümergemeinschaften regeln. Danach darf ein/e jede/r vom gemeinschaftlichen Eigentum wie Fluren oder eben Fassaden nur so Gebrauch machen, daß niemandem „ein Nachteil entsteht“.

Günter Meyer hat Erfahrung. Mitte der 80er Jahre hat er im unweit von Krefeld gelegenen Hilden eine Eigentümerversammlung abgehalten, „wegen Friedenstauben-Aufklebern von ca. 50 Zentimeter Durchmesser“. Auch damals, meint er, seien die Bewohner offenbar ohne Hinzuziehung der Wohnungsverwaltung nicht ins Gespräch gekommen. Auf der Eigentümerversammlung sei es dann allerdings hoch hergegangen. „Ein Besitzer führte an, wenn er seine Wohnung beispielsweise an konservativ eingestellte Leute verkaufen wolle, würden ihm diese weniger zahlen, wenn nebenan Friedenstauben in den Fenstern klebten.“ Familie W. jedenfalls wird weiter „Kein Krieg am Golf“ vom Balkon flattern lassen. Günter Meyer will sich nach der ersten Aufforderung, das Tuch zu entfernen, „erst mal in Geduld üben“. Im nächsten Schritt nämlich „müßte ich eine Eigentümerversammlung abhalten“.

In Dortmund und Essen sammeln unterdessen CDU und SPD ihr Fußvolk zum Protest gegen friedliebende Transparente an städtischen Gebäuden. In Essen geht es gegen das Kulturzentrum „Zeche Carl“, über dessen Eingang die Einladung „Deserteure: dieses Haus ist offen für Euch“ Genossen und Christdemokraten gleichermaßen erbost. „Sofort entfernen“, fordern die LokalpolitikerInnen. Die Dortmunder CDU wiederum kann weiße Tücher nicht ertragen, mit denen Verwaltungsangestellte im Rathaus ihre Gesinnung demonstrieren. Der Rat mache sich lächerlich, wenn er solches dulde. In der vierten Kriegswoche ist man zum gewöhnlichen lokalpolitischen Hickhack zurückgekehrt.

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