Dynamisch hyperorchestral

■ Anstelle der „Philharmonischen Virtuosen“: das „Philharmonische Oktett“

Da geht der Kritiker, der gerade einen Artikel durch unzureichendes Nachfragen verbockt und Schelte bekommen hat, nun wohlvorbereitet in die Glocke, nimmt Platz und erwartet das Kammerorchester der Berliner Philharmoniker, doch wer kommt? Das Philharmonische Oktett — immerhin auch aus Berlin. Die Orchesterkollegen, die als „Philharmonische Virtuosen Berlin“ muckend durch die Lande ziehen, hatten wegen Krankheit abgesagt, und so gab es anstelle spätromantischen Streicherschmelzes (spr)öde Klassik.

Dabei waren einige der weltbesten Orchestermusiker nach Bremen gekommen; renommierte Zugpferde der auf dem klassischen Sektor führenden Deutschen Grammophon, doch in Bremen keine Publikumsmagneten — der Laden war nicht gerade ausverkauft.

Vielleicht klang deshalb Beethovens Septett Es-Dur op. 20 etwas gelangweilt (böse formuliert: heruntergemuckt!). Das Werk ist ziemlich lang und anstrengend, nicht gerade ein Einspielstück. Auf dem Programm stand es vielleicht nur wegen formaler Ähnlichkeiten mit dem später folgenden Oktett Schuberts. Ich persönlich mag Beethoven so nicht mehr hören, dynamisch hyperorchestral, mit romantischer Soße übergossen und routinemäßig serviert. Wirklich packend musiziert wurden nur das Adagio und die moll-Variation im vierten Satz. Primgeiger Hans Maille war überdies gar nicht gut drauf und spielte schlechter als seine Kollegen.

Wesentlich besser geriet Schuberts Spätwerk, das kühne Oktett D 803 (1824). Der orchestrale Interpretationsansatz tat diesem Werk, mit dem sich Schubert nach eigenen Worten „den Weg zur großen Sinfonie bahnen“ wollte, besser als Beethoven. Die Form des Oktetts folgt im Wesentlichen dem Vorbild des sechssätzigen Beethoven-Septetts. Andante und Menuett fallen nach drei hochromantischen Sätzen jedoch zurück in klassische Biederkeit und stellen die Hörergeduld auf eine lange Probe. So waren Musiker und Zuhörer um zehn nach zehn gleichermaßen erschöpft. Trotzdem war der Besuch lohnend: Das hohe Maß an Zusammenspiel, Klangfarbenvielfalt und dynamischer Breite der Berliner ist erstaunlich. Gunnar Cohrs