: »Kranke brauchen Hilfe, keinen Sarg«
■ 1.000 Interflug-Mitarbeiter demonstrierten gestern vor der Treuhandanstalt am Alex: Treuhand hat Schuld am Absturz
Berlin. Die Beschäftigten der Fluggesellschaft Interflug wollen ihre drohende Entlassung nicht klaglos hinnehmen: Etwa 1.000 Mitarbeiter demonstrierten gestern mittag trotz eisiger Kälte aufgebracht vor dem Sitz der Treuhandanstalt am Alexanderplatz. Wie berichtet, hatte die Treuhand am Freitag vergangener Woche überraschend mitgeteilt, daß alle Versuche, das angeschlagene Unternehmen zu privatisieren, gescheitert seien und mit einer baldigen Einstellung des Flugbetriebs zu rechnen sei. Rund 2.900 Mitarbeitern droht jetzt die Entlassung; eine Weiterbeschäftigung bei westlichen Fluggesellschaften wird es für die meist langjährigen Beschäftigten kaum geben. Zu der Demonstration aufgerufen hatten die DAG, in der rund 1.000 Interflug-Mitarbeiter organisiert sind und die ÖTV, in der knapp 2.000 der Beschäftigten Mitglieder sind.
In einer Pressekonferenz am Vormittag hatte der Leiter der Berufsgruppe Luftfahrt der DAG, Bernd Harth, es als »Unverschämtheit« bezeichnet, daß das Bundeskartellamt alle Schuld von sich weise. Die DAG fordert für die Interflug-Mitarbeiter Umschulung und Qualifikation; bis dahin müsse der Flugbetrieb erhalten bleiben. Die ÖTV geht weiter: Sie verlangt die sofortige Rücknahme der Treuhand-Entscheidung. Wie ÖTV-Vertreter Detlef Wahl gegenüber der taz erklärte, müßten mit weiteren Interessenten Verhandlungen geführt werden. »Wenn ein Fortbestehen der Interflug nicht mehr gewährleistet ist, muß die Treuhand als Hauptverursacherin der Misere Umschulungskonzepte und Beschäftigungsgesellschaften finanzieren.«
Vor der Treuhand machten viele Redner und Mitarbeiter ihrer Wut und Angst vor Arbeitslosigkeit Luft: »Die Interflug ist krank, und Kranke brauchen Hilfe, keinen Sarg«, forderte ein Redner und erhielt dafür großen Beifall. »Die Belegschaft möchte nicht lebendig begraben werden.« Für viele der anwesenden DemonstrantInnen war die Schuldzuweisung eindeutig: Schuld sei die Treuhand, die eine politische und keine ökonomische Entscheidung getroffen habe, war in vielen Gesprächen zu hören. Daß auch das Bundeskartellamt, das im Sommer 90 eine mögliche Beteiligung der Lufthansa an der Interflug untersagen wollte, an der Misere beteiligt war, war nur wenigen präsent. »So haben wir uns die Einheit nicht vorgestellt«, schimpfte eine Stewardeß, die schon ihren »abgewickelten« Mann und drei Kinder versorgen muß. »Jetzt ist sowieso alles zu spät«, meinte Kapitän Probst, seit über 20 Jahren Pilot bei dem Unternehmen, gegenüber der taz. Seine Beschäftigungschancen schätzt der Pilot auf Null, obwohl er bereits auf einem Airbus fliegt.
Die Menschen warteten trotz der Kälte, während drinnen eine Delegation der Gewerkschaftsvertreter mit Treuhand-Chef Rohwedder hinter verschlossenen Türen verhandelte. Pressesprecher Schöde erklärte währenddessen, die finanzielle Situation der Fluggesellschaft habe die Entscheidung notwendig gemacht. Für den Monat Februar bezifferte er die geschätzten Verluste auf 25 Millionen Mark. Das Kartellamt habe im Oktober der Lufthansa untersagt, die Interflug zu kaufen, »die Treuhand hat nie etwas dagegen gehabt«. Nach etwa einer Stunde kehrte die Delegation mit mageren Ergebnissen zurück: Es sei zugesichert worden, daß die von den Gewerkschaften vorgeschlagenen Konzepte von der Treuhand mitverfolgt würden. Die Demonstranten zogen schließlich friedlich ab, drohten aber: »Wir kommen wieder!« kd
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