: MUT ZUR FEIGHEIT
■ Drückeberger aller Länder vereinigt euch
Seit Wochen hagelt es international Komplimente auf die Deutschen: Feiglinge, Drückeberger, Weichlinge sollen sie sein, verzärtelte Geldsäcke, die andere die Drecksarbeit machen lassen, hirnverbrannte Friedensheinis und Appeasement-Laschis... Die Leitartikler in England und USA sowie die säbelrasselnde Soldateska an deutschen Provinz-Schreibtischen haben sich auf die mangelnde deutsche Kriegsbereitschaft eingeschossen. Die Söhne und Enkel wollen nicht mehr so wie weiland Rommel — der Grund für die angebliche „Rufschädigung“ im Ausland. Um das Drückeberger-Image als das zu nehmen, was es ist, nämlich ein Kompliment, fehlt den Deutschen der Mut zur Feigheit.
Anfangs sah es ja noch so aus, als könnte die Oggersheimer Taktik des Aussitzens hinreichen. Wie Kohl da als erste Kriegsgabe reichlich NVA-Schrott an den Golf abschob — das hatte schon was. Mochte man als Amerikas Musterschüler die „Hausaufgaben“ auch immer gemacht haben, hier, wo es ums Hauen und Stechen ging, verweigerte sich der Primus plötzlich. Ein paar müde Alphajets in die Türkei — schon diese kleine Anbiederung an den wildgewordenen Zeitgeist stieß im Land auf zunehmenden Widerspruch. Doch draußen brannte es lichterloh: Die Bundesrepublik stand quasi als Exklusivlieferant des Irak allein im Regen und moralisch im Minus, der Rest der waffenliefernden Länder bombardierte derweil an der Front sein eigenes Gerät und durfte dafür Pluspunkte verbuchen. Spätestens hier knickte der aufmüpfige Musterschüler ein und nahm Haltung an: Seitdem wird Scheckbuch-Treue demonstriert, die Milliardenschatulle für das größte Bombardement der Menschheitsgeschichte ohne „Wenn und Aber“ geöffnet. Kohl, so zeigte sich, ist nur ein Aussitzriese; Rückgrat, den Mut zur Feigheit, hat er genauso wenig wie der Windbeutel Genschman. Jetzt, wo sie von allen Seiten ein bißchen angekläfft werden, japsen sie hinter der Kriegsmeute her — ein Provinzdackel, der nicht einmal eine Handvoll Raketenwerfer allein ausfliegen kann —, statt zu sehen, daß dieser Krieg nach einem deutschen Sonderweg geradezu schreit.
Wer zwei Weltkriege maßgeblich bestritten hat, ist es für den nicht allererste Pflicht, angesichts des dritten alles zu tun, ihn zu verhindern, begrenzt zu halten, seine Folgen einzudämmen? Kann ein Kanzler nicht nach Amerika, England, Frankreich reisen und diese besondere Verantwortung Deutschlands nachdrücklich klarmachen? Ist es nicht möglich, mit den 10, 20, 30 Milliarden Mark für Bomben auf Bagdad einen Marshall-Fonds „Mittlerer Osten“ zu eröffnen? Ist dem bis an die Zähne bewaffneten Israel mit einer solchen postmilitärischen Lösung nicht viel besser geholfen als mit der Lieferung zusätzlicher Raketen? Muß man sich von der Nato, die nach dem Kalten Krieg gegen ihr Überflüssigwerden kämpft, in das Gemetzel hineinziehen lassen? Gar noch um einen dubiosen Folterknecht in der Türkei zu „retten“? Ist es für ein Land, das die Welt zweimal in furchtbaren Schrecken versetzt hat, nicht an der Zeit, sie in nachhaltiges Erstaunen zu versetzen: nicht als der immer gleiche Kriegstäter (Cleaned by US-Military) sondern als der unerwartete Friedensstifter?
Deutsche mit mehr Mut zur Feigheit in den Jahren 1938 ff. hätten der Menschheit viel erspart — auch den Todesmut der Roten Armee und der Westalliierten, Hitlers Republikanische Garden im Bodenkrieg zu besiegen. Nur weil es heute scheinbar umgekehrt gehen soll — auf Seiten der Befreier gegen einen „Hitler“ — ist der Mut zur Feigheit aber nicht suspendiert. Im Gegenteil. Die Effizienz moderner Vernichtungswaffen hat dafür gesorgt, daß all das, was über die Jahrtausende an moralischen Normen des Krieges entwickelt wurde, obsolet geworden ist. Es geht nicht mehr um Mannesmut im Handgemenge, die „gerechte“ Keule in die Eingeweide des Gegners — es geht um Massenmord auf Knopfdruck. Sollte sich George Bush entschliessen, als Antwort auf einen heimtückischen Angriff Iraks die Neutronenbombe einzusetzen — ein Soldat wird sie abwerfen müssen.
Vor diesem Hintergrund, und er ist keineswegs unrealistisch, gebührt jedem Deserteur und Kriegsdienstverweigerer ein Heldentitel. Und für eine Bundesregierung ziemte es sich nicht schlecht, die Benzinsteuer zu verdreifachen, einen milliardenschweren Friedensfonds zu eröffnen, und eine offizielle Einladung zu erlassen: „Jeder nicht abgegebene Schuß ist ein Fortschritt. Drückeberger aller Länder vereinigt Euch, im wiedervereinten Deutschland“. Dann bedürfte es auch nur einer winzigen Grundgesetzänderung: Intellektuellengeschwader, die von der Verfassung bisher hinter die sichere Deckung ihrer PC-Monitore verbannt wurden, dürfen ab sofort und jederzeit zu Fronteinsätzen im Rahmen des PEN-Clubs ausrücken...
DRÜCKEBERGERALLERLÄNDERVEREINIGTEUCH
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