: „Il Grillo“ und die Musik
■ Italiens Langlaufteam sucht sein Heil bei Mozart PRESS-SCHLAG
Die Italiener erwiesen sich bereits in der Vergangenheit als ausgesprochen findig bei der Jagd nach Weltmeisterschaftsmedaillen im Skilanglauf. Vor vier Jahren verpesteten sie in Oberstdorf die Luft mit einem speziellen wasserabweisenden, sündhaft teuren Skiwachs namens Cera F, das Fluor zur Grundlage hatte und die Serviceleute wegen seiner ätzenden Dämpfe dazu zwang, bei der Skipräparierung Atemschutzmasken zu tragen.
Der vormalige finnische Trainer des italienischen Teams hatte hingegen weniger auf Gift als auf Gesundheit gesetzt und die Athletinnen und Athleten kurzerhand auf Vollwertkost umgestellt. Brav fraßen sie das Körnerzeug, nur der loipelnde Feuerwehrmann Maurilio de Zolt, genannt „Il Grillo“, weigerte sich kategorisch, das gräßliche Mahl auch nur anzublicken, schlug sich den Bauch weiter mit Pasta voll, sorgte für die Entlassung des makrobiotischen Finnen und gewann zur Strafe 1985 in Seefeld zwei Silber- sowie eine Bronzemedaille, 1987 in Oberstdorf dann sogar Gold über fünfzig Kilometer.
Dieses Jahr im eigenen Land kommen die Italiener eher musisch daher. Sanfte Töne von Mozart sowie gregorianische Kantaten sollen im Val di Fiemme für einen beschwingten Schlittschuhschritt sorgen. „Tomatis“ ist die wissenschaftliche Bezeichnung des Systems, das zu einer besseren Ausgewogenheit des Körpers und zur Schulung des Gleichgewichts führen sollen. Die hehren Klänge stimulieren das Ohr, was der Theorie zufolge zu einem besseren Muskeltonus und zur Verfeinerung der motorischen Koordination führt. Außerdem werde die Konzentrationsfähigkeit gesteigert.
Musik als Sprungbrett zur sportlichen Höchstleistung ist allerdings keineswegs eine neuartige Errungenschaft. In der dilettantischen Variante ist es vor allem der übergestülpte Walkman, der etwa bei Leichtathletik-Veranstaltungen durch seine Allgegenwart besticht. Auch der Tenniszirkus schätzt die Musikberieselung zwecks Konzentrationsgewinn. Steffi Graf beispielsweise präparierte ihre gefürchtete Vorhand jahrelang unter kompetenter Mithilfe eines gewissen „Prince“, der lange keine neue Platte mehr rausgebracht hat, was uns schnurstracks zu den wahren Ursachen der sogenannten „Grafschen Krise“ führt.
In der DDR wurden solche Dinge natürlicher wesentlich professioneller gehandhabt. So trainierte Kristin Otto nach einem eigens für sie komponierten Musikstück, das exakt Weltrekordlänge besaß und genau ihrem Schwimmrhythmus angepaßt war.
Kronzeuge der Italiener für die wundersame Wirkung von „Tomatis“ ist der Radprofi Gianni Bugno, der nach zwei schweren Stürzen nicht nur unter Schwindelgefühlen litt, sondern auch eine Heidenangst vor den Abfahrten hatte, wo er häufig die beim Anstieg mühsam erstrampelten Sekunden wieder einbüßte. Die Mailänder Ärztin Bertele traktierte ihn ausgiebig mit Musik, prompt flog Bugno im letzten Jahr wie ein Falke die Alpen- und Pyrenäenberge hinunter, gewann überlegen den Giro d'Italia und belegte danach bei der Tour de France einen glänzenden 7. Platz.
Was Bugno auf den Alpenpässen gelang, möchte das Langlaufteam nun gern in der Loipe vollbringen. Für Stefania Belmondo reichte es mit Mozart im Ohr immerhin schon zu einer Bronzemedaille über 15 Kilometer — sinnigerweise im klassischen Stil. Nur einer spielt nicht mit: „Il Grillo“. Der nunmehr 41jährige Maurilio de Zolt verschließt konsequent seine Lauscher, läßt weder Mozart noch Gregor an die Gehörgänge und schwört weiterhin auf seine ganz persönliche Form der Stimulation: Spaghetti-Power. Matti
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