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„Eine Zeit, in der Zeugen besonders nötig wären“

■ Gespräch mit Alexandra Senfft, Pressesprecherin der „United Nations Relief and Works Agency for the Palestinians“ (UNRWA) im Gaza-Streifen über die Folgen der wochenlangen Ausgangssperre INTERVIEW

taz: Wie können die Palästinenser unter der seit mehr als drei Wochen andauernden Ausgangssperre existieren?

Alexandra Senfft: Seit Beginn des Golfkrieges hat sich Gaza- Town in eine Geisterstadt verwandelt, der ganze Gaza-Streifen ist ein „Geistergebiet“ — wie ausgestorben. Das allgemeine Ausgehverbot war nun mindestens 27 Tage in Kraft, in einigen Fällen auch schon vor Kriegsausbruch. Niemand wagte sich diesmal auf die Straße; die Bevölkerung wurde gewarnt, daß nun Kriegsnormen gelten. Innerhalb von zwei Wochen wurde die Nahrungsmittelversorgung kritisch, vor allem weil den Leuten das Geld ausging und viele Familien nichts mehr kaufen konnten — was sowieso nur in den kurzen Unterbrechungen der Ausgangssperre möglich war, die es hier und da gab, in denen Frauen für ein paar Stunden die Wohnungen verlassen durften, um das Notwendigste zu besorgen.

Niemand konnte zur Arbeit gehen, Felder blieben unbestellt (bis am 30. Januar einige Leute die Erlaubnis erhielten, dringende Landarbeit zu verrichten). Handel und Verkehr waren eingestellt. Immerhin gehen sonst im Durchschnitt 35.000 Arbeiter aus dem Gaza-Streifen nach Israel — als Tagelöhner, die ihre Familien erhalten müssen. Bei Hausarrest war natürlich nichts dergleichen möglich, und die gesamte Bevölkerung war von ihren Einkommensquellen abgeschnitten.

Im vergangenen Monat, nach Beginn des Krieges und des Ausgehverbotes in den besetzten Gebieten, haben sich einige palästinensische Organisationen darüber beschwert, daß die UNRWA der Bevölkerung nicht beisteht. Was macht die UNRWA, um das schwierige Dasein der unter Hausarrest stehenden Flüchtlinge zu erleichtern?

Am 29. Januar hat die UNRWA mit einer großangelegten Notstandsverteilung von Mehl und Trockenmilch (50 Kilo Mehl und drei Kilo Trockenmilch pro Familie) begonnen, und zwar an alle 135.000 Familien im Gaza-Streifen — das heißt nicht nur an die Flüchtlinge, sondern an alle 750.000 Palästinenser und alteingesessenen Gaza- Einwohner. Bisher haben wir 72.000 Familien, also mehr als die Hälfte der Bevölkerung, erreicht und beliefert — mit insgesamt 3.600 Tonnen Mehl und 215 Tonnen Trockenmilch. Die Verteilung ist schwierig, weil UNRWA-Leute nur während der Pausen der Ausgangssperre den Kontakt mit der Bevölkerung aufnehmen dürfen. Die Verteilung findet in UNRWA-Institutionen, zum Beispiel in Schulen, statt, die auf Befehl der israelischen Behörden geschlossen wurden. Im Flüchtlingslager Jebalya zum Beispiel wohnen 60.000 Menschen — wie kann man da in drei bis vier Stunden, in denen die Ausgangssperre unterbrochen ist, Mehl und Milch an alle Familien verteilen?

Erst jetzt wurde die Ausgangssperre an verschiedenen Orten erleichtert, so daß auch die Männer aus den Häusern können. Ab Einbruch der Dunkelheit ist die Ausgangssperre weiterhin voll in Kraft. Man muß sich auch die allgemeinen Lebensbedingungen in Gaza vor Augen halten: Es wohnen da meist zehn oder mehr Leute in einem Raum. Wenn da alle fast einen Monat lang eingesperrt sind, ganze Familien mit Großeltern und vielen Kindern, ist das Dasein natürlich arg — besonders dort, wo es kaum was zu Essen gibt. Da wächst natürlich auch die Verzweiflung und die Wut.

Für die Schüler der 150 UNRWA-Schulen im Gaza-Streifen, die jetzt geschlossen sind (wie andere Schulen auch), hat die UNRWA mit den Lehrern, die ja auch vom Ausgehverbot betroffen sind, Material zum Selbststudium der Schüler daheim produziert und zur Verteilung bereitgestellt. Die UNRWA wird vielfach auch von Journalisten befragt, die Informationen suchen, aber nicht in den Gaza-Streifen hineinkommen, solange zusammen mit der Ausgangssperre auch eine allgemeine Sperre (militärisches Sperrgebiet) gilt, die die Medien „draußenläßt“. Das heißt, es gibt keine Beobachter der Vorgänge in den besetzten Gebieten, in einer Zeit, in der Zeugen besonders nötig wären.

Hat die UNRWA die Möglichkeit, ihre Tätigkeit weiter zu entwickeln? Was geschieht nach der Nahrungsmittel-Verteilungsaktion?

Das hängt vor allem von den Mitteln ab, die der UNRWA zur Verfügung stehen werden. Die UNRWA plant natürlich eine Reihe von Hilfsaktionen — zum Beispiel jetzt, um die Bevölkerung mit notwendigen Nahrungsmitteln wie Öl und Zitrusfrüchten zu versorgen. Die UNRWA braucht aber dringend Unterstützung von Regierungen, Organisationen und Personen — Spenden, die es ermöglichen sollen, fast 300.000 palästinensische Familien in Gaza-Streifen und Westjordanland während der Kriegsmonate mit Lebensmitteln zu versorgen, so daß jedem ein 1.000-Kalorien-Minimum pro Tag gesichert ist — gerade in dieser sehr unsicheren Zeit und Lage. Einstweilen beginnt nur ein ganz kleiner Teil der Palästinenser mit besonderer Erlaubnis der Behörden, in bestimmten Teilen Israels zu arbeiten. Im Verlauf des vergangenen Monats war die gesamte erwerbstätige Bevölkerung in den besetzten Gebieten, das heißt mehr als 280.000 Menschen, gezwungenermaßen arbeitslos und nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Wie das weitergehen soll, ist unklar, aber es gibt einstweilen kein Zeichen der Normalität. Mehr internationale Spenden für die UNRWA-Tätigkeit würden auch der Unterstützung von Selbsthilfeprojekten dienen, zur Entwicklung der eigenen palästinensischen Industrie und so weiter. Es wäre zum Beispiel sehr wünschenswert, daß die EG ihre Unterstützung (in der gegenwärtigen Zeit des Krieges und des Notstands nur eine knappe Million Dollar) für die UNRWA-Arbeit in Gaza vergrößerte. Interview: aw

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