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Die intellektuelle Kriegshetze

Biermann und Enzensberger über den Golfkrieg  ■ Von Prof. Dr. Sefik Alp Bahadir

Wenn nach Aufhebung der Militärzensur das ganze Ausmaß der menschlichen und materiellen Zerstörungen sichtbar wird und die Leichenberge über den Bildschirm flimmern, wird die Brutalität dieses Krieges weder mit der Besetzung Kuwaits und dem damit verbundenen Völkerrechtsbruch noch mit der abgedroschenen Rede von Saddam Hussein als einem Nachfolger Hitlers zu rechtfertigen sein. Um Zehntausende oder Hunderttausende Opfer unter der irakischen Zivilbevölkerung zu rechtfertigen, wird es nicht genügen, Saddam Hussein aus seinem bombensicheren Bunker auf die Anklagebank zu bringen. Da müssen schon „das irakische Volk“ und „die Araber“ vor das Tribunal: „Die Deutschen waren die Irakis von 1938 bis 1945.“ Für Hans Magnus Enzensberger (Hitlers Widergänger, 'Der Spiegel‘ vom 4.2.1991) hat dieser Rückschluß „nicht nur die Logik auf seiner Seite“, sondern kann „die innere Dynamik des Golfkrieges blitzartig erleuchten“. Auch für Wolf Biermann (Kriegshetze Friedenshetze, 'Die Zeit‘ vom 1.2.1991) gehören „Saddam Hussein und seine kriegsbegeisterte Bande“ unzertrennlich zueinander, wenn es um die Rechtfertigung des Weltkrieges gegen den Irak geht.

Die Logik von Enzensbergers intellektueller Kriegshetze ist verblüffend simpel und äußerst verfänglich zugleich. Wenn Saddam Hussein ein Nachfolger Hitlers ist und die Irakis von heute die Deutschen von 1938 bis 1945 sind, dann lehrt uns die Geschichte, was der Weltfrieden erfordert: keine naive Verhandlungsbereitschaft und keine faulen Kompromisse, sondern einen erbarmungslosen Krieg bis zur totalen Zerstörung des Feindes — koste es, was es wolle. „Die Beseitigung Hitlers hat ungezählte Menschen das Leben gekostet. Der Preis für die Entfernung Saddam Husseins von der Erdoberfläche wird astronomisch sein.“ Was Enzensberger ängstigt, ist aber — über Hussein hinaus — die pure Existenz von unterdrückten Völkern, von „ewigen Verlieren“, deren „Entschlossenheit zum Genozid“ eine potentielle Bedrohung für diejenigen Völker bildet, die auf der Sonnenseite dieses Planeten leben. Er wird seine apokalyptischen Ängste auch dann nicht los, wenn der Irak bald in Trümmern liegt — solange die Erde von Völkern bewohnt ist, „die sich nach dem Untergang sehnen“.

Es geht ihm jetzt nicht um „traditionelle Despoten“ oder „moderne Diktatoren“ wie „Franco, Batista, Marcos, Pinochet und einem halben Hundert ihresgleichen, die heute noch in aller Welt an der Macht sind“. Diese „lassen sich von ihrem Selbsterhaltungstrieb leiten. Insofern gehorcht ihr Vorgehen einem Interessenkalkül, und das macht sie ihrerseits kalkulierbar“. Nicht diese kalkulierbaren Despoten und Diktatoren, die selbstsüchtig ihr eigenes Volk peinigen, änstigen Enzensberger, sondern die unkalkulierbaren (Hitler, Saddam und deren Nachfolger), die auch andere Völker bedrohen. Sein Kriegsziel ist nicht — im Unterschied zu Biermann — die bloße Vernichtung des irakischen Militärpotentials. Er verfolgt ein viel größeres Projekt: Die Alliierten sollen nicht nur den Irak so gründlich niederschlagen, wie sie es mit dem Dritten Reich getan haben, sondern auch andere „ewige Verlierer“ überall in der Dritten Welt, die künftig unkalkulierbar werden. Enzensberger selbst liefert — so ganz nebenbei — die ideologische Legitimation dieser neuen Weltkriegsordnung, nämlich „daß wir es nicht mit einer deutschen, nicht mit einer arabischen, sondern mit einer anthropologischen Tatsache zu tun haben“. Er überläßt es dann den Politikern der westlichen Welt, künftig weitere „unkalkulierbare“ Entwicklungsländer als Nachfolger des Dritten Reiches zu identifizieren und mit diesen so zu verfahren, wie sie es mit dem Dritten Rich getan haben.

Tatsächlich ist es ein Leichtes, jeden beliebigen Dritte-Welt-Diktator zum Nachfolger Hitlers zu deklarieren, wenn man so verfährt wie Enzensberger. Über den „Feind der Menschheit“ (Hitler, Saddam) schreibt Enzensberger: „Er erzeugt ein intellektuelles Vakuum, das sich dann mit beliebigen Versatzstücken aus der jeweiligen Tradition auffüllen läßt.“ Genau das aber ist die Methode, mit der Enzensberger Saddam Hussein mit Hitler und die Araber von heute mit den Deutschen von damals gleichsetzt. Zunächst schafft er ein „intellektuelles Vakuum“: „Eine ganze Generation von Gelehrten hat sich bemüht, Hitler und die Folgen auf ihren historischen Sonderweg, ihren eigentümlichen Charakter, ihre vermeintlich anders geartete Kultur zurückzuführen. Man erinnert sich an die hilflosen Versuche der Historiker, das Unerklärliche in den Taten von Königen und Kanzlern oder im Denken Nietzsches, Wagners und Luthers dingfest zu machen. Heute treten Nahostkenner und Orientalisten mit ähnlichen Argumenten auf den Plan.“ Hat er die Historiker, Nahostkenner und Orientalisten erst beiseite geschoben, kann er nun mit „beliebigen Versatzstücken“ aus der deutschen Geschichte und Araberklischees aus Massenmedien jonglieren: „In die Geschichte kann ein Hitler, ein Saddam nur dadurch eintreten, daß ganze Völker ihr Kommen herbeiwünschen. Ihre Macht wächst nicht aus den Gewehrläufen, sondern aus der grenzenlose Liebe und Opferbereitschaft ihrer Anhänger.“ Der deutsche Leser denkt hier natürlich an die klassischen Sprüche: „Dem deutschen Volke ist der langersehnte Führer auferstanden“ (Dagobert von Mikusch). Welcher Iraker beziehungsweise Araber hat aber das Kommen von Saddam Hussein herbeigewünscht? In den sieben Jahrzehnten seit 1920, als der Irak aus Teilen des Osmanischen Reiches kreiert wurde, hatten die Iraker niemals eine Chance, eine Regierung zu wählen. Die Briten haben ihnen einen Monarchen aufoktroyiert, dann die Militärs ein Regime der Konspiration und Unterdrückung. Im Unterschied zu Hitler steht Saddam Hussein nicht am Ende einer parlamentarischen Demokratie; seine Vorgänger sind nicht freigewählte Kanzler der Weimarer Republik, sondern Diktatoren wie er — Abdel Karim Qasim, Abdel Salam Arif, Abdel Rahman Arif und Ahmad Hassan al-Bakr —, die den Irak seit dem Ende der Monarchie 1958 regierten. Bereits der von den Briten eingesetzte König Faisal schrieb übrigens kurz vor seinem Tod im Jahr 1933: „Im Irak gibt es immer noch [...] kein irakisches Volk, sondern unvorstellbare Massen von Menschen ohne jede patriotische Idee, durchdrungen von religiösen Traditionen und Absurditäten, ohne jede Gemeinsamkeit, [...] geneigt zur Anarchie und ständig bereit, sich gegen jede Art von Regierung zu erheben.“ Die ethnischen, religiösen und regionalen Trennungslinien innerhalb der irakischen Gesellschaft, die der König damals im Auge hatte, existieren heute noch und verbieten jeden Vergleich mit dem „deutschen Volk“ von 1933.

Das aber sind für Enzensberger unwichtige Details. Es genügt für ihn, daß heute, nach Abwurf von zehntausenden Tonnen von Bomben auf die wehrlosen Iraker, andere Araber Solidarität mit diesem Land und dessen Staatspräsidenten demonstrieren. „Jedes zweite Interview, das zwischen Rabat und Bagdad gemacht wird, müßte ihm (dem deutschen Volk) wie ein Echo seiner eigenen Stimme in den Ohren dröhnen. ,Wir wollen weitermarschieren, bis alles in Scherben fällt.‘“ Gut, das sagten die Deutschen von damals. Was aber sagen die Araber nun in „jedem zweiten Interview“? Das sagt Enzensberger nicht mehr, denn das können sich die Deutschen schon selber denken. Dazu genügen ihre Erfahrungen mit dem Dritten Reich und die Araberklischees der Massenmedien: „Von seinen Erfahrungen her dürfte kein Volk so qualifiziert sein wie das deutsche Volk, das zu verstehen, was heute in der arabischen Welt geschieht.“ Nicht deutsche Nahostkenner und Orientalisten, aber das deutsche Volk wird schon richtig verstehen, was in der arabischen Welt geschieht. Das ist die Methode der Kriegspropaganda!

Was heute „in der arabischen Welt geschieht“, sind massenhafte Proteste gegen die „neokoloniale Einmischung fremder Mächte“ in einem innerarabischen Konflikt und Sympathiekundgebungen für das Opfer dieser Einmischung. Man kann diesen Massen zwar vorwerfen, daß ihre Sympathien einem Aggressor gelten, aber nicht, daß sie nach einem „starken Mann“ rufen. Wer das behauptet, bleibt zumindest die Erklärung schuldig, warum diese Massendemonstrationen nicht während des achteinhalbjährigen irakisch-iranischen Krieges stattgefunden haben, als das Opfer der irakischen Aggression nicht selbst Araber, sondern Iraner gewesen waren. Enzensberger ist zwar zuzustimmen, daß die arabische Empfindlichkeit gegenüber Einmischungen fremder Mächte viel mit dem „Gefühl einer lang andauernden kollektiven Kränkung“ zu tun hat. Es ist aber schlicht unmoralisch, diese aus der kolonialen Unterdrückung resultierende kollektive Kränkung mit dem „Gefühl der Demütigung nach dem Versailler Vertrag“ gleichzusetzen. Araber haben nicht einen Weltkrieg angefangen und ihn dann verloren; sie wurden jahrzehntelang zu Opfern europäischer Aggressoren!

Warum ist nun Saddam Hussein „ein Feind des Menschengeschlechtes“ und kein gewöhnlicher Despot oder Diktator? Enzensberger: „Er kämpft nicht gegen den einen oder anderen innen- oder außenpolitischen Gegner; sein Feind ist die Welt. [...] Wer bei der Vernichtung zuerst an die Reihe kommt, ob Iraner oder Kurden, Saudis oder Palästinenser, Kuwaitis oder Israelis, hängt nur von den Gelegenheiten ab, die sich bieten.“ Wer soll nun Enzensberger widersprechen und den advocatus diaboli spielen?

Erstens: Bis zum 2.August 1990 hat Saddam Hussein als irakischer Präsident nur einen Krieg geführt, und zwar gegen Iran. Sein „primärer Antrieb“ war nicht die „Entschlossenheit zur Aggression“, sondern sein „Selbsterhaltungstrieb“. Die islamische Revolution im Iran drohte nicht nur die Emire und Scheiche am Persischen Golf davonzufegen, vor allem der laizistische Präsident des Irak, dessen Bevölkerungsmehrheit — im Unterschied zu ihm — Schiiten sind, war gefährdet. Bereits 1982 war fast mit Sicherheit abzusehen, daß der Irak, auf sich allein gestellt, diesen Krieg bald verlieren würde. Dank den massiven Finanz- und Rüstungszuwendungen anderer Staaten, die heute durchweg zur antiirakischen Koalition gehören, hat er diesen Krieg noch weitere sechs Jahre — zumeist aus der Verteidigungsposition heraus — führen können. Aber gerade in diesen Jahren haben die Beziehungen des Irak zu den USA eine positive Wende erfahren wie noch nie seit dem Bagdad-Pakt. Der US-Kongreß hat 1982 den Irak von der Liste der terrorismusfördernden Staaten abgesetzt, auf die das Land 1979, noch vor dem Kriegsausbruch, gesetzt worden war. 1983, als der Iran die UNO-Waffenstillstandsresolution ablehnte und die Bestrafung von Saddam Hussein zur Vorbedingung erhob, hat die Reagan-Administration die „Operation Staunch“ initiiert, um die befreundeten Staaten in Europa und anderswo von Waffenlieferungen an Teheran wiederaufgenommen, die seit 1967 nicht mehr bestanden. Haben die Alliierten des Zweiten Weltkrieges mit Hitler so verfahren? Haben sie ihn jahrelang mit Finanz- und Rüstungszuwendungen massiv gestützt, damit er in ihrem Interesse einen Stellvertreterkrieg führen kann? Saddam Hussein hat den Krieg gegen den Iran angefangen, er ist der Aggressor. Das macht ihn aber noch nicht zu einem „Feind des Menschengeschlechts“, auch nicht nach den Enzensbergerschen Kriterien.

Zweitens hat Saddam Hussein mehrere tausend Iraker kurdischer Abstammung, zumeist Zivilisten, mit Giftgas umbringen lassen, als Kurden im Krieg auf der Seite Irans gegen den Irak kämpfen. Das macht Saddam Hussein zu einem brutalen Diktator, aber nicht zu einem „Feind des Menschengeschlechts“, jedenfalls nicht mehr oder weniger als die anderen Diktatoren, die ihre innenpolitischen Feinde (auch Kurden) zu tausenden in Kerkern zu Tode foltern ließen, die aber von Enzensberger wegen ihres „Selbsterhaltungstriebs“ vom Attribut des „Menschenfeindes“ exkulpiert werden. Bis zum 2.August 1990 hat Saddam Hussein weder „Saudis oder Palästinenser“ noch „Kuwaitis oder Israelis“ angegriffen oder gar „vernichtet“. Niemand, auch nicht Enzensberger, ist bis dahin auf die Idee gekommen, Saddam Hussein zu „Hitlers Wiedergänger“ zu deklarieren. Er ist, im Unterschied zu Hitler, nach elf Jahren Amtszeit als irakischer Präsident von einem Tag auf den anderen von der Boulevardpresse zu „HitlerII.“ erklärt worden, als die westlichen Erdölverbraucher — wie es sich inzwischen herausstellte: irrtümlich — ihre Energieversorgung gefährdet sahen. Enzensberger möchte nun — nach weiteren sechs Monaten, kurz vor der Vernichtung des Irak — „versuchen zu zeigen, daß die Rede von Saddam Hussein als einem Nachfolger Hitlers keine journalistische Metapher“ ist. Aber er kommt zu spät. Was er jetzt noch herbeischreibt, ist die Verlängerung der Bombardements auf die wehrlose irakische Bevölkerung. Im übrigen kann die Menschheit froh sein, daß andere Adolf Hitler nicht erst so spät als „einen Feind der Menschheit“ entdeckt haben, wie Enzensberger Saddam Hussein. Vor allem muß man für die Iraker hoffen, daß die Alliierten — im Unterschied zu Enzensberger — zumindest nach Kriegsende so viel Vernunft zeigen werden, zwischen einem unterdrückten Volk und seinem Diktator zu unterscheiden.

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