: Eskalation
■ Nach dem Massaker in Bagdad tritt der Krieg in eine neue Phase
Seit Mittwoch zeigt der Krieg gegen den Irak sein grauenvolles Gesicht. Der Mythos, die mikrochirurgische Präzision der Luftangriffe könne hohe zivile Opfer vermeiden, ist zerrissen. Nach 28 Kriegstagen ist die US-Administration gleich an zwei Fronten dieses Krieges gefordert.
Präsident Bush wird das Timing für die Bodenoffensive möglicherweise überdenken müssen. Der Luftkrieg ist in eine Phase gekommen, wo die militärische Aufklärung hohe zivile Opfer nicht mehr ausschließen kann. Die anhaltenden Bombardements haben die klar als „militärisch“ definierten Ziele offenbar größtenteils zerstört. Um die zu erwartenden hohen Verluste auf der eigenen Seite so weit wie irgend möglich zu reduzieren, wird seit Mitte der Woche ein neues System verfolgt: das Terrain, kuwaitisches und irakisches Territorium wird in Planquadrate — „killing boxes“ im Militärjargon — eingeteilt und aus der Luft planiert. Im Fadenkreuz der Bomber tauchen jetzt zunehmend Einrichtungen auf, die zumindest nicht ausschließlich militärisch genutzt werden. Da mögen Funkzentralen in gleichermaßen zivil genutzten Bunkern stationiert sein, da überqueren Hunderte von Kindern, Frauen, Alten eine Tigrisbrücke, über die gleichzeitig Raketenwerfer rollen. Warum sollte nicht Saddam persönlich einmal die Nähe seines Volkes suchen, womöglich in der Kinderstation eines Krankenhauses übernachten?
Mag Präsident Bush noch getrost seinen Generälen die Entscheidung überlassen haben, den zigtausend irakischen Menschen in Uniform, eingegraben und verschanzt in jenen „killing-boxes“, die Hölle auf Erden zu bereiten, spätestens das grüne Licht für Bombardements der oben genannten Einrichtungen bedarf der politischen wie militärischen Abwägung. Die Allianz wird entscheiden müssen, wie viele solcher Massaker sie politisch noch vertreten kann, bevor diese militärische Phase beendet wird und der dann unvermeidliche Krieg am Boden beginnt, sollte nicht eine diplomatische Verständigung zu wundersamem Waffenstillstand führen.
Die PR-Stäbe der alliierten Regierungen werden hart arbeiten müssen, jene Bilder vom Mittwoch mit der bislang an der Heimatfront noch so erfolgreichen Strategie der Schonung der Zivilbevölkerung übereinzubringen. Gegen den steinerweichenden Anblick verkohlter und verstümmelter Leichen verblaßt jede noch so überzeugende Rechtfertigung militärischer Notwendigkeit. Und lassen sich die Opfer vom Mittwoch mit dem erklärten Kriegsziel, der Befreiung Kuwaits, rechtfertigen?
Die westliche, besonders die amerikanische Bevölkerung, die in ihrer großen Mehrheit mit dem Kriegsziel einverstanden ist und die bislang verfolgte Schonung der irakischen Bevölkerung als Tranquilizer des eigenen Bewußtseins akzeptierte, stellt nach diesen Bildern erneut Fragen: Ist dies der „gerechte“ Krieg oder doch nur ein neues Vietnam? Der Bunker von Bagdad ein zweites Mi Lay? Petra Groll
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