: Keine Einigung über Ostfinanzen
Bonner Regierungskoalition nähert sich der Möglichkeit, die Steuern zu erhöhen/ Mineralölsteuer wird wahrscheinlich als erste heraufgesetzt/ Möllemann wegen seiner „Schnellschüsse“ kritisiert ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski
Auch nach der gestrigen Koalitionsrunde bleibt umstritten, wie dem drohende Kollaps der fünf neuen Länder begegnet werden kann. Zwar soll bis zu den Beratungen des Bundeshaushalts in der nächsten Woche eine Arbeitsgruppe noch Vorschläge erarbeiten; dennoch zeichnen sich bereits jetzt Steuererhöhungen ab.
Dementiert wurde zwar, daß Finanzminister Theo Waigel (CSU) wegen der Belastungen aus dem Golfkrieg und des drohenden Zusammenbruchs der Ostländer die Mehrwertsteuer um einen Punkt auf fünfzehn Prozent und die Mineralölsteuer um vier bis fünf Pfennig erhöhen will. Doch auch die FDP lehnt Steuererhöhungen nicht ab, will jedoch vorher alle Einsparmöglichkeiten geklärt haben. So hält der FDP- Fraktionsvorsitzende und Finanzexperte Solms einen Abbau direkter Subventionen von sechs Milliarden Mark für möglich. Solms hält eine Mineralölsteuererhöhung für sinnvoll, allerdings müsse vorher überprüft werden, inwieweit dies aufgrund der europäischen Höchstgrenzen möglich sei. Keinesfalls dürften nach Ansicht Solms' die Lohn- und Einkommenssteuern erhöht werden.
Auf seiner ersten Sitzung hat der Kabinettsausschuß „Neue Bundesländer“ unter Leitung des Kanzleramtsministers Seiters (CDU) Probleme des Arbeitsmarkts und der Verwaltung besprochen. Einig sei man sich gewesen, den 140.000 Schulabgängern im Sommer auf jeden Fall Ausbildungsplätze zu sichern.
Wirtschaftsminister Möllemann (FDP) erwartet, daß die Sowjetunion in den nächsten vierzehn Tagen in den neuen Ländern Waren im Umfang von neun Milliarden Mark bestellt. Innenminister Schäuble (CDU) teilte mit, die Erhöhung der Personalhilfen auf jährlich 100 Millionen Mark ermögliche, weitere 2.000 Beamte in die neuen Länder zu entsenden, um dort die Verwaltung anzukurbeln.
Seiters forderte die alten Bundesländer auf, ihre Hilfe massiv zu verstärken. Die bisherigen Angebote, unter anderem zusätzliche Finanzhilfen von 15 Milliarden Mark für die nächsten fünf Jahre, werden von der Bundesregierung und von den neuen Ländern als völlig unzureichend angesehen. Seiters verweis darauf, daß die neuen Länder eine Verschuldungsquote von knapp 31 Prozent hätten, die alten Länder aber von unter 7 Prozent. Eine solch unterschiedliche Situation sei nicht akzeptabel. Seiters fordert eine „drastische“ Änderung bei der Verteilung der Umsatzsteuer und ist sich darin mit der FDP einig. Derzeit erhalten die Ostländer nur 55 Prozent des ihnen eigentlich zustehenden Anteils. Den vollen Anteil soll es erst 1994 geben, so der Einigungsvertrag. Dadurch gehen den Ossis 1991 vier Milliarden Mark verloren.
Vor dem gestrigen Koalitionstreffen hatte sich Wirtschaftsminisiter Möllemann heftige Watschen aus dem Regierungslager für seine „Strategie Aufschwung Ost“ eingefangen. Für zusätzliche Investitionsanreize, vermehrte öffentliche Investitionen in kommunale Einrichtungen und Wohnungsbau sowie ABM- Maßnahmen will Möllemann in einem Dreijahresplan jährlich 10 Milliarden Mark bereitstellen. Finanzminister Waigel (CSU) sprach von „steuerpolitischen Schnellschüssen“; der finanzpolitische Sprecher der CSU, Faltlhauser, von einem „Schuß ins Blaue“ und „Sammelsurium unabgestimmter“ und „unausgegorener Maßnahmen“.
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