: Israels neue Optionen
Schamir nennt die Palästinenser in den besetzten Gebieten „arabische Bewohner Israels“/ Neue Zeichen seit Kriegsbeginn ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin
Der Golfkrieg hat der israelischen Regierung die günstige Gelegenheit für eine scharfe Doppeloffensive verschafft: einmal gegen die PLO als mittlerweile international etablierte politische Vertretung der Palästinenser, zum anderen gegen die Intifada in den besetzten Gebieten. Die Schamir-Regierung geht davon aus, daß sich nun alles ändern muß — nicht nur am Golf, sondern auch im Nahen Osten, wo Israel allerdings auch in Zukunft ganz eng mit dem amerikanischen Sieger verbunden bleibt, bis sich irgendwann einmal eine Integrationsmöglichkeit in die geplanten, an den Westen angelehnten Sicherheitsorganisationen im arabisch-islamischen Bereich bietet.
In der Knesset hat der israelische Ministerpräsident am 4. Februar die Beteiligung Israels an einer internationalen Friedenskonferenz für den Mittleren Osten kategorisch abgelehnt, die PLO als Verhandlungspartner grundsätzlich zurückgewiesen und der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß sich auch die übrige Welt nun definitiv von der PLO lossage. In Schamirs Sicht kommt eine Regelung mit den „arabischen Bewohnern Israels“ (gemeint sind die Palästinenser in den besetzten Gebieten) jetzt nur mehr nach einer Beendigung des Kriegszustandes zwischen den arabischen Staaten und Israel in Frage. Das heißt, es werden weitere Bedingungen gestellt. Vor ihrer Erfüllung denkt man nicht an eine Lösung des Konflikts mit den Palästinensern. Wie gehabt, wird das Problem der besetzten Gebiete auf die lange Bank geschoben, ebenso natürlich die Klärung der Beziehungen zu den Nachbarstaaten, weil es höchst unwahrscheinlich scheint, daß sich da etwas bewegt ohne vorhergehende oder wenigstens gleichzeitige Schritte zur Befreiung der Palästinenser.
Außenminister David Levy erklärte am 11. Februar vor dem parlamentarischen Ausschuß für Außenpolitik und Sicherheit: „Wir haben nun eine Chance, die wir nützen müssen, nachdem Außenminister James Baker der PLO den Laufpaß gegeben hat, und direkte israelisch-arabische [das heißt zwischenstaatliche] Verhandlungen befürwortet. Für die USA und viele europäische Staaten hat sich die PLO als Verhandlungspartner desavouiert und ausgeschlossen. Die EG-Außenminister haben letzthin einen unveröffentlichten Beschluß gefaßt, alle Kontakte mit der PLO abzubrechen. Es gilt jetzt [während des Krieges] eine neue Einstellung in den europäischen Hauptstädten in bezug auf die PLO und die internationale Nah-/Mittelostkonferenz. Es liegt jetzt an uns, diese Veränderung auszunutzen und sie in einen positiven Hebel zu verwandeln, um damit ein neues Einverständnis mit Europa herbeizuführen. Diese Transformation, die früher unmöglich schien, wird jetzt möglich. [...] Die beiden früheren Gefahren, denen wir ausgesetzt waren: daß die PLO für die Palästinenser spricht und daß eine internationale Konferenz stattfinden soll, diese Gefahren sind nun in den Hintergrund gedrängt oder abgewendet worden.“
Minister Levy fliegt demnächst nach Washington, um einen amerikanisch-israelischen politischen Koordinationsmechanismus zu besprechen; und Ende des Monats zur EG und nach Bonn, wo er plant, „weitere militärische und andere Hilfe“, die die BRD zugesagt hat, zu realisieren und Verhandlungen über Reparationszahlungen (ehemalige DDR- Schulden) an Israel zu führen.
Gleichzeitig wird der militärische Kampf gegen die PLO (Fatah) im Südlibanon wieder aufgenommen, wobei eine neue Koalition fast aller vorhandenen Kräfte gegen die Palästinenser entstanden ist; und während in allen Teilen der Welt politisch Front gegen Arafat gemacht wird, hat sich der Kriegszustand als effektives Mittel zur Drosselung der Intifada einsetzen lassen: Allgemeiner Hausarrest in den besetzten, von der Außenwelt abgesperrten Gebieten hält die palästinensische Bevölkerung in Schach und erzeugt „Ruhe aus Angst“. Angst vor dem Erschossenwerden, sobald man das Ausgehverbot bricht. Die besetzten Gebiete sind jetzt eine abgeriegelte, geschlossene Militärzone, in die auch Journalisten keinen Zutritt mehr haben. Die Vertreter einer medizinischen Mission sagen, daß „mit allem zu rechnen ist“...
Auf die Dauer ist dieser Zustand nicht aufrechtzuerhalten, und dann sind neue Ausbrüche der Unterdrückten unvermeidlich; bei den „Kriegsregeln“, die jetzt gelten, kann das furchtbare Folgen haben. Bei der vorherrschenden Anspannung und Nervosität der Besatzer, unter einer Regierung, die jetzt auch den berüchtigten „Transferisten“ Rechavam Zeevi als Minister mitführt — sozusagen als Symbol und Fahne gerade zu diesem Zeitpunkt kooptiert —, haben die Palästinenser das Schlimmste zu erwarten.
Das Wirtschaftsleben in den besetzten Gebieten ist fast völlig lahmgelegt, der Verkehr über die Jordanbrücken „aus Sicherheitsgründen“ so gut wie eingefroren. Hunderte von Palästinensern, die in Jordanien zu Besuch waren, als der Krieg begann, warten vergeblich auf die Erlaubnis, wieder zurück zu ihren Familien in der Westbank reisen zu dürfen. Nach Aussage des Generalsekretärs des Allgemeinen Gewerkschaftsverbandes in den besetzten Gebieten, Schaher Saed, gab es bereits zu Beginn des Jahres 1991 eine Arbeitslosenrate von 45 Prozent. Inzwischen sind praktisch alle 287.000 palästinensischen Arbeiter beschäftigungslos und ohne jede Arbeitslosenhilfe.
Obgleich auch die Westbank schon einige Male von irakischen Raketen getroffen wurde, haben bisher bestenfalls 60.000 Palästinenser (bei einer Gesamtbevölkerung von 1,7 Millionen) Gasmasken erhalten. Gasmasken für palästinensische Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren gibt es nicht. Natürlich haben alle israelischen Siedler in den besetzten Gebieten ihre Gasmasken schon längst erhalten. Brigadegeneral Freddy Zach, für die Aktionen der israelischen Regierung in den besetzten Gebieten verantwortlich, erklärte Korrespondenten gegenüber: „Palästinenser würden keine Gasmasken brauchen, wenn Saddam Hussein Israel nicht mit Raketen bedrohen würde. Das Problem ist zu lösen, indem Saddam aufhört, Raketen hierherzufeuern.“ Die meisten Palästinenser unter israelischer Besatzung bleiben also gegen Giftgasangriffe weiterhin ungeschützt.
Die arabische Bevölkerung in den besetzten Gebeiten wird behandelt, als ob sie eigentlich schon „draußen“ wäre, recht- und schutzlos in ihre Behausungen weggesperrt. Es handelt sich um eine Art Demonstration territorialer Annexion der Gebiete — ohne die nichtjüdische Bevölkerung. Es ist ein Zeichen für das, was demnächst geschehen kann: der Wegweiser in die Zukunft. Die palästinensische Bevölkerung hat quasi bereits aufgehört „dazusein“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen