: IRA-Häftlinge im nordirischen Stammheim
■ „Nordirland — Maze-Gefängnis Block H“, So., West 3, 22.45 Uhr
Sie sind wirklich nicht wiederzuerkennen. Da hilft auch kein zweiter, kein dritter Blick. Raymond McCarthy wirkt heute wie ein braver College-Boy, nichts deutet mehr auf die wilden und verzweifelten Tage des Hungerstreiks hin, mit dem er und andere IRA-Häftlinge vor zehn Jahren die Anerkennung als politische Häftlinge erkämpfen wollten. Damals trug Raymond McCarthy Vollbart und lange Haare, und auch nach 53 Tagen Nahrungsverweigerung schien er noch um eine Spur entschlossener als Bobby Sand, dessen Tod dem Gefängnis traurige Berühmtheit brachte.
Maze-Gefängnis, Block H, das nordirische Stammheim — steinernes Symbol für eine unbewegliche britische Regierung, die zusah, wie die Häftlinge zunächst die Häftlingskleidung verweigerten, die Zellenwände mit den eigenen Exkrementen beschmierten und dann in den Hungerstreik traten — um als politische Gefangene anerkannt zu werden. Aber die Briten blieben hart — wie es scheint bis heute, denn offiziell gelten die Insassen von Block H immer noch als gewöhnliche Verbrecher.
Doch die Reportage, die ein BBC- Team nach jahrelangem vergeblichen Bemühen um Drehgenehmigung jetzt realisieren konnte, verblüfft.
Raymond McCarthy trägt legere Freizeitkleidung — eine der strittigen Punkte im Streit um den Gefangenenstatus — und organisiert in der Haftanstalt die Gefangenen nach dem Vorbild der IRA-Kommandostrukturen, ohne daß die Gefängnisleitung einschreiten würde. Fast könnte man meinen, in einem Vorzeigeprojekt vorbildlichen Strafvollzugs gelandet zu sein, so offen und locker wirkt der Umgang im Hochsicherheitstrakt. Nahezu alle Forderungen der Gefangenen sind erfüllt, sogar Hafturlaub wird inzwischen gewährt.
Die Behörden versuchen — so der Eindruck des BBC-Reporters Paul Hamann — über eine gemäßigte Politik den festen Kontakt der Gefangenen zu den IRA-Einheiten draußen zu lösen.
Ob diese Rechnung aufgeht, ist kaum auszumachen, aber die Lockerungen haben eine wesentliche Wirkung — sie ermöglichen einen humaneren Vollzug der lebenslangen Haftstrafen und könnten als Vorbild für den Umgang mit politisch motivierten Straftätern in anderen Ländern dienen.
Christof Boy
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