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Gewinner und Verlierer

■ Perspektiven der Nachkriegszeit im Nahen Osten DOKUMENTATION

Man dachte, daß das, was der Irak an regionalem Einfluß verlieren wird, seine arabischen Rivalen Ägypten, Syrien und Saudi-Arabien gewinnen würden. Dieses Kalkül unterschätzt die Bedeutung dessen, was abläuft. Der Irak verliert, und mit ihm werden alle Araber verlieren, ob sie nun Komplizen des Irakers sind oder die Stützen Washingtons. Mit Irak wird der fortgeschrittenste Versuch, eine technologisch entwickelte, politisch selbständige, rational (wenn auch diktatorisch) organisierte arabische Macht zu etablieren, zerstört. Die arabische Welt wird aus dieser Schlacht geschlagen hervorgehen. In den Serails der Führer wie in den Gassen der Kasbas fühlt man das, befürchtet man es, wartet man darauf. Die Freundlichkeiten Bushs gegenüber den Emiren ändern daran nichts. Wenn die irakische Armee zerstört ist, wird sich jeder Araber, auch der Ägypter oder der Saudi, ein bißchen nackter fühlen.

Die Nachkriegszeit wird noch schlimmer. Die Araber werden kaum beliebt sein, wenn sie es denn je überhaupt waren. Sie werden sich selbst kaum ausstehen, die einen, weil sie Saddam bewundert haben, die andern, weil sie sich gegen ihn verschworen haben. Die Bitterkeit zeichnet bereits die Gesichter, sowohl dasjenige König Husseins von Jordanien wie auch das der Jugendlichen von Tunis. Es wird schwer fallen, sein Arabertum durch eine feindliche, siegreiche, rachsüchtige Welt zu tragen. Man wird sein Arabertum vergraben und sich in einem anderen Kostüm der Identität, das weniger von Wunden gezeichnet ist, präsentieren.

Die nicht-arabischen Länder der Region reiben sich bereits die Hände. Israel hoftt, jenseits der „Patriots“, der von Mitleid gerührten Touristenströme und der versprochenen Milliarden aus der Krise gestärkt hervorzugehen. Es wird sich in seiner Absicht, die 1967 besetzten Gebiete zu behalten und dort Millionen von Zuwanderern aus der Sowjetunion und vielleicht auch aus dem Westen anzusiedeln, bestätigt fühlen. Bush müßte sehr viel Mut aufbringen, um zu wagen, Israel daran zu erinnern, daß es selbst auch eine Besatzungsmacht ist und daß die Palästinenser nicht weniger Recht auf Selbstbestimmung haben als die Kuwaitis. Aller Voraussicht nach wird man also die Palästinenser vergessen. Eine Entschuldigung hat man bereits parat: Es ist Arafats Schuld; er war mit Saddam, er wird bezahlen müssen. Niemand wird sich die Mühe machen, nachzufragen, ob die Palästinenser denn vor Kuwait, vor Saddam, vor Arafat bei den Vereinigten Staaten überhaupt je etwas erreichen konnten.

Aber nicht nur Israel wird Flagge zeigen. Weiter im Osten beschuldigt Teheran bereits die Türkei, Irak ein Stück entreißen und Hand auf sein Erdöl legen zu wollen. Schon seit Beginn der Krise macht sich in aller Stille eine tiefe Rivalität zwischen Iran und der Türkei bemerkbar, die auf einem Mißtrauen zwischen Sunniten und Schiiten gründet. Ankara möchte zumindest sicher sein, daß der geschlagene Irak nicht aufgeteilt wird und daß in seinem Norden kein kurdischer Staat entsteht. Noch schlimmer: Turgut Özal scheint der Idee nicht abgeneigt, eine solche Drohung als Vorwand für eine „Grenzkorrektur“ im Süden der Türkei zwecks Einverleibung Mosuls und Kirkuks zu nehmen.

Teheran hat subtile, eher politische als territoriale Ansprüche. Der Iran scheint zu denken, daß mit dem Sturz des Baath-Regimes letztlich ein Hindernis beseitigt wäre, das der politischen Machtübernahme der schiitischen Mehrheit des Irak noch im Wege steht. Die aktuelle irakische Mischung von dumpfem Patriotismus und einem arabischen Nationalismus, der Züge eines Don Quijote trägt, würde einem komplexen, pluralistischen Tauziehen weichen. Der Einfluß des Iran auf breite Teile der irakischen Bevölkerung könnte ganz unauffällig zum Tragen kommen. Der Irak wäre nicht mehr Subjekt, sondern Objekt der Begierde seiner Nachbarn. Der Iran nähme beim Festschmaus der Einmischung der regionalen Kräfte in die Angelegenheiten des künftigen kranken Mannes in Westasien einen Ehrenplatz ein. Wenn es dem Iran gelingt, in Bagdad ein Satellitenregime zu etablieren, würde sich der Traum Ayatollah Khomeinis post mortem noch erfüllen. Auf jeden Fall wird Teheran mit einem beachtlichen, ihm günstig gesinnten Sektor im Irak und mit einem gewichtigen Einfluß auf die schwächlichen Ölmonarchien rechnen können.

Ein anderers Szenario: Vielleicht bekommen die fiebrigen und sich windenden Staaten am Schluß nur die Brosamen des Festschmauses. In Washington, London, Rom und anderswo fragen sich nämlich gewisse Leute bereits, ob der Westen sich denn nicht größere Ambitionen erlauben sollte, die seinem historischen Sieg über den Kommunismus und dem fulminanten Erfolg seiner Technologie in Kuwait angemessen sind. Wenn sich die Dritte Welt in den vergangenen 50 Jahren von der Beherrschung durch den Westen emanzipieren konnte, so denkt man dort, dann nicht deshalb, weil sie selbst die Mittel dazu hatte, sondern aufgrund der Unterstützung, die sie im Osten zu finden verstand. Die formale Unabhängigkeit habe man den Ländern Afrikas und Asiens nur zugestanden, damit sie nicht in die Hände Moskaus fallen.

Aber heute, wo es kaum mehr eine bipolare Welt gibt, könnte der Westen neue Formen des imperialen Einflusses etablieren. Keine schwere koloniale Präsenz, keine riesigen Luftstützpunkte, gegen die die lokale Opposition sich notwendigerweise zusammenschließen würde, sondern ein Präpositiv von Waffen, die auf Anfrage hin und von im Notfall eingeflogenen Truppen eingesetzt werden. Keine hohen Ausgaben mehr, die man den widerspenstigen Parlamenten nur mit Schwierigkeiten abringen kann, sondern Operationen, die von den lokalen Nutznießern bezahlt werden. Kein weltweiter missionarischer Kolonialismus mehr, sondern ein gezielter Interventionismus, der sich auf die Regionen beschränkt, die wegen ihrer Rohstoffe, wegen des Öls und der Märkte interessant sind.

Ein deutlich selektiver, völlig mobiler Interventionismus, der gewissermaßen Söldner einsetzt, setzt sich durch. Das Amerika von George Bush verkörpert ihn in Panama, Kuwait und bald auch anderswo. Amerika mit seinem Haushalts- und Handelsdefizit würde mit Waffengewalt auf der Welt den Platz wieder einnehmen, den ihm seine Industrie, die an Konkurrenzfähigkeit verloren hat, sein rachitischer Dollar und seine zerrütteten Finanzen nicht mehr garantieren können. Es gäbe nach diesem Szenarion viel mehr „losers“ von Kuwait, als man dachte: neben den arabischen Superverlierern alle regionalen Pole, die sich um eine eigene Politik bemühen, seien es arabische Staaten, die Türkei, Iran oder Israel. Der Nahe Osten wäre eine zu verwundbare Region, als daß man ihn einfach seinen eigenen Bewohnern anvertrauen könnte, zu reich, als daß man ihn ausschließlich dem Spiel der regionalen Mächte überlassen könnte. Da Moskau seine Rolle als Gegenpart zum Westen nicht mehr spielen kann, würde dieser dort sein Recht diktieren. Er würde es Völkerrecht nennen und es elegant in einige Resolutionen des UNO-Sicherheitsrates kleiden. Die arabischen Länder würden nach der Kuwait-Affäre verblüfft vor zwei gleichermaßen unangenehmen Szenarien stehen: eine noch erdrückendere Hegemonie des Westens oder Terrainverlust gegenüber Israel, dem Iran und der Türkei; im schlimmsten Fall vor beiden Szenarien gleichzeitig. Doch würde es nicht alle Araber in gleicher Weise treffen: Die Golfstaaten würde der amerikanische Schirm vor weiteren politischen Unwettern schützen. Die übrigen arabischen Länder, sei es nun Irak oder Syrien, Ägypten oder Algerien, werden sich selber helfen müssen. Ihr Bedeutungsverlust wird ihnen in Friedenszeiten unerträglicher sein als die Ängste von heute. Dann aber werden die Araber denjenigen, die sie zu Recht oder zu Unrecht für ihre Feinde halten, die Rechnung für ihre Niederlage zu präsentieren versuchen. Sie werden sich des Gewichts ihrer Verluste bewußt geworden sein. Dann, und erst dann, wird man — zweifellos wird es dabei gewalttätig zugehen — den Rückschlag der Kuwait-Krise spüren. Ghassan Salame

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