: Die drei Leben des Willie Gault
Wolfgang Hoppe aus Oberhof gewann in Altenberg seinen sechsten Weltmeistertitel im Viererbob Aber Edwin Moses und seine Kameraden beherrschten das sportliche Showgeschäft am besten ■ Aus Altenberg Hagen Boßdorf
Sie konnten sich mühen, wie sie wollten. Sie konnten neue Bahnrekorde rasen, Medaillenberge komplettieren, schnittige Bobmodelle präsentieren. Ob Czudaj oder Weder oder Hoppe Weltmeister im Viererbob werden, war ziemlich egal. Die Show hatten ihnen längst andere gestohlen.
Brian Shimer war bis vor wenigen Jahren ein ziemlich unbedeutender US-amerikanischer Bobpilot. Dann kamen einige zwar unerhört durchtrainierte, ansonsten aber unbeleckte Burschen auf die sprillige Idee, etwas Leben in die erstarrte Bobszene zu bringen. Stark beeindruckt von den Olympischen Winterspielen in Calgary 1988 fuhren sie zu einem Test für Anschieber, gewannen prompt und suchten sich ausgerechnet den introvertierten Brian als Testpiloten aus. Nun sorgen die drei dunkelhäutigen Temperamentbündel an allen Bobbahnen der Welt für allerhand Wirbel. Mister Shimer sitzt ruhig daneben und lächelt weise. Mit dem Vorleben seiner Mitfahrer kann er sowieso nicht mithalten.
Der unbefleckteste ist noch Greg Harrel. Ein auf Zwei-Meter-nochwas aufgeblasener Modellathlet, der seine Herkunft als Footballdefender beim besten Willen nicht verbergen kann. Greg läuft die 100 Meter in 10,24 Sekunden, womit er mühelos deutscher Serienmeister im Sprint werden könnte. Im Bob USA II sitzt er nun gleich hinter dem Piloten und muß ganz schön seinen Kopf einziehen, um nicht die Aerodynamik des Gefährts durcheinander zu bringen.
Hinter ihm kauert Willie Gault, ein stets gut gelaunter Eddie-Murphy-Typ. In seinem ersten Sportlerleben wurde Willie 1983 Weltmeister in der USA-Sprintstaffel und WM-Dritter im 110-Meter-Hürdenlauf. In seinem zweiten Leben als reicher Footballprofi gewann mit den Chicago Bears den Superbowl. Dann folgte sein drittes Leben im eiskalten Milieu des Bobsports. Gault ist damit zufrieden, besonders seitdem es auch finanziell immer besser rutscht.
In Altenberg köderten die vier Amis einen spektakulären, weil unerwarteten Sponsor. Keine Weltfirma schoben sie ins mediale Rampenlicht der Weltmeisterschaften, sondern eine krisengeschüttelte Ost- Company. Das Reifenwerk „Pneumant“ Fürstenwalde fädelte raffiniert einen Werbecoup ein, der ihm rund 25.000 DM kostet. „Wir müssen alles versuchen, um im Gespräch zu bleiben. Abwarten, wie das Schicksal mit uns verfährt, hilft überhaupt nicht“, begründet Werbechef Andres den waghalsigen Schritt. „Wir exportieren rund zehn Prozent unserer Reifen in die USA, deshalb ist gerade dieser Bob mit dem berühmten Ed Moses interessant für uns“, meint er und freut sich über die gelungene Aktion. Denn die US-Fernsehgesellschaft CBS dreht in Altenberg einen Film über den Moses-Bob, der in Kürze auf Millionen amerikanischen Bildschirmen nebenbei für die ostdeutschen Reifen werben wird.
Die größten Hoffnungen des „volkseigenen“ Sponsors ruhen auf Edwin Moses, nimmt doch der Hürdenstar der 70er und 80er Jahre als ganz normaler Anschieber eine Ausnahmestellung ein. Moses amüsiert sich, daß der Spitzenpilot Harald Czudaj ihn ehrfürchtig um ein Autogramm bittet. Hinter ihm witzeln Schweizer Bobjournalisten um Exweltmeister Erich Schärer über die „Bob-Flasche“ Moses. „Die Kraft für die ersten Meter des Anschiebens fehlt mir noch“, weiß der Kalifornier sich selbst einzuordnen, „aber kurz vor dem Einsteigen kann ich dem Schlitten schon noch einen Schubs geben.“ Nicht umsonst sitzt Edwin Moses ganz hinten, schiebt also am längsten an.
Moses spielt zwar seinen Bobabstecher als reines Vergnügen herunter, hat im Hinterkopf aber zweifellos ernsthafte Pläne: „Nach den Olympischen Spielen 1992 will ich Flugzeugpilot werden. Dafür ist Bobfahren eine ganz gute Vorbereitung.“ Aus Altenberg hat sich das Mitglied der IOC-Athletenkommission ein dementsprechendes Souvenir mitgebracht. „Ja, ich habe mir einen Zweierbob gekauft. Im nächsten Jahr soll es losgehen“, bestätigte Moses die Zahlung von 30.000 DM an die Dresdner Flugzeugwerft.
Damit würde auch der amerikanische Wunderbob wieder platzen und Pilot Brian Shimer könnte zu seinem gewohnten Leben zurückkehren — als ganz normaler Bobsportler der gehobenen Mittelklasse. Als ein Mann, der aus seinem Respekt vor den Stars dieser Sportart kein Hehl macht. Der Oberhofer Wolfgang Hoppe dürfte bei ihm die meisten Respektpunkte gesammelt haben: Im Training beinahe gegen seinen Klubkameraden Dietrich ausgetauscht, nach dem ersten Tag noch Dritter, gewann Olympiasieger Hoppe zur allgemeinen Verwunderung den Viererbob-Weltmeistertitel und bestätigte seinen Ruf als bester Bobfahrer der Gegenwart. Auch wenn ihm die Show ein wenig von anderen vermasselt wurde.
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