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Der Sprung ins kooperative Ärztehaus

Das Cottbuser Bezirkskrankenhaus auf dem Weg in die Markwirtschaft/ Die Stadt würde die Trägerschaft des Ärztehauses übernehmen/ Treuhand kommt nicht zu Aussagen über die Eigentumsverhältnisse/ „Money makes the world go around“  ■ Aus Cottbus Irina Grabowski

„Wir Ärzte sind nicht gern Unternehmer.“ Unverhohlen äußert Chefarzt Dr. Schuster seine Abneigung gegen jedwede Beschäftigung mit verwaltungstechnischen Abläufen. Seit 18 Jahren leitet der Rheumatologe in der Poliklinik am Cottbuser Bezirkskrankenhaus eine Gruppe subspezialisierter Internisten und möchte sich lieber seinen Patienten widmen, als in die Geheimnisse des Punktesystems, der „Lohnliste“ für niedergelassene Ärzte, einzudringen.

Polikliniken zu „kooperativen Ärztehäusern“

Das ist auch erst von perspektivischem Interesse, wenn die Ärzte ihre Niederlassungen beantragt haben und die Poliklinik in ein „kooperatives Ärztehaus“ umgewandelt wurde. Der erste Schritt dahin: Seit dem 1. Januar 1991 haben Poliklinik und Krankenhaus eine getrennte Verwaltung. Sie war nicht das entscheidende Verbindungsstück zwischen den beiden Medizinhäusern. Analog den Universitätskliniken in Leipzig, Berlin und Rostock sind der stationäre und ambulante Bereich eng miteinander verflochten, auch personell. „Die Infarkte wurden von uns nahtlos zur Rehabilitation inklusive Schwimmtherapie übernommen“, schildert Dr. Schuster im rationellen Medizinerdeutsch Poliklinikalltag. Dazu gehörten bisher auch die ambulanten Visiten in großer Ärzterunde und Bereitschaftsdienste in der Rettungsstelle des Krankenhauses. Der Kardiologe in seiner Abteilung, ein Spezialist für Herzschrittmacher, wurde einst als Oberarzt aus der Klinik übernommen und versieht dort noch heute zusätzlich zu den Sprechstunden in der Poliklinik seine Dienste. Gemeinsam genutzt wurden bisher die Röntgen-, Endoskopie- und Ultraschallgeräte. Auf alle erdenklichen Werte analysierten im Zentrallabor Mikrobiologen und Chemiker Urin-, Blut- und Gewebeproben — egal ob stationäre oder ambulante.

„Wir fürchten um das eingespielte Team“

Den vielzitierten Vorwurf der Anonymität und Kälte der Behandlung in solchen medizinischen Zentren lehnt Dr.Schuster für seine Abteilung ab. Bestätigung kommt von den Patienten im Warteraum. „Wir fürchten um das eingespielte Team unserer Ärzte und Schwestern“, formuliert eine ältere Frau die Sorgen der Patienten. Neben den Nachteilen, die ein aprupt umgestülptes Gesundheitssystem ihr selber bringen könnte, empfinde sie es als menschliche Tragödie, wenn sich Ärzte, die auch nicht vor den Patientenschlangen bei Darminfektionen und Grippeepedemien kapitulierten, im vorgerückten Alter noch einmal vollkommen umstellen sollen.

Dr. Schuster kann auf die Frage nach der Zukunft eine gewisse Hilflosigkeit, beinahe Müdigkeit nicht verbergen. Schon allein der Umstand, daß die Kassen ihm nun vorschreiben, wieviel Blutuntersuchungen pro Quartal für die Gesundheit seiner Patienten ausreichend sein sollen, macht ihn ungehalten. Wer soll bezahlen, was in den fünf spezialisierten Abteilungen — neben der Inneren sind das die Kinder- und Frauenheilkunde, Chirurgie und Orthopädie — an Leistungen geboten wird? Eine handfeste Konzeption liegt allein für das Zentrallabor vor. Etwa 50 Cottbuser Ärzte haben eine Laborgemeinschaft e.V. gegründet. Das Labor wird seine Leistungen sämtlichen Gemeinschafts- und Einzelpraxen, mit den meisten wird schon jahrelang zusammengearbeitet, zum Selbstkostenpreis anbieten.

Keine müde Mark mehr in der Kasse für die Löhne des Personals

Die Stadt würde schon gern die Trägerschaft des zukünftigen Ärztehauses übernehmen. Doch wiedermal kommt die Treuhand nicht zu konkreten Aussagen über die Eigentumsverhältnisse und die Stadt hat keine Sicherheiten für Kredite zu bieten. Für den laufenden Monat hat Verwaltungsleiterin Gabriele Friedrich noch keine müde Mark Gehalt für die 60 Ärzte und 250 Schwestern in der Kasse. Personalabbau ist angesagt: Rund ein Drittel der Belegschaft wird dran glauben müssen.

Auch der Leiter des Diabetikerzentrums Dr. Manfred Schkrok drängt auf eine Entscheidung. Gemeinsam mit fünf versierten Fürsorgerinnen betreut er 4.000 Diabetiker aus Cottbus und dem Umland, davon 760, die ständig Insulin spritzen müssen.

Unter einem Dach wird Diabetes diagnostiziert, lernen Patienten in der Gruppe ihren individuellen Kostplan einzuhalten, werden regelmäßig alle Werte analysiert, die frühzeitig Auskunft über mögliche Komplikationen geben können. Zu alten und behinderten Patienten kommen die Fürsorgerinnen ins Haus. Die Analyseergebnisse werden ihnen per Post zugestellt. In den Altbundesländern werden nur fünf bis acht Prozent der Diabetiker auf gleiche Weise von Kliniken betreut. Die meisten lassen sich von ihrem Hausarzt beraten. Eine einheitliche Ausbildung zum Diabetologen wird denen aber nicht angeboten.

Für zusätzliche Einrichtungen gibt es kein Geld

Für Dr. Schkrok sind große Diabetikerzentren, wie sie in der DDR aufgebaut wurden, nicht der Weisheit letzter Schluß. Er wünscht sich, daß ein breiter Kollegenkreis Diabetiker betreut. Doch bisher gibt es nicht genug Ärzte, die entsprechend qualifiziert sind. Deshalb will die Sozialdezernentin Westphal diese Einrichtung erhalten. Doch Cottbus hat bereits je eine Sozialstation auf 20.000 Einwohner und gilt damit als versorgt. Für jede zusätzliche Einrichtung, die noch nicht mal ins bundesdeutsche Profil paßt, hat das Sozialamt kein Geld.

Der Sprung in die private Niederlassung

Von den 9.000 Mark Pauschale, die die Kassenärztliche Bundesvereinigung den ambulant tätigen Kollegen im Osten pro Monat zuerkennt, kann der Diabetologe Schkrok unmöglich seine Mitarbeiterinnen und die Festkosten bezahlen. Die Krankenkasse zahlt für Diabetikerbetreuung ungenügend. Als Arzt mit eigener Niederlassung, so der altgediente Internist, müsse er seine enge Spezialisierung aufgeben und damit zwei Drittel seiner Diabetespatienten im Stich lassen. Bis zum 30. Juni 1991 ist er noch bei der Stadt angestellt und nicht gezwungen, sich auf Kosten seiner Patienten ein vollinternistisches Profil aufzubauen. Die Fürsorgerinnen werden, zumindest theoretisch, vom Sozialamt bezahlt.

Den Sprung in die private Niederlassung wagen die Mitarbeiter des Ambulatoriums in der Schweriner Straße, wo etwa 20.000 Bürger betreut werden. Die Räume waren nach einigem Gezerre schon im Frühsommer '89 unter den Kollegen verteilt worden. Zwei Frauenärztinnen und drei Allgemeinmediziner werden jeweils in Gemeinschaftspraxen aus einem Topf wirtschaften. Je zwei Kinder-, Zahn- und Augenärzte werden gemeinsam Geräte nutzen. Außerdem finden in dem „Neubauwürfel“, wie sie zu Dutzenden in der DDR hingesetzt wurden, Physiotherapeuten, ein Zahntechniklabor, ein Kosmetiksalon, eine Apotheke und eine Sozialstation der Caritas Platz. Die Patienten haben mit Erleichterung registriert, daß das Gros der Ärzte bleibt. Aufgelöst werden die Verwaltung und die zentrale Anmeldung, wo bisher sechs Frauen die Diagnosen aller Ärzte in Patientenakten zusammengefaßt haben. Den eigentlichen Zweck, daß die einzelnen Fachärzte die gesamte Krankengeschichte zur Behandlung heranziehen können, meint der Allgemeinmediziner Manfred Schimann, sei nicht aufgegangen.

Was er wissen mußte, hat er im Gespräch mit den Kollegen viel unkomplizierter abgeklärt. Die fachliche Kooperation, ob nun ambulante Visiten oder normale Überweisungen, ist sich Dr. Schimann sicher, würde nicht unter den neuen betriebswirtschaftlichen Bedingungen leiden. „Die Unsicherheit der letzten Monate hat die Kollegen zusammengeschweißt.“ Wer an Informationen über die Umwandlung der ambulanten Versorgung herankam, hat sie auch den anderen Medizinern zur Verfügung gestellt.

Die Stadtverwaltung reagiert unterkühlt bis kulant

Wenig Resonanz für ihr Projekt „Ärztehaus“ kam von der Stadtverwaltung. Bei den Konditionen für den Mietvertrag aber habe man sich kulant gezeigt und sei mit Niedrigpreisen von acht Mark pro Quadratmeter den gültigen Empfehlungen des alten DDR-Gesundheitsministeriums gefolgt.

Noch ist die Krankenscheinabrechnung reines Training, haben nicht alle Ärzte ihre Zulassung erhalten. Mit dem 1. April 1991 aber wird das Haus in der Schweriner Straße endgültig von jeglicher staatlichen Einbindung abgenabelt. Manfred Schimann und seine Kollegen sehen dem mit optimistischer Neugier entgegen.

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