Eine hallesche Provinzposse ohne rechtes Publikum

Stasi-Affären, Korruption und amtliche Unfähigkeit machen in Halle Schlagzeilen/ Die „einfachen“ Leute an der Saale allerdings juckt's längst nicht mehr  ■ Von Steve Körner

Halle (taz) — Da und dort kleben noch die Buttons mit dem „Halle packt's — Halle ist eine Hauptstadt wert“. Die Aufkleber sind längst verblichen, der Traum von der Hauptstadt ist ausgeträumt. Doch auch die verhinderte Hauptstadt kommt nicht zur Ruhe: Während Ältestenrat und Untersuchungsausschüsse beinahe in Permanenz tagen, reißen Rücktrittsforderungen, Rücktrittsmeldungen, Nachrichten über gerichtliche Auseinandersetzungen über Skandale in der Stadtverwaltung nicht ab. Seit Wochen macht der Spruch die Runde: Wenn die Ex-DDR das Süditalien Deutschlands ist, dann ist Sachsen-Anhalt Sizilien — und Halle Palermo.

Letztes und bislang prominentestes Opfer der sizilianischen Verhältnisse an der Saale war Bürgermeister Dr. Peter Renger. Der ehemalige „Demokratie Jetzt“-Aktivist soll die Staatssicherheit jahrelang über das innerkirchliche Leben und über private Äußerungen seines Hildesheimer Freundes Engelbert Nelle (MdB-CDU) auf dem laufenden gehalten haben. Ein Vorwurf, den Renger selbst auch nach seinem Rücktritt trotzig zurückweist; doch längst sind ihm die Getreuen ausgegangen.

Zuletzt ging der heimliche Herrscher der Stadt, der 27jährige dickleibige Jungunternehmer Dirk Bettels, den Renger im Juni 1990 zum Chef seiner Magistratskanzlei gemacht und nach und nach mit nahezu grenzenlosen Vollmachten ausgestattet hatte. Bettels, somit oberster Verwaltungsangestellter in Sachsen- Anhalts größter Kommune, tat, was man mit unbeschränkten Vollmachten zu tun pflegt: er setzte sie unbeschränkt zum eigenen Vorteil ein. Bettels war generalbevollmächtigter Treuhänder über sämtliches kommunales Eigentum in Halle. In dieser Funktion gab er Anweisung, aus den beiden eigenständigen Wohnungsgesellschaften der Alt- und der Neustadt eine gemeinsame Aktiengesellschaft zu schmieden. Zwar hatte die Stadtverordnetenversammlung kurz zuvor für die Bildung zweier unabhängiger GmbHs votiert — doch was juckt einen Entwicklungshelfer wie Bettels das Geschwätz seiner Schutzbefohlenen? Bettels hatte einen einzigen, aber hinreichend wichtigen Grund, auf der Gründung einer Aktiengesellschaft zu bestehen: Man kann nicht Chef zweier gleichartiger Unternehmen sein. Also muß man aus zweien eins machen. Bettels führt die Gründung der HWG AG gemeinsam mit sich selbst, dem Kraftfahrer des OB, zwei Anwälten seiner Hildesheimer Familie — von denen einer nichts weniger als sein Onkel ist — und einem langjährigen Freund aus der Hildesheimer Jungen Union durch. Die telefonische Zustimmung eines gewissen Herrn Starrermeyer, damals SPD-„Finanzdezernent“, wird außerdem eingeholt. Schließlich muß irgendwie doch alles seine Ordnung haben. Starrermeyer, dessen Doktortitel frei erfunden war, ist inzwischen rechtskräftig verurteilt. Bereits zum Zeitpunkt seiner Ernennung war der „Finanzfachmann“ in der Alt-BRD mit Haftbefehl gesucht worden — wegen Finanzunterschlagung.

Bettels seinerseits ist am Ziel seiner Träume, als er sich in seiner Funktion als OB-Stellvertreter zum Aufsichtsratsvorsitzenden der HWG AG ernennt. Daß diese Aktiengesellschaft von Rechts wegen gar nicht existieren dürfte, da die nötigen Fristen nicht eingehalten wurden, stört wiederum wenig.

„Wo kein Kläger, da kein Richter“, empfehlen Bettels Anwälte dem auf den Widerspruch hinweisenden Neustädter GmbH-Chef Richter. Da der dennoch nicht hören will, muß er fühlen, sprich gehen.

Bettels aber ist am Scheidepunkt seiner Macht angelangt. Die Stadt liegt ihm zu Füßen. Der westdeutsche Student ist nach einem halben Jahr in Halle Gesellschafter der Halleschen Dienstleistungs GmbH, Aufsichtsrätler in der Hall-Bau GmbH, dem größten Bauunternehmen des Territoriums, Mitglied im Beirat der städtischen Mülldeponie und oberster Entflechter des örtlichen Einzelhandels. „Wer viel macht, hat viel Macht“: Das Motto des „Aufsteigers“.

Bettels macht unter anderem auch den Verkauf eines prächtigen Hauses in zentraler Lage an die Commerzbank perfekt, einmal mehr gegen den ausdrücklichen Widerstand des Stadtparlaments. Der tatkräftige Jungunternehmer mausert sich zum Meister der vollendeten Tatsachen, die Commerzbank wenigstens dankt es ihm. OB- und Kanzleichef-Zimmer werden wenig später formidabel ausgestattet — auf Kosten der Commerzbank. Ein Zusammenhang, der ebenso offensichtlich ist, wie er aus dem Rathaus energisch dementiert wird. Daß Peter Renger sich dennoch so lange halten kann, und der von Vertretern selbst der Opposition aus Bündnis 90/Grüne und PDS stets als „persönlich integer“ eingeschätzte Ex-Bürgerbewegte schließlich nicht wegen der vielfältigen, letztendlich von ihm zu verantwortenden Skandale, sondern „nur“ wegen des nicht zu widerlegenden Verdachts einer früheren Stasi-Tätigkeit gehen mußte, liegt in der Natur der Sache.

Denn so groß wie Skandale in „Bettelshausen an der Saale“ (Stadtverordnete Heidi Bohley, Neues Forum) auch waren, so uninteressiert zeigte sich die Mehrheit der 325.000 Hallenser an den Problemen ihrer Stadt und deren Regierung. Die Provinzposse, eigentlich gut für ein ständig ausverkauftes Haus, läuft ohne Publikum. Die „einfachen“ BürgerInnen der Saalestadt haben andere Sorgen als herauszufinden, wer warum mit wem denn nun schon wieder welche krummen Geschäfte auf wessen Kosten macht. Die neuen Seilschaften sind halt nicht besser als die alten. Aber da man sie sich selbst gewählt hätte, könne man wohl kaum was dagegen machen.