: Die "10 Thesen" des Detlef Griesche
Bei seinem Probevortrag für die umstrittene Bewerbung an der Hochschule für Öffentliche Verwaltung legte der Kandidat Detlef Griesche (SPD) „10 Thesen zum Thema: Der NahOst-Konflikt als Palästina-Konflikt“ vor. Sie wurden in einem Offenen Brief von der Sozialwissenschaftlerin Klein-Schonnefeld als „antisemitisch“ kritisiert (vgl. taz v. 21.2.). Bei SPD-Mitgliedern und —Abgeordneten entstand Unruhe wegen einiger Passagen der „10 Thesen“, die wir hier vollständig im Wortlaut dokumentieren. Detlef Griesche selbst lehnte jede Stellungnahme ab. S.P.
„Die Konfliktsituation im Nahen Osten steht kausal mit der Entstehung Israels in Zusammenhang.
Der Nah-Ost-Konflikt, in dessen Zentrum die Auseinandersetzung zwischen Israel und dem palästinensischen Volk steht, ist seit Jahrzehnten keiner Lösung nähergekommen, ja trotz zahlreicher Vorschläge und Konferenzen eher noch schwieriger geworden.
Die vorherrschende ahistorische Betrachtung des Konflikts hat auch in Europa zu viel stereotypen Verzerrungen, schwarz-weiß Malereien, Vorurteilen und Karikaturen geführt, z. B. über friedliebene Israelis inmitten störrischer und störender arabischer Nachbarn, von klugen, fleißigen und zivilisierten Israelis, bedroht von wilden, zurückgebliebenen und unzivilisierten arabischen Massen.
Das aus der geschichtlichen Erfahrung begründete Sicherheitsinteressse Israels ist ebenso von prinzipeller Bedeutung wie die historischen und naturrechtlichen Ansprüche der Araber auf Palästina.
Daher ist die prinzipelle Frage der Anerkennung es Staates Israel durch die arabischen Staaten trotz der historischen Tatsache, daß der jüdische Staat von der zionistischen Bewegung systematisch geplant und gegen alle Widerstände konsequent umgesetzt wurde, ebenso positiv zu beantworten wie der Stop der sukzessiven Entrechtung der Palästinenser, deren Exilierung und des Stops des israelischen Expansionismus auf arabische Territorien.
Die Absurdität des strukturellen Prinzips des Staates Israel, daß jede Person jüdischer Abstammung, egal aus welchem Land der Erde, jederzeit israelischer Staatsbürger werden und ohne die geringste Bindung an Israel dort immigrieren kann, während in Jerusalem geborene Palästinenser in ihrem eigenen Land zu Bürgern zweiter Klasse erniedrigt und heimatlos werden, ist nicht eine in Tragik verkehrte Merkwürdigkeit, sondern konsequent Friedensbemühungen und Koexistenz verhindernde Politik.
Die PLO, die sich als einzige legitime Vertreterin des palästinensischen Volkes fühlen kann, beruft sich folgerichtig auf das in der Charta der Vereinten Nationen festgelegte Recht auf nationale Selbstverteidigung und definiert Widerstand und Aktionen gegen die Unterdrückungs- und Annexionspolitik Israels als legitim, distanziert sich aber seit langem von Gewaltaktionen mit kriminellem Charakter.
Die beiderseitigen kontraproduktiven Einstellungen, die sich aus Grundwerten, Interessen und Wahrnehmungen ergeben, sind neben den objektiv entstandenen Realitäten das größte Hindernis, um die Voraussetzungen für Verhandlungen zu schaffen. Gegenseitige Akzeptanz und Anerkennung sind letztlich wenn auch wichtige, aber eben nur Präliminarien zu notwendigen Prozessen eines längerfristigen Dialogs.
Die unterschiedlichen Friedenspläne müssen aufeinander bezogen werden, eine internationale Konferenz nach dem Muster der KSZE muß unter Beteiligung und Akzeptanz aller Betroffenen unter Kontrolle der Uno die möglichen und notwendigen Schritte zu einer Friedensordnung im Nahen Osten einleiten.
Obwohl die prinzipiellen Grundhaltungen und politischen Wertvorstellungen fast aller Parteien Israels auf der einen und der PLO auf der anderen Seite sich nach wie vor diametral gegenüberstehen, bleibt nur eine pragmatische, aber zugleich prinzipielle Lösung, die die Existenzberechtigung von beiden Völkern in zwei sich gegenseitig anerkennenden Staaten in sicheren Grenzen und damit der Chance, sich langfristig politisch, ökonomisch und kulturell auszutauschen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen