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Ein Kamerateam für den Präsidenten

Polens Fernsehen wird gleichgeschaltet/ Statt mehr Pluralismus mehr Walesa/ Unabhängige Nachrichten werden diszipliniert/ Immer mehr erfahrene RedakteurInnen nehmen ihren Hut  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Es war in jeder Hinsicht ein starker Abgang. Aleksandra Jakubowska, im ganzen Land bekannte Reporterin und Sprecherin der polnischen Tagesschau erklärte ihren Rücktritt, klemmte sich die Handtasche unter die Schulter und verließ das Studio. Die Regie schaltete erst ab, als sie die Studiotür hinter sich zuschlug. Jakubowska ist eines der bekanntesten Opfer des neuen Fernsehchefs Marian Terlecki, der angetreten ist, seinen Teil von Lech Walesas Ankündigung, er werde „Warschau durchlüften“, wahrzumachen.

Sein Vorgänger, der Mazowiecki-Mann Andrzej Drawicz, hatte erklärt, er werde keine Säuberungen veranstalten. Zwar verschwanden einige der beim Publikum unbeliebtesten Sprecher, die während des Kriegsrechts Parteipropaganda in Uniform betrieben hatten, hinter den Kulissen, Jakubowska aber blieb und schaffte es, innerhalb eines Jahres vom Image einer Parteipropagandistin wegzukommen. Sie gehörte zwar nicht zu Solidarność, aber sie war schlicht kompetent.

Dieses Argument spielt nun kaum noch eine Rolle. Eine von Terleckis ersten Maßnahmen als neuer Fernsehchef war es, mit Hilfe eines mißglückten Witzes die gesamte Führung der Tagesschau zum Rücktritt zu bewegen. Er werde außerdem das Fernseh- und Radiokomitee auflösen, erklärte er. Das Komitee ist praktisch eine Art Informationsministerium, eine bürokratische Kappe mit Zensurfunktion, die Drawicz aus kommunistischen Zeiten geerbt und unverändert gelassen hatte. Seine Gegner haben dem liberalen Russizisten Drawicz stets vorgeworfen, er habe das Informationsmonopol der Kommunisten unangetastet gelassen, statt für mehr Pluralismus zu sorgen. Wahr ist, daß die Nachrichten unter Drawicz sehr häufig Regierungspropaganda betrieben. Zwar hatte die Opposition um Walesa angekündigt, sie werde mehr Ausgewogenheit einführen, doch jetzt — in der Regierungsverantwortung — sieht es so aus, als wolle auch sie die Funkmedien vor allem als Propagandainstrument nutzen. Gerade ist das einzige relativ unabhängige Nachrichtenprogramm dabei, diesem Trend zum Opfer zu fallen.

Erstes Opfer scheint das relativ unabhängige Nachrichtenprogramm Observator zu sein. Die fünfzehnminütige Nachrichtensendung läuft bereits seit anderthalb Monaten außerhalb der Nachrichtendirektion, die ansonsten für alle Nachrichtensendungen inhaltlich und technisch verantwortlich ist. Unter Drawicz konnten die meist jungen Journalisten aus dem Umfeld und der Redaktion der Monatszeitschrift 'Res Publica‘ ihre Sendung ohne diese Aufsicht machen, sie unterstanden direkt dem Fernsehchef. Unbestritten ist zwar, daß der Observator handwerklich gesehen äußerst amateurhaft betrieben wurde, doch war dies nicht ausschlaggebend. Am Montag wurde die Sendung von der Direktion des Fernsehens „ausgesetzt“, der Chef fristlos entlassen. Ein Sprecher bezeichnete dies der Presse gegenüber als „faktische Liquidierung der Sendung“. Mitglieder des polnischen Pen-Clubs veranstalten zur Zeit eine Unterschriftensammlung gegen diese Entscheidungen, die Premier Bielecki vorgelegt werden soll.

Damit Präsident Walesa nicht „politisch einseitig“ dargestellt wird, hat er inzwischen ein eigenes Kamerateam zur Verfügung, das ihn auf seinen Ausflügen begleitet und nicht etwa dem TV, sondern der Präsidentenkanzlei untersteht. Schon zuvor, noch unter Drawicz, hatte Walesas Pressebüro in Danzig die TV-Berichte über den Solidarność- Vorsitzenden vorzensieren dürfen. Nun, so findet nicht nur die 'Gazeta Wyborcza‘, ist die Hofberichterstattung aus dem Belvedere perfekt. Das muß Aleksandra Jakubowska gemeint haben, als sie nach ihrem Rücktritt erklärte: „Ich hab aus meinen Journalistenguckloch beobachten können, wie versucht wurde, so eine Art Hofzeremoniell zu schaffen. Wie einige Leute anfingen, sich vor der Presse mit Pressesprechern abzuschotten, wie sie überempfindlich wurden. Ich hab gedacht, ich guck mir das noch ein Weilchen an, vielleicht löst sich mein Pessimismus dann ja auf. Leider ist es anders gekommen.“ Lech Walesa und seine Anhänger traten im Wahlkampf mit der Forderung nach mehr Pluralismus an. Herausgekommen ist mehr Walesa.

Am deutlichsten ist dies in der Tagesschau, seit jeher das Flaggschiff der Regierungspropaganda. Auch der neue Fernsehchef macht da keinen Unterschied, auch wenn er bei jeder Gelegenheit betont, er strebe eine „Objektivierung“, ein „pluralistisches Informationsmodell“ an. Jakubowska und ihre Kollegen sind gegangen, Wojciech Reszczynski ist gekommen. Er hatte den TV-Wahlkampf für Lech Walesa organisiert. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, zumal er betont, er möchte „ganz objektiven Journalismus betreiben“. Das wollte auch Kazimierz Kutz, Chef des Krakauer Fernsehens und über Parteigrenzen hinaus als Regisseur anerkannt und beliebt. Er trat inzwischen zurück, nachdem er bei der örtlichen Solidarność in Ungnade gefallen war. Deren Vorsitzender Mieczyslaw Gil zählt zum Walesa- Lager und wurde erst vor kurzem als solcher zum Chef des Bürgerklubs im Parlament gewählt — nachdem Professor Geremek zurückgetreten war.

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