Saddam Hussein als Realpolitiker

■ Zu den indirekten Verhandlungen zwischen dem Irak und den USA in Moskau KOMMENTARE

Moskau ist in diesen Tagen zum Dreh- und Angelpunkt der Bemühungen um ein Ende des Golfkrieges geworden, Bemühungen, die notwendigerweise Kompromisse aller Beteiligten auf der Grundlage einer realistischen Politik einschließen. Doch trotz der unterschiedlichen Gangart in Washington und Moskau haben die veränderten Beziehungen zwischen beiden Regierungen durch die sowjetische Initiative keinen Rückschlag erlitten. De facto ist Moskau heute auch der Schauplatz der ersten indirekten Verhandlungen zwischen den USA und dem Irak seit Kriegsbeginn. Der heiße Draht zwischen dem Weißen Haus und dem Kreml funktioniert; dies zeigten die Telefonate in den letzten Tagen, bei denen Bush die zusätzlichen amerikanischen Forderungen übermittelte, Forderungen, die allerdings zum Teil über die UNO-Resolutionen hinausreichen.

Insofern hat Saddam Hussein Recht, wenn er den USA und ihren Verbündeten vorwirft, immer mehr zu verlangen. In den UNO-Resolutionen ist weder vorgesehen, daß der Irak sich binnen vier Tagen aus Kuwait zurückzieht, noch, daß die Soldaten ihr Kriegsgerät zurücklassen. Und er hat auch Recht, wenn er den USA die Zurückweisung des irakischen Vorschlags vom letzten Freitag vorwirft. Dieser Vorschlag war es schließlich, der die Kehrtwende der irakischen Politik einleitete und damit die Tür für die Verhandlungen in Moskau überhaupt erst geöffnet hat.

Selbst wenn es sich noch erweisen sollte, daß der Irak letzendlich nur auf Zeit gespielt hat, kann man eines festhalten: Saddam Hussein ist nicht der „Verrückte von Bagdad“, sondern hat sich als geschickter Taktiker erwiesen. Meint es der Diktator ernst mit seinen Rückzugsabsichten, muß man ihm einen ausgesprochenen Sinn für Rationalität und Realpolitik konzedieren. Es wäre schließlich auch nicht das erste Mal. Schon einmal hat Saddam Hussein in einer Situation der militärischen Niederlage ein Waffenstillstandsangebot unterbreitet: als die Iraner die gegnerischen Truppen aus ihrem Lande vertrieben. Daher weist einiges darauf hin, daß Saddam Hussein nicht der Selbstmörder ist, für den ihn einige, zum Teil aus durchsichtigen Gründen, gerne halten möchten. Dies legt auch die Interpretation seiner Rede durch die USA nahe. Heute scheinen die Realpolitiker in Moskau und Bagdad zu sitzen, und die Fundamentalisten, so ist leider zu befürchten, im Weißen Haus. Das dürfte auch ein Problem Gorbatschows bei seinen indirekten Verhandlungen zwischen dem Irak und den USA sein. Beate Seel