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Deutschland, so vieler Hexen Mutter

Cautio criminalis gegen den „Hexenhammer“ — zum 400. Geburtstag des „Befreiungstheologen“ Friedrich Spee  ■ Von Wilfried Köpke

Deutschland 1991. In Frankfurt berichtet ein irakischer Arzt von Patienten, die sich nach Kriegsbeginn ihre Krankenkassenscheine haben zurückgeben lassen. Deutsche Sanktionen gegen einen Iraker. Eigentlich ein Oppositioneller — aber was zählt das schon —, wird er für Saddam Husseins Politik zur Verantwortung gezogen. Ein willkommenes Projektionsziel für Angst und Aggression gegenüber Fremden.

Deutschland 1631. Ein zerrissenes Land. Die Reformation Luthers hat die Gegenreformation ausgelöst. Fürsten, die mehr um ihre Macht als um ihr Seelenheil fürchten, bestehen auf Einheitsglauben in ihren Herrschaftsgebieten. Seit 1618 ist Krieg, den man ab Kriegsende 1648 dann den Dreißigjährigen nennen kann. Eine kleine Eiszeit verursacht seit Jahren in Mitteleuropa schlechte Ernten. Was bleibt, plündern oft genug die Soldaten: Kriegssteuer damals. Der Krieg verursacht Inflation, die periodisch auftauchende Pest trägt ein übriges zur existentiellen Verunsicherung bei. Angestachelt durch Theologen aller Konfessionen, sucht man nach Schuldigen und findet sie in (selten) Männern und (meist) Frauen, die man als Hexer und Hexen denunziert. Im ganzen Land halten Denunziation und Gerücht die Folterknechte an der Arbeit, und auf jeder Folterbank werden neue Namen genannt. Die Scheiterhaufen brennen — besonders hell in Deutschland.

Im Mai 1631 erscheint in Rinteln an der Weser im protestantischen Universitätsverlag eine Warnschrift gegen die Hexenprozesse: Cautio criminalis. Verfasser ist ein „ungenannter römischer Theologe“.

„Sehet da, Deutschland, so vieler Hexen Mutter. Ist es ein Wunder, wenn sie sich vor Kummer die Augen ausgeweint hat, so daß sie nichts mehr zu sehen vermag? O Blindheit unseres Volkes.“ Das Buch macht Furore. Der Autor ist bald identifiziert als Jesuitenpater Friedrich Spee, Dichter deutschsprachiger Kirchenlieder, Professor der Philosophie und Moraltheologie. In 51 Kapiteln legt er nicht etwa ein theologisches Gegenstück zum frauenfeindlichen „Hexenhammer“ der päpstlichen Inquisitoren Heinrich Institoris und Jacob Sprengers vor, dem Handbuch der Hexenprozesse. Er beschreibt vielmehr im juristischen Sprachspiel den Teufelskreis von Gerücht, Folter und erneuter Denunziation. Wird eine Frau als Hexe angezeigt, z.B. auch, weil sie Macht- oder Besitzinteressen im Wege steht, so kommt sie, ohne Anrecht auf einen Anwalt, auf die Folter. Bricht sie unter der Folter zusammen und gesteht, was die Juristen, Theologen und Henkersknechte hören wollen, dann wird sie als schuldig hingerichtet. Gesteht sie auch nach mehrmaliger Folter nicht, wird sie ebenfalls verbrannt. Denn, so argumentiert man, wer solche Qualen aushalte, könne nur mit dem Teufel im Bunde stehen und sei somit auch schuldig. Eine Methode, die todsicher greift. Die Richter werden noch mit einem Kopfgeld belohnt, das Vermögen der Verurteilten wird eingezogen, die von ihr auf der Folter genannten „neuen Verdachtspersonen“ sind die nächsten Opfer: ein Scheiterhaufen weitet sich zum Flächenbrand aus. Voller Grauen angesichts der Unausweichlichkeit des Scheiterhaufens fragt Spee die Angeklagten, die trotz Folter ihre Unschuld beteuern: „Unglückliche, was hast du erhofft? Warum hast du dich nicht gleich für schuldig erklärt? (...) Warum willst du den Tod so viele Male erleiden? Nimm meinen Rat an, erkläre dich vor aller Macht für schuldig und stirb. Entrinnen wirst du nicht.“

Spee hat als Beichtvater zweihundert Frauen zum Scheiterhaufen begleitet. Unter ihnen findet er keine einzige Schuldige. Aber er lernt das System kennen. Die Cautio criminalis veröffentlicht er anonym, angeblich wird sie ihm gestohlen; das soll ein Schutz vor dem eigenen Scheiterhaufen sein.

Spee wurde am 25. Februar 1591 als ältester Sohn des Burgvogts der Feste Kaiserwerth bei Düsseldorf geboren. Mit 19 Jahren tritt er dem Jesuitenorden bei, durchläuft die normale Ausbildung mit Philosophie- und Theologiestudium, unterbrochen durch ein längeres Schulpraktikum, und wird zum Priester geweiht. Früh entdeckt er seine dichterische Begabung und verfaßt Lieder in deutscher Sprache, bei einigen komponiert er selbst die Melodien. Die Gedichtsammlung Trutz-Nachtigal, die 1639, vier Jahre nach seinem Tod, erscheint, zählt zu den frühen Stücken deutscher Barocklyrik. Als Professor für Philosophie doziert er in Köln und Paderborn.

Als er auf dem Weg zu einem Gottesdienst überfallen wird, kostet ihn das beinahe das Leben. In Paderborn überträgt man ihm nach seiner Genesung die Professur in der Moraltheologie. Mitten im Studienjahr wird sie ihm wegen seiner öffentlichen Äußerungen gegen die Rechtmäßigkeit der Hexenprozesse wieder entzogen. Hat der Generalobere des Ordens in Rom ihn bislang in Schutz genommen, so versucht er nach der zweiten und verschärften Auflage der Cautio criminalis Spee zum Austritt aus dem Orden zu bewegen. Der deutsche Obere in Köln stellt sich schützend vor Spee und versetzt ihn nach Trier an die dortige Universität, direkt ins Kriegsgebiet. Man hätte ihn immer leicht entlassen können und damit der Inquisition ausliefern. Bei der Pflege kranker Soldaten infiziert sich Spee mit der Pest und stirbt am 7.August 1635.

Von Spee wird berichtet, daß ihn das Grauen der Folterkeller früh grau werden ließ. Das muß keine Qualifikation sein und könnte ihn auch als hochsensibles Junkersöhnchen im Ordenskleid charakterisieren. Spee war einerseits ganz Sohn seiner Zeit: Als junger Theologiestudent will er nach Indien, um dort zu missionieren, wie es heute TheologiestudentInnen nach Nicaragua oder El Salvador zur Solidaritätsarbeit zieht. Später bekommt er dann seinen Pastoraleinsatz, allerdings in Peine. Hier wirkt er zwar sehr karitativ, beschafft den Bauern Saatgut und verzichtet der Ordensregel gemäß auf Gebühren für die Kulthandlungen, aber er scheint auch vor dem Mittel der Verbannung nicht zurückzuscheuen, wenn er anders den protestantischen Ratsherren nicht beikommt. Zugleich deutet der Mann, für den Gott auch Mutter ist und nicht nur Vater, die Strategien der Hexenprozesse aus der krankhaften sexuellen Phantasie der Theologen, der „Paranoia (...), die in der Zeit der Hexenverfolgung so deutlich wie selten in unserer Geschichte wird“ (M. Mitscherlich). Und er sieht und verurteilt die unheilvolle Rolle der Kirche im Hexenwahn, wo sie theologische Gutachter stellt oder Beichtväter, die eher die Folter als Psychoterror fortsetzen, als den Frauen in den Kerkern beizustehen.

Ein früher Befreiungstheologe

Der Jesuitenorden hat Spee nicht entlassen, sogar verhindert, daß die Cautio criminalis auf den Index kommt. Schriftsteller wie Clemens Brentano, Gottfried Wilhelm Leibniz, Ricarda Huch, Heinrich Böll und Günter Grass haben an Spee erinnert — in der Kirche war es lange still um ihn. Er erinnert an zu dunkle Zeiten. Einige Straßen, Gymnasien, kirchliche Bildungshäuser und Jesuitenniederlassungen tragen in den letzten Jahren seinen Namen. Die Bundespost hat eine Briefmarke spendiert zum 400. Geburtstag. Eher Zähmungen als Ehrungen, Beschwichtigungen. Denn noch stehen in der römisch-katholischen Kirche keine Frauen am Altar, fürchtet man sie noch immer. Die Bischöfe werden immer noch nicht vom Volk gewählt, und die Glaubenskongregation in Rom als Nachfolgerin der Hl. Inquisition wacht eifrig darüber, daß die Boffs und Cardenals, die Ranke- Heinemanns und Küngs — also die Spees von heute — mit ihren Warnschriften keine Aufbrüche bewirken. Denen, die wie Spee über solches untröstlich sind, bleibt nur, was Böll an Spee hervorhebt: weder dem billigen Trost noch der Trostlosigkeit zu verfallen. Spee konnte trotz dunkler Zeit noch Lieder dichten.

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