: Nice Equipment
Observationen am Rande der Heimatfront ■ Von Gabriele Goettle
Seit Ende der siebziger Jahre wohnt der Colonel mit Gattin und Sohn in einem Bungalow hier in der Nachbarschaft. Vor der Tür stand zuletzt ein blausilberner Dodge, neben dem unsere Autos sich ausnahmen wie sonst Autos aus dem Ostblock neben unseren. Im Garten vor der Garage war ein kleines Kajütboot aufgebockt, an dem man den Colonel ab und zu arbeiten sah. Es gab wenig Auffallendes am Haus dieser amerikanischen Familie, bis auf die Fliegengitter an den Fenstern, eine alljährlich bombastischer werdende Weihnachtsdekoration und die unbegreifliche Angewohnheit, sogar in den Sommermonaten tagsüber das Licht brennen zu lassen im ganzen Haus. Mit zunehmendem Wohlstand allerdings haben die Einheimischen weihnachtsdekorationsmäßig kräftig nachgerüstet. „Merry Christmas“-Reklamen blinken unterdessen hinter fast jedem Fenster, und auch der Stromverbrauch scheint auf der Höhe des Fortschritts zu sein.
Die Haltung des Colonels schien allzeit tadellos. Er wechselte permanent die Garderobe, schlüpfte von der Dienstuniform in einen azurblauen Jogginganzug, und nach dem Lauf trug er eine sandfarbene leichte Tropenuniform, von der aus er vermutlich zu einem tarnfarbenen Schlafanzug überwechselte. Durchs unverhüllte Fenster bot sich die traute Familie allabendlich den Blicken der draußen Vorübergehenden. Sie saßen zusammen unter einem wuchtigen Ölgemälde, das den Seekrieg zwischen zwei Schlachtschiffen inmitten schäumender Wellen darstellte. Man sah sie mäßig gestikulieren, lesen, fernsehen, und des öfteren saßen uniformierte Besucher lässig in den weißen Sesseln. Eine Zeitlang sah man den Colonel sogar in Begleitung eines Schwarzen joggen, der das Ritual ebenso ernst zu nehmen schien, es aber wesentlich eleganter absolvierte. Vielleicht hatte das dazu beigetragen, daß diese Kombination wieder aufgegeben wurde. Es gab Zeiten, zu denen der Colonel straff und militärisch wirkte, und dann gab es Momente, in denen deutlich ein krummer Rücken und sein breites Gesäß zu sehen war. Plötzlich verschwand auch der regelmäßige Lauf von der Tagesordnung und statt dessen ging er bedächtig dahin und zog einen grotesken, kaninchengroßen, weißhaarigen Hund hinter sich her, der unentwegt in schrillsten Tönen bellte. Unter diesem Trommelfeuer und dem beschwichtigenden „Good boy, good boy ...“ umkreiste er das Karree.
Er war ein derart gewohnter Anblick, irgendwie ganz Militärperson und dennoch unscheinbar, daß sein plötzlicher Auszug vor einem Monat die ganze Nachbarschaft in leichte Aufregung versetzte. Leute, die sich sonst lediglich grüßten, sprachen sich gegenseitig auf der Straße an und fragten nach dem Verbleib des Colonels und seiner Familie. Aber niemand weiß zu sagen, ob sie nun nach Amerika zurückkehrten oder nicht. Sie waren verschwunden, unter Hinterlassung der Fliegengitter und eines großen Containers voller Sperrmüll, aus dem, ungeachtet der bürgerlichen Gegend, nach und nach Schränkchen, Teppiche, Geschirr, Gardinen usw. weggetragen wurden. Auch ich habe einen wahren Schatz gerettet: zwei schwere Kartons voll mit Zeitschriften, Katalogen und militärischen Handbüchern, Karten von Vietnam und einem Bombentestgelände in den Bergen bei Las Vegas, Anweisungen zur Dekontamination von Mannschaft und Gerät, Lehrbücher zur genauen Berechnung des taktischen Vorgehens nach der Zündung einer Atomwaffe.
Die Lektüre des Colonels, seiner Frau und seines Sohnes liegt — bis auf die Zeitungen — versammelt in diesen Kartons, und die Vorstellungskraft sträubt sich ein wenig, Leser und Lektüre zusammenzubringen. Aber wahrscheinlich macht sich der Zivilist grundsätzlich ein falsches Bild vom Militaristen, oder besser gesagt, er macht sich gar keins. Beim Blättern, Lesen und Betrachten erschließt sich allmählich eine fremde Army-Welt, ein geschlossenes System, das selbst dann noch martialisch auftritt, wenn es um harmlose Beschäftigungen geht.
Die Leidenschaft des Colonels gehört offenbar den Waffen, was eigentlich seltsam ist, denn einen Chirurgen, der in der Freizeit wie besessen näht, würde man ja auch nicht für normal halten. Da gibt es die Zeitschrift 'Guns & Ammo‘ für Freunde von Jagd- und Sportwaffen, 'Shooting Times‘ heißt eine, andere 'American Handgunner‘, 'Petersens Handgun‘, 'Gun World‘, 'Combat Handguns‘, 'Special Weapons And Tactics For The Prepared American‘, 'Shotgun News‘.
Eine der meistgebrauchten Aufforderungen lautet „Survive!“; was dazu angeblich notwendig ist, umrahmt den alarmierenden Ruf: „tactical penetration“, „live saver“, „9 mm Parabellum, 15 shot — double action“, denn Gewalt und Untergang lauern überall. Deshalb gibt der Soldat, oder Jäger, am sichersten vorsorglich „Feuer“.
„Whaw! ABB Machine Gun shooting 3000 BB's per minute! What more entertainment could any adult want?“
'Shot Gun News‘ bietet auch ein Poster mit einer Nackten, die Handgranaten an ihre Brüste preßt. Ebenso ein „Kamikaze Head Band“. Im Angebot ist auch ein polierter Edelholzkoffer mit einem japanischen Tretminen-Set zum Üben. Ein Anleitungsbuch zum Verlegen und Bergen liegt in Englisch und Japanisch bei.
Und damit keine Verwechslungen aufkommen: „Tell the world you served! Army-Navy, Marines, Air Force.“ Ein Ring mit blutrotem Stein soll diese Aufgabe übernehmen.
„Shoot like the devil!“ mit einer israelischen UZI-MP, lautet ein Angebot. Und ein paar Seiten weiter kann man „Marches and War Songs“ der Waffen-SS auf Schallplatte bestellen, „all songs translated“ inkl.
Es gibt, ganz aus Schlangenhaut, eine „Baseball Cap with Head & Rattle, (open mouth only)“, alles aus Klapperschlange.
Das „Nicaraguan Guerrilla Training“ ist wesentlich billiger als die „Anatomy Man Combat Silhouette Target“ mit Einteilung in Ziel- und Todesfelder. Aus allen Rohren wird gefeuert, oft von zigarrerauchenden, sonnenbebrillten, übergewichtigen älteren Herren mit Cowboyhüten. Offensichtlich ist die Zigarre geheimnisumwitterte Trophäe. Zum erstenmal kam mir die Idee, daß zigarrerauchende Männer einen starken Kastrationswunsch haben könnten, der sich auf all ihre Feinde richtet. Und dann stieß ich auf eine Werbung. Die Zigarren lagen (wie Patronen) nebeneinander im Holzkästchen, ein ganzes Dutzend: „You don't need Castro's permission to smoke Cuban-seed handmade cigars!“ Dem auftrumpfenden Text folgt kleingedruckt der Hinweis, daß die Havannas auf „traditionell kubanische Art“ in Honduras hergestellt werden.
'Outdoor Life‘ ist nicht etwa eine Anleitung für Obdachlose, sondern für Leute, die mehr als ein Dach über dem Kopf haben wollen. Etwas für „Stalker“ und „Hunter“, die keine Ursache haben, am Zubehör zu sparen.
Bären, Wildgänse, Auerhähne, Hirsche, Hasen, Enten sind farbenfroh neben der zugehörigen Munition abgebildet, sogar verschiedene Waffen stehen zur Auswahl. Und damit „the fun doesn't stop when the hunt is over“, gibt's ein Gourmet- Kochbuch für „drinnen und draußen“, Räucheröfchen, Grillroste, Kochtopfsets, Tranchiermesser, Enthäuter usf.
Ferngläser, Nachtgläser, Restlichtaufheller, Zielfernrohre, Tarnkleidung mit super-wärmeisolierender Eigenschaft sorgen dafür, daß das anvisierte Wild absolut chancenlos durch sein Revier und in den sicheren Tod tappt.
Wenn das dem Jägersmann immer noch nicht reicht, dann kann er ein „Original Pair of WW II“ aufsetzen, die „Rommel Goggles“ und „Wehrmacht Offiziers Hat“ mit Emblem.
Landesübliches gibt es aber auch, wie Pfeil und Bogen und die schönsten Tomahawks, Bärenfelle und Mokassins. Selbst auf echt indianische Friedenspfeifen muß der combatant in Wald und Feld nicht verzichten.
Die Lektüre des etwa vierzehnjährigen Sohnes scheint vorwiegend aus Computermagazinen, Comics und dem 'Scouting Magazine‘ bestanden zu haben.
Die Scouts tun im Prinzip das, was sie sonst in der Army lernen müßten und wonach auch der reifere Mann sich verzehrt: sie lernen den Pfad zu finden, zu überleben in der feindlichen Wildnis und Gutes zu tun für ihren Körper und andere.
Sie haben eine „helping hand for Mother nature“. Sollte aber ansonsten mitten im paramilitärischen Drill ein kühner Scout einmal fragen: „Why do I need a uniform?“, so wird ihm die alles erhellende Erklärung zuteil: „... the uniform gives a special place to boast the symbols of his advancement.“
Auch andere Fragen rund um die Wehrtüchtigkeit werden geklärt. „Maj. Tom Sawner is a top Air Force fighter pilot ...“ und weiß, daß alle kleinen Scouts gern Kampfflieger werden wollen wie er. Aber dieses Ziel, so erklärt er, erreicht nur eine kleine Elite: „... the career in flying was like climbing on those ancient Babylonian Pyramides ...“
Es gibt ja auch noch die Infanterie. Daß die kleinen Scouts frühzeitig schießen lernen, dafür sorgen u.a. die Büchsenmacher.
Das Magazin wimmelt von Anzeigen. Eine davon faßt den Sinn des Scoutcamps treffend zusammen. Unter dem Bild eines Knopfes und einer Nähnadel steht: „Your mother can help you sew it on. We can help you sew it up.“
Die Gattin hingegen, zuständig für Aufmöbeln zu Hause, hat 'IC Penney‘-Kataloge gehortet, 'Lands End‘, 'Talbots‘, 'Williams-Sonoma‘ und die Zeitschrit 'Health‘.
„Look like a winner!“ lautet die Parole auch hier. Bewaffnet mit den neuesten Lidschatten, Büstenhaltern, Antifaltencremes, Haarfarben, mit Monatsschutz, Reizwäsche und modischem Chic steht sie ihren Mann auch noch als Spätgebärende und in der Menopause.
Für wen von den beiden Gatten 'Dog Fancy. Magazine for the responsible dog owner‘ abonniert wurde, bleibt offen. Adressiert sind die Hefte an ihn, und vielleicht hat er es wirklich einmal genau so gesagt wie die Werbung: „I love my doggie waterbed!!“
Würde man sich nicht von Vorurteilen den Blick verstellen lassen, dann wäre es gar kein Wunder, daß in einer Kombattantenbrust für mehr als zwei Seelen Platz ist. Für eine davon ist wohl folgendes Angebot aus dem 'Sportsman's Guide‘ gedacht: „Revencher. Puts an Entire Audio Arsenal at Your Fingertip. Death Ray ... Grenade Launcher ... Front Machine Gun — I wonder which one I should use on that expensive German Sedan that just cut me off?“
In den Handbüchern steht dann die ernste Variante auf dem Lehrplan. Den Soldaten von Army und Air Force sollen „Field Hygiene and Sanitation“ nahegebracht werden. Auch Anlage und Aufbau eines Kriegsgefangenenlagers will gelernt sein. Das Bewachungspersonal muß geschult sein in seinen Rechten und Pflichten, muß die Vorschriften über Häftlingsausstattung und notwendige Einrichtungen kennen. Ein anderes Handbuch gibt einen Überblick über „Organization and Equipment of the Soviet Army“.
Ein umfangreiches Werk lehrt „Chemical, Biological and Radiological (CBR) Decontamination“. Es gibt eine „Fall-out Prediction“ vom Headquarter. Mittels präziser Berechnungen soll ermittelt werden, wo und wie groß die Fall-out-Felder sind, an denen vorbei die Bodentruppen mit möglichst kleiner Strahlendosis nach vorn vorstoßen können, um den gelähmten Feind zu schlagen. Das dazugehörige Heft 'Operational Aspects of Radiological Defense‘ beschäftigt sich ebenfalls mit der Berechnung von Windverhältnissen, Fall-out-Feldern, Strahlendosen nach der Explosion taktischer atomarer Waffen, dem korrekten Ausfüllen umfangreicher Meldeformulare, den verschlüsselten Kontaminationswarnungen für andere Truppenteile usf.
Was das Los des Infanteristen ist, zeigen die Handbücher für den Umgang mit Waffen, Geräten, Ausrüstung, ihre Pflege, die Art, wie alles zu schleppen ist, der Vorschrift entsprechend, und was der Soldat macht, wenn er Blasen am Fuß hat. Das Basteln von behelfsmäßigen elektrischen Zündern wird ebenso gelehrt wie das Aufspüren, Bergen und Unschädlichmachen von Minen und Sprengkörpern anderer Art. Das Anlegen von verschiedenen Latrinentypen wird in Zeichnungen dargestellt, und auch der Bau von Duschen, Öfen, Räuchergruben, Unterständen, Baumnestern und Brücken.
Wer all das nicht — oder nicht mehr — erlebt, aber dennoch vor Sehnsucht nach solchen Erfahrungen vergeht, für den bringt der Katalog „U.S. Cavalry. World Finest Military and Adventure Equipment“ etwas Linderung.
Seitenlang abgebildeter Rambo- und Vietnam-Kitsch. T-Shirts, Wandbehänge, Kaffeetassen, Schlüsselanhänger. „Proclam with no shame! Vietnam remembered T-Shirt's“ mit z.B. der Aufschrift: „Next time let us win it!“
Dann gibt es den „Official Vietnam Veteran Stainless Steel Ring“. Auch Macheten, Beile, asiatische Messer und Schwerter. Killerausrüstungen für lautlose Aktionen im Dschungel.
Es gibt Nylon-Handschellen in rosa namens „Quick“ für 7,95 Dollar. Survival-Ausrüstungen, versteckt in Spazierstöcken, Krawatten, die vom Hals fallen, sobald ein Angreifer daran zieht, Stahlkeulen namens „No Alibi“ zum Erschlagen von Haien, CN-Gasgranaten und täuschend echt wirkende Handgranaten. Sogar ein achtteiliges chirurgisches Feldbesteck mit Skalpell und Aderklammern, Pinzetten und Scheren, Nadel und Faden wird empfohlen, samt Anleitungsbuch für etwas über 50 Dollar.
Das für den ungebildeten Laien lächerlichste aber ist die Camouflagewut der Krieger.
„It's a bush? It's a shrub? No! It's Bill Hoffmann“, erklärt uns der Katalog, obgleich wir ihn, trotz geflecktem Überhang, zwischen dem Buschwerk deutlich erkenen.
Es gibt augenscheinlich mindestens zwei Camouflage-Varianten: „Desert“ und „Jungle“. Die Wüstenversion kennen wir alle seit einiger Zeit aus dem Fernsehen, die Dschungelversion ist den älteren unter den Fernsehern noch vom Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre in Erinnerung.
Man soll nicht glauben, was alles getarnt werden soll. Es gibt Camouflage-Unterwäsche, Schminke, Socken, Einlegesohlen, Uhrenarmbänder, Füllhalter, Bucheinbände, Geldbörsen.
Daß der amerikanische Oberbefehlshaber Schwarzkopf in Washington vor der versammelten Presse und in seinem Büro ein Camouflagehemd für die Wüste trägt, mag dem Militaristen vielleicht tadellos vorkommen, ist aber doch vollkommen widersinnig, denn wenn schon, dann müßte es ja etwas sein mit Aktendeckeln darauf, Papieren, Stiften, Fernsehkameras, um zu tarnen.
Aber auch im Katalog wird vor nichts haltgemacht. Da gibt es einen „Camouflage Personal Computer Cover“, die Uniform für die Technik. „Protect your equipment from dust, coffee spills or other environmental hazards!!“
Auch im Kinderzimmer darf es an Sicherheit nicht fehlen. „Each is equipped with a dog tag and chain, woodland camo fatigues jump boots. They'll be your best buddies through thick and thin. They make good allies day or night and you'll sleep securely ...“
„THE BEAR FORCES
HAVE LANDED!“
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