: Auf rauhen Wegen zu den Sternen
Die vereinigten deutschen LeichtathletInnen gewannen in Paris einen Hallen-Sechs-Länderkampf Die aktuellen Stars verschleiern jedoch große Lücken in der Förderung der ostdeutschen Talente ■ Aus Paris Thomas Schwarz
Mit der berühmten Filmschauspielrin Grace Kelly vergleicht man sie. Der Vergleich mag wie üblich hinken, doch Katrin Krabbe wirkt ähnlich wie die Filmdiva: ein wenig unterkühlt, ein wenig unnahbar, ein wenig genervt. Und wie sagte der erste 10,1-Sprinter der Sportgeschichte, Ira Murchison: „Sprint ist nichts anderes als in Bewegung umgesetztes Gefühl.“
Hoffentlich wissen das auch Trainer Thomas Springstein und vor allem Manager Jos Hermens. Denn die Sprinterblitzeinlagen der jungen Dame erfolgen immer öfter. Geld und Ehre gilt es ins richtige Verhältnis zu bringen. Ob das immer gelingt? Immerhin spult sie ihr Programm ab und sammelte auch im Palais „Omnissport“ in Paris-Bercey fleißig Punkte für die deutsche Leichtathletik-Nationalmannschaft.
Wie überhaupt die Stars ihren Einsatz von Paris nicht als lästige Pflichtaufgabe verstanden, sondern mit viel Einsatz und Hingabe um den Länderkampfsieg stritten. Im Falle eines Erfolges hatte der Veranstalter lediglich 10.000 D-Mark für die Mannschaftskasse gestiftet und die von einem französischen Mineralwasser-Hersteller gesponserte Veranstaltung sah keine Sektparty vor. So spürte der Beobachter schon etwas von deutschem Teamgeist. Den Gesamterfolg vor der UdSSR und Gastgeber Frankreich darf man in der Stunde eins nach der Vereinigung der deutschen Leichtathletik durchaus als historische Tat bezeichnen. Trotz aller verständlichen Ressentiments, nicht zuletzt das Doping- Thema führte zu erheblichen Verstimmungen, wurde aus einem Gegeneinander der Vergangenheit jetzt ein Nebeneinander und vielleicht in naher Zukunft auch ein Miteinander.
Natürlich lebt die deutsche Leichtathletik momentan von ihren weiblichen Stars. Doch wie bei Katrin Krabbe bleibt die bange Frage, ob die hochspringende Heike aus Köln, die weitspringende aus Jena und die dominierenden Damen der Mittelstrecken auch bis zur Hallen-Weltmeisterschaft von Sevilla in zwei Wochen ihre Form konservieren können.
So erfreulich die schnellen Läufe und weiten Sprünge der deutschen Frauen auch waren, das starke Geschlecht lief und sprang in Paris der europäischen Konkurrenz mehr oder weniger hinterher. Ausnahmen wie Weitspringer Dietmar Haaf, Hochspringer Ralf Sonn oder Kugelstoßer Sven Buder bestätigen nur die Regel. Speziell die deutschen Sprinter scheinen derzeit mehr auf Dauerlauf eingestellt zu sein. Heute bleibt der Sprint zum ersten Auto für viele Talente wohl der explosivste.
So bestimmten die Italiener bei der Herren das Niveau und unterstrichen einmal mehr ihre Fortschritte der letzten Zeit. Mit Hilfe einiger ehemaliger DDR-Trainer, die vergnatzt und frustriert Deutschland fluchtartig in Richtung Süden verließen, darf mit weiteren italienischen Erfolgen in der Freiluftsaison gerechnet werden. Die zweitplazierte UdSSR mit einer enorm verbesserten 200-Meter-Läuferin Irina Sergejewa und einer Weltrekord laufenden 4-mal-400-Meter-Staffel schlug sich am Ende wieder einmal selbst. Im 3.000-Meter-Lauf benannte man keinen Starter, verzichtete auf Punkte und letztlich auf den Gesamterfolg. Auf Geld kann der sowjetische Verband anscheinend großzügig verzichten.
Die Franzosen verstanden es, in knapp drei Stunden ein attraktives, unterhaltsames Spektakel zu präsentieren. Ein launiger Moderator brachte im Frack Leichtahtletik pur an Frau und Mann. Abgesehen davon sammelten die Organisatoren auch schon fleißig Punkte für eine Pariser Olympiabewerbung im Jahre 2.000. Ob da allerdings noch deutsche Erfolge zu vermelden sind, bleibt zweifelhaft.
Denn der derzeitige Leistungsstand verkleistert hoffentlich den Superoptimisten nicht die Augen. Realisten und Pragmatiker im DLV wissen längst, daß die Glocke eine graue, unsichere Zukunft im Osten Deutschlands bereits eingeläutet hat. Beim gleichzeitig stattfindenden Juniorenländerkampf in Verona standen lediglich zwei Mädchen aus der ehemaligen DDR im Aufgebot, bei den Jungen waren es unwesentlich mehr. Da wird deutlich, was nach 1992 aus dem Osten kommt: Nichts, wenn kein Wunder passiert.
Das rigorose Zerschlagen der gesamten Nachwuchsförderung in den neuen Bundesländern bleibt nicht ohne Folgen. Viele fleißige Übungsleiter werden jetzt zur Aufgabe und Resignation gezwungen. Ein DLV- Funktionär erinnert sich an seine Lateinstunden, als er angesprochen auf die nähere Zukunft nicht ohne Ironie meinte: „Per aspera ad astra.“ Frei übersetzt: Auf rauhen Wegen zu den Sternen. Zu welchen, bitte sehr?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen