: Wie die Leipziger Stasi ein „KOZ“ verhinderte
■ Durch indirekten Einfluß über IMs und über direkten Einfluß auf die Kirchenleitung verhinderte die Staatssicherheit eine Leipziger „Umweltbibliothek“
Für die Bekämpfung des Versuch, in Leipzig ein „Kommunikationszentrum“ (KOZ) ähnlich der Berliner Umweltbibliothek einzurichten, hatte die Staatssicherheit noch im März 1989 eine gesonderte „Bearbeitungskonzeption“ entwickelt. Der Fall KOZ ist exemplarisch für das Ineinandergreifen von kircheninternen Konflikten und Stasi-Strategie. Im Deutsch des Maßnahmeplanes der Staatssicherheit: „Ziel: Vorbeugende Verhinderung der angestrebten Schaffung eines Kommunikationszentrums für kirchliche Zusammenschlüsse im Stadtgebiet Leipzig durch zielstrebige Bearbeitung der Organisatoren/Inspiratoren“. Vier IMs und ein „IM der HVA“ sollten schwerpunktmäßig eingesetzt werden.
Der Trägerkreis des Kommunikationszentrums hatte im November eine Zustimmung zur Nutzung von Räumen in der Kirche Heilig Kreuz „durch den zuständigen Pfarrer Erler (erfaßt für KD Leipzig-Stadt)“. Pfarrer Erler hat „massiv gegen uns gearbeitet“, erinnert sich Brigitte Moritz vom Trägerkreis des KOZ heute. Die Stasi hat sie als „OV Julia“ im Visier. In einer Art, die ganz typisch für die Stasi-Strategie ist, habe Erler die Bemühungen des Trägerkreises verzögert: Zwei Monate lang ließ er im Winter 1988/89 den Trägerkreis in den irrigen Glauben, es gebe eine Zustimmung für die Heilig-Geist-Kirche. Auch der Superintendent Magirius hat „auf Zeit gespielt“ und die Absage nicht weitergegeben, meint Brigitte Moritz. Magirius ist frei von dem Verdacht, als IM funktioniert zu haben, Pfarrer Erler aber steht als „IM-Vorlauf“ bei der Abteilung XX/2 in der Stasi-Kartei. Deckname: „Amos“.
Bei Heilig Geist abgeblitzt bemühen sich der Trägerkreis um Räume bei der Markusgemeinde des Pfarrer Turek. Einer aus Oppositionskreisen sitzt dort im Kirchenvorstand, weiß die Stasi, und unterhält zu Pfarrer Turek „ein enges persönliches Verhältnis“. Der Leiter der Kreisdienststelle der Staatssicherheit, Schmidt, notiert die Operativinformation 78/89: „Durch Amos wurde mitgeteilt, daß Turek zum Landeskirchenamt der ev. luth. Landeskirche Sachsena nach Dresden vorgeladen wurde. Dort sei Turek heftig wegen der Verletzung der Aufsichtspflicht hinsichtlich der Herstellung von Flugblättern für die Demonstration am 15.Januar 1989 in Leipzig kritisiert worden...Das Gespräch im LKA sei durch von Oberlandeskirchenrat Auerbach geführt worden.“ Pfarrer Erler alias Amos ist über die innerkirchlichen Details sehr gut informiert. Er berichtet der Staatssicherheit von weiterem Druck auf Turek. Schließlich kam er zur Sache: „Amos schätzt ein“, schreibt Oberst Schmidt auf, „daß es T. nicht möglich ist, in seiner Gemeinde ein KOZ einzurichten. Dazu fehlen T. die Zustimmung seines Kirchenvorstandes (KV) und die geeigneten Räumlichkeiten. Zum KV wird eingeschätzt, daß dort Personen verankert sind, welche eine aktive kirchliche Arbeit betreiben und auch berufliche Stellungen nicht leichtfertig verspielen wollen. Amos erklärte sich bereit, ein offensives Gespräch mit Pfarrer T. ...zu führen.“
Der Stasi-Informant spielt eine Doppelrolle. Er spricht von Pfarrerkollege zu Pfarrerkollege, und steckt der Staatssicherheit „operativ“ interessante Informationen. Etwa die: „Amos schätzt ein, daß Turek durch den operativ bekannten Pfarrer Wonneberger in seinen Aktivitäten beeinflußt wird“. (Wonneberger war jahrelang einer der Köpfe der kirchlichen Opposition in Leipzig.) Der Stasi-Kreischef: Amos „wird offensiv zur Beeinflussung des Pfarrers T. und des KV der Markusgemeinde eingesetzt.“ Pfarrer Erler fürchtet um sein Vertrauensverhältnis, deshalb wird angeordnet: „Bei Auswertung der Information ist auf unbedingten Quellenschutz zu achten.“
Der Trägerkreis des KOZ wollte aus taktischen Gründen erstmal eine „Gemeindebibliothek“ in der Markusgemeinde einrichten. Das Vorhaben klingt so harmlos, daß eigentlich niemand etwas dagegen haben kann. Die Staatssicherheit gibt aber nicht auf. „Durch zielgerichteten Einsatz der ...inoffiziellen Quellen ist... zu sichern, ...daß die Mitglieder der Trägerkreises sich vordergründig mit innerkirchlichen und theologischen Problemen auseinandersetzen. Dazu sind operativ bedeutsame Informationen zu bestehenden Differenzen und zu widersprüchlichen Standpunkten der Mitarbeiter zielgerichtet auszunutzen und zu verstärken sowie weitergehende politisch- operative Maßnahmen zur Zersetzung, Verunsicherung und Isolierung dieser feindlich-negativen Kräfte durchzuführen...“ Die Markusgemeinde soll ausspioniert werden, unter anderem durch „Einsatz der IM der Abteilung 26“, zu deutsch: durch Telefonüberwachung und Wanzen. „Weiterhin sind Personen mit operativ-bedeutsamen Merkmalen herauszuarbeiten und deren operative Nutzbarkeit zu überprüfen.“ Jede Einzelinformation, wie harmlos sie den „Inoffiziellen“ auch erschien, wird da in ein Raster eingebaut und genutzt: „Über den Sektor Kirchenfragen beim Rat des Bezirkes ...ist disziplinierend auf der Grundlage offiziell verwertbarer Informationen auf kirchliche Amtsträger wie die Superintendenten Magirius und Richter sowie den zuständigen Gemeindepfarrer Turek und den Kirchenvorstand Einfluß zu nehmen...“.
Im Quartalsbericht vom 28. März 1989 kann die Stasi Erfolg konstatieren: Turek ist vorsichtiger geworden, „Differenzen“ zum Trägerkreis sind aufgetreten. Der Trägerkreis will sich zu Säuberungsarbeiten in der Markusgemeinde verpflichten, um den Kirchenvorstand von seiner Wohlanständigkeit zu überzeugen.
Ein paar Wochen später gibt es einen neuen Lagebericht. Aufgrund von Gesprächen „zuständiger Organe mit kirchenleitenden Persönlichkeiten“ über andere Konflikte „und durch den Einsatz von IM mit Einflußmöglichkeiten wurden innerkirchliche Auseinandersetzungen ausgelöst, in deren Ergebnis sich der zuständige Superintendent Magirius (erfaßt KD Leipzig-Stadt) gegen den Trägerkreis und gegen die Installierung eines KOZ aussprach“, notiert Stasi-Major Strenger am 3.Juli 1989 den Erfolg. Der Superintendent rief bei Pfarrer Turek an. Die Staatssicherheit überwacht, wie der Superintendent funktioniert: „Entsprechend vorliegenden, streng internen Informationen hat der zuständige Superintendent dem Turek zu verstehen gegeben, daß der Trägerkreis des KOZ kein von der Kirche gewolltes Gremium ist“. Der Trägerkreis sei demzufolge „gegenüber dem Kirchenvorstand der Markusgemeinde nicht antragsberechtigt“. Ein unsinniges Argument, es diente aber zur Einschüchterung: Turek „wurde veranlaßt, die Zusammenarbeit einzustellen“. Turek erinnert sich genau an den Ukas des Superintendenten. Rückblickend sagt er heute: „Ich glaube, daß Magirius sich dem Druck sehr schnell gebeugt hat.“
Das Interesse der kirchlichen Oppositionskreise an ihrem Kommunikationszentrum wurde im Herbst 1989 von der Geschichte überholt.
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