piwik no script img

Giftmüll soll für den Aufschwung im Osten sorgen

■ Ostdeutsche Salzbergwerke sollen riesige Mengen Giftmüll aufnehmen/ Töpfer bestätigt entsprechende Pläne in Thüringen und Sachsen-Anhalt/ Bereits 53 Interessenten/ Betriebsrat in Sondershausen nicht grundsätzlich abgeneigt/ Kumpel demonstrierten

Bonn/Hamburg (ap) — Die Kalibergwerke von Sachsen-Anhalt und Thüringen sollen nach ihrer Stilllegung als unterirdische Sondermülldeponien genutzt werden. Bundesumweltminister Klaus Töpfer und die Mitteldeutsche Kali AG bestätigten am Wochenende einen entsprechenden Bericht des Nachrichtenmagazins 'Der Spiegel‘. Derartige Pläne würden derzeit geprüft, Entscheidungen seien aber noch nicht gefallen. Nach Angaben der Mitteldeutschen Kali haben bereits 53 Firmen aus dem Westen versucht, ostdeutsche Bergwerke für die Deponierung ihres Sondermülls zu nutzen. Der Betriebsrat der Kaliwerkes Sondershausen zeigte sich bereit, über entsprechende Pläne zu diskutieren.

Bundesumweltminister Töpfer erklärte am Samstag in Bonn, in Ostdeutschland seien in einigen Regionen dramatische Bodenbelastungen, unverantwortlich abgelagerte giftige Industrieabfälle und militärische Altlasten der Sowjetarmee vorgefunden worden, die nahezu einer riesigen ungeordneten Sondermülldeponie gleichkämen. Für die Sanierung dieser gewaltigen Altlasten müßten auch Untertagedeponien geschaffen werden. Da im Westen Deutschlands nur das ehemalige Salzbergwerk Herfa-Neurode zur Verfügung stehe, unterstütze er Überlegungen, die Eignung der Salzbergwerke in Thüringen und Sachsen-Anhalt auf ihre Eignung für die Ablagerung von Sonderabfällen zu untersuchen.

'Der Spiegel‘ zitiert in seiner neuesten Ausgabe aus unveröffentlichten Bonner Studien, wonach in zehn Gruben der Kalisalz-Industrie am südlichen Harzrand, in Zielitz bei Magdeburg sowie in Merkers an der Werra insgesamt ein „Hohlraumvolumen von 70 Millionen Kubikmeter“ für die Einlagerung von hochgiftigem Sondermüll, verseuchtem Erdreich oder schwermetallhaltigen Abfällen zur Verfügung steht. Kurzfristig seien davon 16 Millionen Kubikmeter — das entspricht der Menge von 440.000 Eisenbahnwaggons — nutzbar.

Von Fachleuten im Berliner Umweltbundesamt werde die unterirdische Einlagerung von hochgiftigen Stoffen aber äußerst kritisch eingeschätzt, da es bei Wassereinbrüchen zu „einem GAU im Bergbau“ käme. Der Aufsichtsratsvorsitzende der Mitteldeutschen Kali AG, der ehemalige hessische Wirtschaftsminister Ulrich Steger, erklärte dazu, derzeit werde noch untersucht, welche Standorte für den Einschluß von Sondermüll am besten geeignet seien. Er habe die Bundesregierung um eine umweltpolitische Vorgabe gebeten, welche Kapazitäten benötigt würden. Ende März sei mit einer Aussage über die Größe der Deponie zu rechnen.

In dem Kaliwerk im thüringischen Sondershausen könnte die Einrichtung einer Mülldeponie im Schacht 6 nach Auskunft des stellvertretenden Betriebsratvorsitzenden Rudolf Kempe 120 Arbeitsplätze schaffen. Der Betriebsrat zeigte sich in einer ersten Reaktion mit Blick auf die mögliche Arbeitsplatzsicherung nicht grundsätzlich abgeneigt. Ohne großen Aufwand könnte ein trockener Kalischacht in 700 Metern Tiefe für die Lagerung von giftigen Abfällen genutzt werden.

Im ältesten Kalirevier Deutschlands, in dem seit 1893 produziert wird, soll die Zahl der Beschäftigten von derzeit 24.000 auf 9.000 abgebaut werden. Mit Losungen wie „Vereinigt, versprochen, ver- Kohlt“ und „Politiker ohne Geschäftsbereich kochen die Kumpel in Thüringen weich“ demonstrierten am Samstag rund 8.000 Bergleute der Kali-Industrie in Sondershausen für eine soziale Absicherung bei bevorstehenden Massenentlassungen. Der Protest der Bergleute richtete sich vor allem gegen die Bundesregierung und die Treuhand, denen die Kumpel vorwarfen, Entscheidungen über die thüringische Kali-Industrie zu verschleppen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen