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Das Ende des Warschauer Pakts

Militärische Strukturen bis 1. April aufgelöst/ Politisches Gremium soll bis Herbst dieses Jahres fallen/ Die ehemaligen Paktstaaten orientieren sich nun auf die Nato als Faktor militärischer Stabilität  ■ Von Christian Semler

Die Unterzeichnung der Sterbeurkunde, die am Montag den militärischen Strukturen des Warschauer Pakts von ihren Außen- und Verteidigungsministern ausgestellt wurde, ist ein rein formaler, dazu längst überfälliger Akt. Der Organismus hatte bereits vor Jahresfrist sein Leben ausgehaucht. Und es war Gorbatschow selbst, der schließlich vorschlug, die Leiche bis zum 1.April unter die Erde zu bringen. Bleibt das politische Gremium des Pakts, die Politische Konsultativkonferenz. Deren Ende hat Polens Außenminister bis zum Herbst dieses Jahres in Aussicht gestellt.

Aber war der Warschauer Pakt je eine funktionierende supranationale Organisation? 1955 wurde er, als Reaktion auf den Beitritt der BRD zur Nato, als gegenseitiger Beistandspakt begründet. Falls je zuvor die Gefahr eines Angriffs aus dem Westen bestanden hatte, zu diesem Zeitpunkt war sie jedenfalls vorbei. Blieb der Pakt als Instrument der sowjetischen Hegemonie über Osteuropa. Ein Netz bilateraler Verträge hatte bereits vorher die Kontrolle der Sowjetunion über die Region juristisch abgesichert, aber der Abschluß des Pakts erlaubte es, die Fassade eines gleichberechtigten, multinationalen Verteidigungssystems aufzubauen. Auch die DDR wurde nach anfänglichem Zögern einbezogen, ihre Truppen unterlagen aber stets der Befehlsgewalt der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland.

Die Sowjetunion hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß die „militärischen Strukturen“ des Warschauer Pakts organisatorisch und personell der Sowjetarmee untergeordnet sein müssen. Sowohl der Oberbefehlshaber als auch der Stabschef des Pakts waren stets Generale der Sowjetarmee. Der Oberbefehlshaber stand auch dem Militärrat vor, der 1969 gegründet worden war, um über gemeinsame Manöver, Logistik, Standardisierung der Waffensysteme etc. zu beraten. Entsprechendes galt für die zahlreichen Komitees und Unterkomitees, die sich arbeitsteilig diesen Aufgaben widmeten. Es ging stets darum, in Friedenszeiten die Armeen der abhängigen Staaten optimal den sowjetischen Planungen anzupassen. In Kriegszeiten war durch das — nie veröffentlichte — Statut des Pakts für den Kriegsfall ohnehin festgelegt, daß alle Streitkräfte dem Befehl des sowjetischen Oberkommandos unterlagen. Das Statut war von allen Paktmitgliedern mit Ausnahme Rumäniens unterzeichnet worden. Hier liegt auch die Erklärung dafür, daß mit Ausnahme des Ostseebereichs nie integrierte Verbände des Pakts geschaffen wurden.

Zweimal eingegriffen

Die Truppen des Warschauer Vertrages traten zweimal in Aktion — jeweils auf überaus schändliche Weise. Beim ersten Mal ging es um die Niederschlagung der Prager Reformbewegung. Heute wissen wir, daß diese Aktion nicht nur politisch — im Rahmen der Breschnew-Doktrin — von der UdSSR orchestriert war. Auch militärisch wurden die am Überfall beteiligten Truppen des Pakts direkt und bis in die Einzelheiten des taktischen Vorgehens von der Abteilung des sowjetischen Oberkommandos in Liegnica (Liegnitz) dirigiert. Das Oberkommando des Warschauer Vertrages bzw. sein Stab spielten bei der Operation überhaupt keine Rolle.

Die zweite Aktion betraf die geplante Niederschlagung von Solidarność im Dezember 1981 in Polen. Tschechoslowakische Militärs haben nach der demokratischen Revolution in ihrem Land enthüllt, daß damals der CSSR-Truppenaufmarsch an der Nordgrenze Böhmens und Mährens ebenso vom sowjetischen Oberkommando beaufsichtigt wurde wie das Kriegsziel — die Einnahme Wroclaws (Breslaus) — von ihm vorgegeben war. Da sich die sowjetische Führung entschied, der „inneren Lösung“, d.h. der Ausrufung des Kriegsrechts durch Jaruzelski, den Vorzug zu geben, wurde das Unternehmen abgeblasen.

Auch in Fragen der Abrüstung folgten die Staaten des Warschauer Vertrags stets den sowjetischen Prämissen. Sie nahmen auch die „Gegenstationierungen“ nach dem Beschluß der BRD hin, die Pershing 2 zu dislozieren. Wenn es selbstständige Überlegungen gab, dann vor allem im Milieu der demokratischen Opposition Ostmitteleuropas. Dort wurde in den achtziger Jahren über eine „blockübergreifende“ Strategie diskutiert, nach der die Paktsysteme in Europa schrittweise zugunsten eines kollektiven Sicherheitssystems aufgelöst werden sollten. Ein spätes Produkt dieser Denkrichtung war die Idee einer europäischen Sicherheitsagentur, der Befugnisse bei der Abrüstungskontrolle und im Fall von Konflikten unter den KSZE-Staaten eingeräumt werden sollten. Ohne daß dieses Projekt als obsolet angesehen würde, orientieren sich die Staaten des ehemaligen sowjetischen Hegemonialbereichs jetzt auf die Nato als dem in ihren Augen einzig funktionierenden Faktor militärischer Stabilität. Sie tun dies vor allem im Hinblick auf die Unsicherheit der sowjetischen Verhältnisse und die mit ihr verbundenen militärischen Risiken.

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