Harte Zeiten für weiche Spiele

■ Trotz des jahrelangen Booms: Volleyball, sportlicher Ausdruck eines alternativen Lebensgefühls, hat im Zeitalter der chromglänzenden Fitneßcenter den Sprung zum Volkssport verpaßt

Berlin (taz) — Der Deutsche Volleyball-Verband (DVV) meldet Nullwachstum. Die Dynamik eines zehn Jahre dauernden Booms ist verflogen. Zwischen 1975 und 1985 hatte sich die Zahl der registrierten Volleyballspielerinnen und -spieler mehr als verdreifacht, von 112.000 auf knapp 350.000. Fasziniert von japanischer Netzartistik bei den Olympischen Spielen in München 1972 strömten junge Leute in die wenigen bestehenden Vereine. Neue Clubs schossen wie Pilze aus dem Boden. Der Verband, erst 1955 gegründet, fand sich unversehens in den Top Ten der mitgliederstärksten Fachverbände wieder.

Volleyball paßte als Sportart friedens- oder emanzipationsbewegter GymnasiastInnen und StudentInnen gut in die siebziger und frühen achtziger Jahre und fand als intellektuelle Alternative zum Fußball oder Handball viele Freunde. Volleyball war in seiner Struktur demokratisch, weil auf dem Feld nur gemeinsam etwas zu erreichen war und das Rotationsprinzip — anders als bei den Grünen — nie umstritten, sonder ehernes Gesetz war. Volleyball war emanzipiert, weil Frauen und Männer das Spiel gleichzeitig entdeckten und gemeinsam betreiben konnten. Volleyball ist die einzige Ballsportart, die von Männern und Frauen zu fast gleicher Zahl betrieben wird. Beim Fußball dominieren Männer im Verhältnis 9:1, im Handball, Basketball und Hockey jeweils etwa 2:1.

Volleyball war schließlich auch ein weiches Spiel, in dem der harte Zweikampf nicht vorkam, ein Spiel, das zwei Parteien nicht nur gegeneinander, sondern auch miteinander betreiben konnten, wenn sie wollten. Volleyball war nicht von verkrusteten Traditionen belastet, und die meisten Vereinsvorsitzenden waren noch keine dreißig Jahre. Volleyball wurde mehr als jede andere Leibesübung sportlicher Ausdruck eines alternativen Lebensgefühls.

Mancher erinnert sich noch mit Wehmut der Zeiten, da auf den Ersatzbänken grobwollene Pullover gestrickt und gleichfarbige Trikots als Ausdruck spießiger Konformität schief angeschaut wurden. Diese Zeiten sind vorbei. Gesinnungssportarten sind nicht mehr gefragt. In den neunziger Jahren transportieren Schmetterbälle keine weltanschaulichen Botschaften mehr.

Dabei gehört Volleyball keineswegs in die Gruppe der bedrohten (Sport-) Arten. Der DVV hat allerdings sein Monopol, seinen Alleinvertretungsanspruch für den Volleyball in Deutschland verloren. Denn immer mehr Volleyballspieler ignorieren den Werbeslogan des Deutschen Sportbundes (DSB): „Sport ist im Verein am schönsten.“

Der wilde Volleyball floriert, an Stränden, in Freibädern, Parks oder Jugendherbergen werden immer neue Volleyballnetze aufgebaut, oft finden freie Spielklassen mehr Zulauf als der offizielle Spielbetrieb. Da wurde mancher Trend schlicht verschlafen, und bis heute, da sich Mixed-Volleyball schon seit Jahren großer Beliebtheit erfreut, hat der DVV noch kein Angebot, das die große Nachfrage nach gemeinsamen Wettkämpfen für Frauen und Männer stillen könnte. In dem Trend werden nicht nur Versäumnisse des Verbandes sichtbar, sondern es zeigt sich auch ein Wandel des Freizeitverhaltens. Aus dem Mitglied von einst wird mehr und mehr ein Kunde, wie der Erfolg kommerzieller Anbieter wie Fitneßstudios und Squash-Center unterstreicht. Dort kostet ein Trainingsabend schnell doppelt so viel wie ein Kinobesuch. Unter solcher Konkurrenz leidet der Volleyball mehr als andere Sportarten, denn als Lieblingssport von GymnasiastInnen und StudentInnen hat er in den alten Bundesländern nie jene Schichten erreicht, die die Mark zweimal umdrehen müssen.

Durch die deutsche Vereinigung gibt es zwar nunmehr eine knappe halbe Million organisierter SpielerInnen, doch soziologisch ist Volleyball in Deutschland trotz des einstigen Booms kein Volkssport geworden. Olaf Krohn