piwik no script img

Jordanien debattiert über den Rückzug Iraks

Das Fehlen von Informationen aus dem Kriegsgebiet am Golf verleitet die jordanische Bevölkerung zu Illusionen über die verbliebene Stärke der irakischen Armee/ Erbitterung über die Vereinigten Staaten wächst  ■ Aus Amman Karim El-Gawhary

In der jordanischen Hauptstadt Amman rätselten die Menschen am Morgen des neuerlichen Rückzugsangebots Saddam Husseins über die Motive dieser Ankündigung, die nur 48 Stunden nach Beginn des Landkriegs von Radio Bagdad verlautet wurde. Ein Zeichen der Schwäche sehen die meisten Jordanier und Palästinenser in diesem Angebot nicht. Sie glauben den westlichen Militärberichten kein Wort. Wenn die Alliierten tatsächlich so erfolgreich seien, warum bekomme man dann zumindest im israelischen Fernsehen keine Bilder zu sehen, fragen sich viele. Der einfache Schluß, den sie daraus ziehen: Der Irak hält seine militärischen Positionenen standhaft — eine Meinung, die auch gestern abend von Saad Eddin Shazli, einem der berühmtesten ägyptischen Helden des Oktoberkrieges 1973 gegen Israel, im jordanischen Fernsehen vertreten wurden.

Die Standhaftigkeit des Irak zu brechen, sei das einzige militärische Ziel, meint der palästinensische Ökonom Abdel Megid Awad. Für ihn haben die Iraker gewonnen, wenn die Amerikaner erkennen, daß dieser Krieg kein Spaziergang ist und die ganze Sache am Verhandlungstisch endet. Mit einem Rückzug wolle man jetzt die USA bloßstellen und zeigen, daß sie diejenigen seien, die diesen Krieg wollten. Man brauche nur die Entwicklung der amerikanischen propagandistischen Ziele ansehen, sagt Abdel Rahim Al- Louh, Mitglied des Zentralkomitees der PLO und Vertreter der Volksfront zur Befreiung Palästinas, einer der beiden großen linken Organisationen innerhalb der PLO. „Zuerst sagten sie, sie kämen zum Schutz Saudi-Arabiens, wenige Tage später war es die Befreiung Kuwaits, dann stand die Zerstörung der irakischen Militärmaschinerie auf dem Programm, und jetzt wollen sie den Kopf Saddam Husseins“, faßt er kurz zusammen. Für ihn ist sonnenklar, daß die Amerikaner keine starke Macht in der Region neben Israel sehen wollen. Eine solche Macht würde die Neuordnung der Welt nach amerikanischem Muster, bei der der Nahe Osten neben Europa eine entscheidende Rolle spielt, stören. Er fordert, daß die USA sich zu diesem Ziel bekennen sollten.

Schon am ersten Tag des Landkrieges meinte ein palästinensischer Obstverkäufer empört: „Der Irak will sich zurückziehen. Ob es nun drei Wochen, wie nach der sowjetischen Initiative oder eine Woche wie nach dem amerikanischen Ultimatum dauert, ist doch unerheblich.“ Doch auch das erneute Angebot des Rückzugs werde von den USA abgelehnt werden, ist eine hier fast einhellig zu hörende Meinung. Für viele ist dieses Rückzugsangebot ein erneuter kluger Schachzug Saddam Husseins. „Er ist alles andere als verrückt, obwohl es in den westlichen Medien so dargestellt wird“, erklärt Abdel Rahim Louh. Von Anfang an habe er eine kluge Politik gemacht, als er den Rückzug gegen eine ernsthafte Diskussion der Palästinafrage angeboten habe, blickt er zurück.

Mit diesem Rückzug müßten die Alliierten der USA erneut überdenken, ob sie der Politik Bushs folgen wollen. Vielleicht werde es nun doch zu Meinungsverschiedenheiten kommen, sagt ein palästinensischer Aktivist ganz aufgeregt am Telefon, nachdem er die Meldung des Rückzugs gehört hatte.

Die Sowjetunion kann seiner Meinung nach jetzt jedenfalls wieder die Initiative ergreifen und die ganze Frage vor den Sicherheitsrat bringen. Wenn die USA diese Initiativen ablehnen, kann die Sowjetunion sich aus dem Bündnis lösen und wieder eine eigenständige Politik machen, hofft er und entschuldigt sich, weil er weiter Radio hören will. Das hat er mit fast allen Jordaniern und Palästinensern gemeinsam, die an diesem Morgen über ihren Geräten sitzen und auf weitere Nachrichten hoffen, vorzugsweise von Radio Bagdad.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen