: Internationale Antikriegsfestspiele
■ Die »O sagt No« — »Sevgili Oranienstraße sakiuleri« — Aktionstag in Kreuzberg
Im Zentrum Kreuzbergs liegt die Oranienstraße; Kitschladenstraße, Ku'damm der Armen, Touristenzentrum aber auch Ort des ganz normalen Mit-, Neben- und Gegeneinanders der Geschäfte, der hier Arbeitenden und Wohnenden. Die »O sagt No« verkünden ein paar Flugblätter in den Fenstern einiger Geschäfte und Cafés. Heute ab 15 Uhr wird hier ein Aktionstag gegen den Golfkrieg stattfinden. Etwa 50 Geschäfte und Betriebe der Straße werden ihre Türen schließen und ihre Räume zu Antikriegsaktivitäten zur Verfügung stellen.
Mit drei Organisatoren des Aktionstages, die ansonsten im Antiquariat »Kalligramm« Bücher unters Volk bringen, sprach Detlev Kuhlbrodt.
taz: Die O'straße war eines der Zentren der Hausbesetzerbewegung Anfang der achtziger Jahre und sie ist gleichzeitig jedes Jahr aufs neue Touristenattraktion, Festspielort für den 1. Mai. Was für eine Bedeutung haben der reale Ort und sein Mythos für diesen Aktionstag?
Andreas: Natürlich gibt es den Mythos. Wenn man in Westdeutschland Krawalle im Fernsehen guckt, geht es immer um die Oranienstraße. Vielleicht glauben wir immer noch an diesen oder unseren Mythos und deshalb kann er auch immer wieder in Politik umkippen.
Fritz: Die Straße ist auch ein kleiner Ort, wo man versucht, Politik noch im Sinne kollektiver Meinungsbildung zu machen. Gleichzeitig ist sie symbolischer Ort; ein Ort, der eine doppelte Funktion hat: daß er ein Beispiel gibt, das immer schon als Beispiel zählte. Vielleicht könnte man auch sagen, daß der diffuse Mythos Oranienstraße, der entleert nur noch nach draußen wirkt, wieder konkret ausgefüllt wird; mit Tatsachen. Daß sich die verschiedenen Läden ihre Aktionen aussuchen ist vielleicht so etwas, wie eine Konkretisierung. Im Delikatessenladen »Schwarzwälder« soll es z.B. Hussein- und Bush-Darts geben; über ihren Köpfen sind mit Blut gefüllte Schweinsblasen befestigt. Wer getroffen hat, kriegt 'ne Wurst...
Andreas: Vielleicht sollte man auch das, was mit einer solchen Aktion verbunden ist, das gegenseitige Sichkennenlernen der Leute, die hier wohnen und arbeiten, nicht geringschätzen. Das, was sonst so bedeutungsschwanger als Multikultur und Nachbarschaft firmiert, könnte so konkret werden. Daß die Leute einander freundlich begegnen können. Viele haben ja inzwischen Angst vor Arabern oder regen sich über die Schleier auf.
Fritz: Wichtig ist die Verbindung des Lokalen mit dem Internationalen. Deshalb stehen solche Sachen wie die Senatsbriefe an die Araber, in denen ihnen die politische Betätigung untersagt wird, auch im Vordergrund. Deshalb sitzen auf dem Podium am Abend im SO36 auch nur Leute aus den betroffenen Ländern, die alle schon ziemlich lange in Berlin wohnen: z.B. Mitglieder der kurdischen Musikgruppe »Komaasit«, der kurdische Dichter Faryad Faziloma und der palästinensische Dichter Muhamad Ramadan.
Andreas: Außerdem wollen wir zeigen, daß Kreuzberg nicht ganz weit weg vom Krieg ist, sondern daß hier eben auch viele leben, die ganz direkt vom Kriegsgeschehen betroffen sind: Leute aus der Türkei und den arabischen Ländern.
Könnt ihr etwas zu der Geschichte des Aktionstages sagen?
Ulrich: Das stand zunächst im Zusammenhang mit der Generalstreikdebatte. Vor vier Wochen hatten wir dann ein Flugblatt gemacht und an die Läden verteilt, von denen wir dachten, daß sie mitmachen, und haben uns dann mit den Leuten im Mieterladen in der Dresdener Straße getroffen. Da war eigentlich noch alles unklar gewesen. Wir hatten noch kein Konzept. Der zweite Schritt war, daß wir einen Text an alle Geschäfte und Betriebe verteilt hatten.
Habt ihr auch Abfuhren bekommen?
Fritz: Sicher; aber die waren nie inhaltlich begründet; es gab keinen, der sagte: Wir sind für diesen Krieg. Nicht einmal: »Wir sind dagegen, gegen den Krieg zu demonstrieren.« Es gab nur Leute, die sagten, wir haben keine Zeit dazu. Andere taten sich schwer, weil sie im Kollektiv arbeiten und so die Entscheidungsprozesse komplizierter waren. Letztlich war es aber bei den Kollektiven, die anfangs ziemlich genervt hatten, so, daß sie doch mitmachten.
Andreas: Es gab auch einige, die sagten, so ein Aktionstag sei nicht das geeignete Mittel. Was bringt das, wenn wir die Läden dichtmachen? Die deutsche Wirtschaft müßte doch viel mehr angegriffen werden. Aber man hatte den Eindruck, daß das Statements von Leuten waren, die sich keine Zeit nehmen wollten, weil sie ja auch zur deutschen Wirtschaft gehörten.
Wie waren die Vorbereitungstreffen? Wer hat sich beteiligt?
Ulrich: Wir waren überrascht, daß die Szeneläden in der Straße zunächst etwas zögerlich reagierten und daß Geschäfte vor allem aktiv waren, von denen wir anfangs dachten, daß sie überhaupt nicht mitmachen würden: z.B. die amerikanische Imbißstube »Brooklyn« oder die »Snacketeria«, das türkische Café »Alibi«, die Brillenwerkstatt aus der Oranienstraße etc. Die Szeneläden machen natürlich alle mit, aber getragen wurden die Vorbereitungen von anderen.
Fritz: Es waren überraschend klare und effektive organisatorische Foren, die im Gegensatz zu den Veranstatungen in den Universitäten usw. wahnsinnig konstruktiv waren. Die Frau vom Brooklyn z.B. sagte: Ich hab da Kontakt zu einer jüdischen Frau und zu einem Palästinenser. Mit denen könnte ich ja sprechen und die könnten dann ja kommmen. Punkt. Sie erzählte nur kurz davon. Und dann war der nächste dran.
Ulrich: Es waren zwar Konflikte da, doch die wurden unglaublich schnell gelöst. Ich hatte eigentlich erwartet, daß es inhaltlich heftigste Debatten geben würde, gerade zwischen Autonomen und Liberalen. Aber offensichtlich war allen klar, daß es nur um einen Minimalkonsens und nicht darum geht, die Linie zu finden.
Worauf legt ihr inhaltlich Wert?
Fritz: Die thematische Zielrichtung bildete sich eigentlich erst nach diesen Senatsmaulkorbbriefen gegen die Araber heraus. So ist das Thema der Podiumsdiskussion im SO36 Fundamentalismus ist ein Wort aus Europa. Bei einem Besuch des palästinensischen Dichters Muhamad Ramadan ist es uns deutlicher geworden. Er erzählte z.B., daß es Quatsch sei, Dschihad mit »heiliger Krieg« zu übersetzen. Das sei ein Ausdruck, der in erster Linie den Kampf im alltäglichen Leben beschreiben würde: wie bekommt man zu Essen und zu Trinken etc. Mit heilig hat das zunächst gar nichts zu tun. Der heilige Krieg, den man in Zeitungen und im Fernsehen daraus macht, sei christlich-abendländisches Denken und die Übersetzung macht den Krieg erst zu einem heiligen, also religiösen Krieg. Wahrscheinlich meint Saddam, wenn er Dschihad sagt, auch den heiligen Krieg; er hat den Begriff angenommen, der von außen hereingetragen wurde. Und das scheint auch der angsttreibende Mechanismus zu sein: plötzlich, wenn ein Begriff zweimal hin- und hergegangen ist, ist er Wirklichkeit geworden. Wir hoffen, daß solche Sachen vor allem thematisiert werden.
Andreas: Es ist auch immer etwas anderes, wenn dir ein Palästinenser etwas erzählt, was du sonst nur liest. Wenn man liest, daß Steine brennen, nimmt man es erst einmal als Metapher. Wenn man Napalm verwendet brennen die Steine jedoch wirklich.
Die Aktion findet, entgegen anderen Ankündigungen in der taz, erst heute statt. Ab 15 Uhr machen die Geschäfte dicht, Treffen am Heinrichplatz; Umzug durch Oranienstraße... Aktionen in den Geschäften; arabische und kurdische Dichterlesungen, Musik, Infostände. Die, die gelesen oder Musik gemacht haben, reden um 20 Uhr auch auf dem Podium im SO36.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen