: Die Gewalt wird öffentlich
■ Die neugegründeten Frauenhäuser in den FNL sind völlig überlaufen
Berlin (dpa) — Mit der Mauer fiel in der ehemaligen DDR auch ein bitteres Tabu: Immer mehr Frauen sagen jetzt öffentlich, daß sie in ihrer Partnerschaft oder Ehe seit Jahren mißhandelt und sexuell mißbraucht wurden. Frauen suchen Zuflucht vor ihren gewalttätigen Männern; die wenigen, neugegründeten Frauenhäuser in den ostdeutschen Ländern sind meist völlig überbelegt, finanzielle Mittel und ausreichender Wohnraum fehlen.
„Erst seit der Wende getrauen sich die geprügelten Frauen ihre Leiden öffentlich zu machen“, sagt die Mitarbeiterin im Berliner Frauensenat, Evelyn Lapsch. „Seit es die Frauenhäuser gibt, ist die Hemmschwelle zu sagen, ich werde geschlagen, nicht mehr so groß wie früher.“ Nach der deutsch-deutschen Vereinigung sei außerdem die Gewalt in den Familien erheblich angestiegen. Arbeitslosigkeit und Frustration, vermutet die Senatsfrau, seien Vorwände der Männer, um ihre Aggressionen an Frauen und Kindern herauszulassen.
Seit drei Monaten gibt es im Ostberliner Bezirk Mahrzahn ein kommunales Frauenhaus mit 56 Plätzen. Im Stadtteil Hohenschönhausen versorgen im Frauenhaus „Bora“ sieben kirchliche Sozialarbeiterinnen durchschnittlich 20 Frauen und deren Kinder. Rund 800.000 DM sind jährlich für die Finanzierung eines Frauenhauses nötig. In Berlin, so Evelyn Lapsch, übernehme der Senat derzeit einen Großteil der Kosten.
Bei den Gleichstellungsstellen und Sozialämtern der Städte melden sich immer mehr Frauen, die Schutz suchen. Im thüringischen Erfurt baten allein im Monat Januar 48 Frauen um Aufnahme in eine Notwohnung. Da Erfurt jedoch nur eine kleine Zufluchtswohnung hat, mußten die meisten Frauen abgewiesen werden. Obwohl Erfurts Oberbürgermeister inzwischen ein Haus gefunden hat, in dem die Frauen untergebracht werden könnten, fehlt es nach Auskunft der Stadtverwaltung der Kommune an 400.000 DM für die dringend notwendige Renovierung des Gebäudes. Die zukünftige Leiterin des Frauenhauses plant einen Spendenaufruf an die Bevölkerung.
Ähnliche Probleme gibt es in Sachsen. Während in Chemnitz und Leipzig bereits große Frauenhäuser eröffnet haben, suchen die Dresdener Behörden weiter verzweifelt nach einem geeigneten Haus.
In Leipzig eröffnete der Verein „Frauen für Frauen“ im November 1990 ein Frauenhaus mit 23 Plätzen. „Nach vier Wochen waren wir bereits ausgebucht“, sagt eine Mitarbeiterin. Mit elf Frauen und 19 Kindern sei die Zufluchtsstätte völlig überbelegt. Täglich müssen ein bis zwei Frauen mit ihren Kindern abgelehnt werden.
In großen finanziellen Schwierigkeiten steckt auch das Frauenhaus in Chemnitz. Da weder das Sozialamt noch das Land Sachsen bis jetzt einen Zuschuß bewilligt haben, hat eine Mitarbeiterin bereits 1.000 DM aus eigener Tasche in das Projekt investiert“, berichtet die Chemnitzer Frauenbeauftragte Marina Berber. Seit der Eröffnung im Oktober des vergangenen Jahres konnte das Haus 32 Frauen aufnehmen.
Die finanzielle Absicherung der Frauenhäuser sei Sache der Länder und Kommunen, heißt es im Bundesministerium für Frauen und Jugend. 1990 habe der Bund 18 Frauenhäuser und Zufluchtswohnungen in den neuen Ländern durch eine „einmalige Anschubfinanzierung“ unterstützt. Doch eine Überlebenschance, so eine Sprecherin der Berliner Senatsfrauenverwaltung, hätten die Frauenhäuser in Ostdeutschland nur, wenn Bonn weitere Zuschüsse gibt.
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