: »Das Kriegsende bedeutet nicht Frieden«
■ taz-Umfrage bei Berliner Persönlichkeiten: »Ist der Krieg zu Ende?«
Heinz Galinski, Zentralratsvorsitzender der Jüdischen Gemeinden in Deutschland: Es wird Frieden geben, sofern die Staaten im Nahen Osten aus diesem Vorgang gelernt und daraus die notwendigen Konsequenzen gezogen haben. Es muß erst mal ganz klargestellt werden, daß alle Völker in dieser Region die Existenz Israels anzuerkennen haben. Das ist die erste und wichtigste Voraussetzung, um überhaupt über andere Dinge zu reden. Solange es noch Staaten gibt, die mit der Realität des jüdischen Staates nicht fertigwerden, die immer noch auf Vernichtung aus sind, solange kann man nicht über Frieden reden.
Ein Mann wie Saddam Hussein, der bis zuletzt Kriegsverbrechen zu verantworten hat und nicht einmal davor zurückgeschreckt ist, ein Volk der Vernichtung preiszugeben, kann nie mehr eine Rolle auf der politischen Bühne spielen. Er hat jedes Recht verwirkt, über einen Frieden zu verhandeln. Hussein gehört vor ein internationales Kriegsgericht.
Israel hat sich in diesen Krieg trotz ständiger Bedrohungen nicht verwickeln lassen. Israel hat eine bewundernswerte Haltung eingenommen. Des weiteren hat Israel sich immer bereit erklärt, binationale Verhandlungen mit den Anrainerstaaten zu führen. Ich halte das für die beste Lösung, das Beispiel Ägypten hat es gezeigt. Ich halte nichts von einer großen internationalen Nahostkonferenz, auch nichts von einer arabischen Konferenz. Dort würde alles wieder durcheinander geraten, und Majoritäten würden geschaffen werden, mit denen sich der jüdische Staat niemals abfinden kann.
Otto Kallscheuer, Privatgelehrter: Es bleibt zu hoffen, daß der Krieg nun beendet ist. Und daß Saddam Hussein im Gedächtnis der arabischen Massen nicht als neuer Saladim, der arabische Anführer gegen die christlichen Kreuzritter, erhalten bleibt. So schrecklich der Krieg war, es gibt kleine Chancen, daß er nicht als Krieg der Araber gegen den Westen, der Gläubigen gegen die Ungläubigen hängenbleibt, weil ja auch Araber auf seiten der Alliierten mitgekämpft haben. Jetzt müssen die arabischen Staaten das Existenzrecht Israels eindeutig bejahen, und Israel hat seinerseits die Chance und die Pflicht, sich mit den arabischen Ländern zu verständigen. Dan Diner hat mir gerade aus Tel Aviv mitgeteilt, die Zeit des Krieges, in den Israel ja nicht eingegriffen hat, könne einen Umbruch im israelischen Bewußtsein einleiten, indem die Menschen begreifen, daß es nur eine Regionalmacht ist und nicht mehr. Seit Jahrzehnten waren alle Friedensbemühungen in der Region im Bewußtsein der Beteiligten immer nur zeitweilige Waffenstillstände und nicht mehr. Das könnte sich vielleicht ändern, wenn Israel seine bloß auf militärische Mittel aufgebaute Selbstbehauptung aufgibt. Die europäischen Länder allerdings haben im ganzen Krieg total versagt und keine eigenständige Rolle gespielt. Nun kommt es auch darauf an, wie sie in ihrem Inneren mit ihren islamischen Minderheiten umgehen.
Lilli Segal (77), Biologin und ehemalige wissenschaftliche Oberassistentin an der Humboldt-Universität: Eine Gruppe von Professoren, die Widerstandskämpfer während des Krieges waren, haben sich am Mittwoch zusammengesetzt und eine Dokumentation erarbeitet, in der zur Unterstützung aller Friedensaktivitäten aufgerufen wird. Als gestern morgen die Nachricht kam, dachte ich, der Krieg ist zu Ende. Inzwischen habe ich mich mit Leuten von der Gruppe unterhalten, sie sagen, die Gefahr ist noch nicht gebannt. Wir haben eine Feuerpause, aber das heißt noch lange nicht, daß der vordere Orient und die Golfregion vollkommen befriedet sind. Mein Mann und ich — wir waren beide während des Faschismus Widerstandskämpfer — sind Optimisten. Die neue Qualität für uns ist, daß unsere Studenten und Intellektuellen sich wehren und so zahlreich für den Frieden auf die Straße gehen.
Gottfried Forck, Landesbischof Berlin-Brandenburg: Ich hoffe, das dies ein Anfang von Verhandlungen ist, die zu einem Frieden im Nahen Osten führen. Aber ich kann mir kein Urteil erlauben, inwieweit dies nur eine Feuerpause ist.
Steffi Spira, Schauspielerin: Ich hoffe, der Krieg ist vorbei, aber ich glaube nicht, daß die Probleme im Nahen Osten damit gelöst sind. Ich werde froh und glücklich sein, wenn das Sterben aufhört.
Roger Wittmann, Ermittlungsausschuß (EA): Ich weiß gar nicht, ob das ein Krieg war. Mir fällt da eher Heraklit ein, mit seinem Wort vom Streit als dem Vater aller Dinge. Im Grunde genommen hat der Krieg erst jetzt begonnen und an den werden sich die Amerikaner noch gewöhnen müssen. Aber vielleicht wissen psychoanalytisch geschulte Leute besser, wie sie uns erklären können, wie es denn kommt, daß ein Urenkel seine kulturelle Wiege mit B-52-Bombern in Schutt und Asche legt.
Elmar Altvater, Professor für politische Ökonomie: Der alte Krieg ist vorbei, aber den kalten Krieg gewinnt man nur durch eine entsprechende Friedenspolitik. Dafür sehe ich momentan bei den militärischen Siegern wenig Pläne, denn eine neue Friedensordnung, von der Bush abstrakt gesprochen hat, würde ja im Nahen Osten zumindest eine Umverteilung von Ölreichtümern und eine Lösung der Palästinenserfrage erfordern. Das würde aber bedeuten, daß Israel von seiner gegenwärtigen Position abrückt, und das ist nach diesem militärischen Sieg nicht zu erwarten. Also hat der Krieg eine Pause, aber kann immer wieder erneut ausbrechen.
Heiner Müller, Schriftsteller: Diese Phase ist vorbei. Aber der Krieg geht weiter, in welcher Form auch immer.
Kamal, Sprecher der Vereinigung irakischer Studenten: Ich kann nicht mit ja oder nein beantworten, ob der Krieg vorbei ist, es ist ja nur eine Feuerpause. Die Gründe, die im Irak zur Krise und später zum Krieg geführt haben, existieren immer noch. Jetzt mehr denn je.
Die Gewinner sind die Firmen, die sich am Wiederaufbau beteiligen werden, und das sind teilweise dieselben, die diese ganze Kriegsmaschinerie hergestellt haben. Der Westen und vor allem die USA haben ihre Interessen auf ganzer Linie durchgesetzt. Der Verlierer ist in erster Linie das irakische Volk. Dies im doppelten Sinne. Es hat die meisten Opfer unter der Zivilbevölkerung und volkswirtschaftlich leidet es auch am meisten, denn die gesamte Infrastruktur des Iraks wurde um Jahrzehnte zurückgebombt.
Hussein ist in meinen Augen eigentlich kein Verlierer. Er hat Kuwait überfallen, um seine innenpolitische Situation zu korrigieren. Außerdem bedeutet das militärische Ende noch nicht das politische Ende von Hussein. Der Geheimdienst war vor dem Einmarsch nach Kuwait intakt und war die entscheidende Kraft, um mögliche Unruhen im Land niederzuhalten. Der Geheimdienst wurde nicht zerschlagen, den gibt es noch. Ich vermute, daß er immer noch stark genug ist, um eventuellen Widerstand in der Bevölkerung gegen Hussein niederzuhalten. Verlierer sind auch all die Menschen im gesamten Nahen Osten, die an einen militärischen Sieg Husseins geglaubt haben. Sie sind jetzt enttäuscht und fühlen sich gedemütigt. Das wird noch viele Probleme bereiten.
Alisa Fuss, Vizepräsidentin der Internationalen Liga für Menschenrechte: Der Krieg ist vorbei, die Hauptprobleme sind geblieben, wenn sie nicht sogar größer geworden sind. Die Probleme resultieren aus Unterentwicklung, ökonomischer Abhängigkeit und sozialer Degration, so daß die daraus gewachsenen Konflikte weiter zunehmen werden.
Militärisch gesehen sind die USA und die Alliierten Gewinner, ob auch politisch, wird sich erst zeigen Es werden immer Machtpolitiker vom Typ eines Saddam Husseins auftreten mit zunehmend moderneren Waffen und radikaleren Forderungen. Kündigen sich nicht in den heutigen Siegen am Golf nicht bereits die Niederlagen von morgen an? Die militärische Niederlage Iraks wird zur tiefen Demütigung der arabischen Völker und vieler nichtarabischer Muslime führen. Die Haßkampagne gegen die USA und Europa wird verstärkt werden. Ein Ausweg aus dieser Situation läge in der Stärkung aller moderaten Kräfte der Region. Wichtig wären die Aufnahme eines bilateralen Dialogs und eine internationale Nahostkonferenz. Zentrale Vereinbarungen müßten sein: die Sicherheit für Israel in genau umrissenen Grenzen, die Einsetzung der Palästinenser in ihre nationalen Rechte, also ein palästinensischer Staat neben und in Kooperation mit Israel, und drittens die Befriedung des Libanons. All das würde ich mir wünschen.
Frauke Hoyer vom Flüchtlingsrat Berlin: Ich hoffe sehr, daß die militärischen Angriffe endlich vorbei sind. Aber der Krieg — im Gesamtzusammenhang des Nahen Ostens — ist nicht vorbei. Es gibt kein Vorher und Nachher mehr. Man kann nicht mehr an dem ansetzen, was vor dem 2. August war. Die Verhandlungen über die Zukunft der Palästinenser und Kurden müssen beginnen, und es ist nicht abzuschätzen, was dabei herauskommen wird. Eine neue Weltordnung kann nicht von außen diktiert werden. Die ökologischen Schäden sind ebenfalls nicht abzusehen. Die militärischen Angriffe sind vorbei, aber Frieden wird es nicht geben, solange die Menschen so sind, wie sie sich wieder gezeigt haben. Ich glaube, daß es bloß zu kurzen Friedenszeiten kommen wird. Natürlich war ich erleichtert, daß die Bombardements eingestellt wurden. Mir gehen all die Toten und Verwundeten des Bombenterrors nicht aus dem Kopf. Jetzt ist es Zeit zu trauern.
Johannes Agnoli, Politikwissenschaftler: Der Krieg ist noch nicht vorbei, weil man nicht weiß, wie die Amerikaner jetzt agieren, für den Fall, daß Saddam Hussein sich nicht meldet. Es wird keinen Frieden im Nahen Osten geben, weil sich jetzt in der Region sozial nichts entspannt. Es gibt nur einen Gewinner, das sind die USA und ihre Wirtschaft. Natürlich war ich sehr erleichtert, daß die Bombardements eingestellt wurden. Ich bin wirklich gegen den Krieg, und ein eventuell möglicher Bürgerkrieg ist mir lieber als ein internationaler Krieg. Umfrage: usche, plu, aku
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